„Keine Fehler machen geht nicht“François-Xavier Roth dirigiert Musik-Amateure in Köln

Lesezeit 4 Minuten
Bürgerorchester1

Voller Einsatz für Bartók - Roth am Pult des Bürgerorchesters

Köln – „Ich habe euch vermisst“, begrüßt François-Xavier Roth im Probenraum an der Stolberger Straße seine Musiker, und dann geht es auch gleich los – mit den Nummern 1, 4 und 5 aus Bartóks Rumänischen Volkstänzen. Roth lässt sie ohne Unterbrechung durchspielen und am Ende ein kurzes „Bravo!“ folgen. Säße da sein Gürzenich-Orchester, könnte man sich über diese Reaktion wundern: Der Rhythmus, der Klang, die Intonation – nun ja. Aber die 30, 40 Streicher vor ihm stammen nur zum kleineren Teil aus dem stadtkölnischen Profiklangkörper; in der großen Mehrzahl sind es Laienmusiker, die sich auf einen Aufruf des Gürzenich-Orchesters hin gemeldet und zum Kölner „Bürgerorchester“ formiert haben.

Genauer: Es handelt sich um fünf Spielgruppen – zwei Streicher- und drei Bläserensembles –, die, vorher in Stimmgruppen gecoacht von den Berufsmusikern, für ihre ersten sukzessiven Auftritte in der Kölner Philharmonie an diesem Sonntag (20 Uhr) trainieren. Die ganz große Performance mit 180 Amateuren und Schostakowitsch und Elgar auf der Agenda vereitelte Corona, jetzt fängt man in reduziertem Format wieder an.

Das könnte Sie auch interessieren:

„Lesen, hören, schauen – nicht in den Noten hängen“, verlangt Roth vor dem Neueinsatz, „sonst ist kein Orchesterspiel möglich. Ich zeige euch, wie mein Forte geht, was ihr spielt, ist ein bisschen zu wenig.“ Nach ein paar Takten bricht er ab: „Jetzt ohne die ersten Geigen!“ Als die dann wieder dazukommen, hat sich der Gesamtklang spektakulär verändert, hat eine neue Intensität, Emphase und Dringlichkeit gewonnen. „Die ungarische Sprache“, merkt Roth an, „hat einen starken Akzent auf der ersten Wortsilbe. Bei Bartók ist entsprechend das erste Sechzehntel sehr stark.“ Und immer wieder: „Mischen, mischen, mischen – und zusammen lauter werden, so kommen Kraft, Ton, Tempo.“ Roth macht mit suggestiver Dirigierbewegung vor, wie er es haben will. Oder er singt es: „Die Triole ist nicht einfach da, sondern sagt etwas.“

Kein Verzicht auf Qualität

Können die Laien den Profi zufriedenstellen? „Das ist viel besser“, kommentiert er – während der Zuhörer sich die zweite verschwiegene Satzhälfte hinzudenkt: „aber immer noch nicht gut.“ Der Kölner Generalmusikdirektor ist durchaus nicht bereit, in diesem Kontext seine Qualitätsansprüche vorschnell fahren zu lassen. „Ihr wollt keine Fehler machen?“, wendet er sich an die „Bürgermusiker“: „Das geht nicht: Besser Fehler mit Überzeugung als Furcht und Zurückhaltung.“

Es folgt in der zweiten Probenhälfte noch ein Renner des populären Repertoires, der Schmachtfetzen des „Intermezzo sinfonico“ aus Mascagnis „Cavalleria rusticana“, bevor Roth nach einer Stunde rechtzeitig Schluss macht und zu einer Erholungspause ins Off entschwindet. Derweil packen die inzwischen eingetroffenen Mitglieder der zweiten Streichergruppe schon mal die Instrumente für ihre Probe aus.

Bartók und Mascagni – fürwahr ein sehr diverses Programm. Aber genauso soll es auch sein, wie Roth im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ ausführt: „Wir wollen ein Mosaik präsentieren, ernste Musik unterschiedlichsten Charakters, Schnelles und Langsames in guter Balance.“ Die Stücke dürfen nicht zu lang und sollen auch bekannt sein: „Wir können am besten, was wir kennen.“ Bruckner? Roth griemelt: „Nee, das noch nicht.“ Aber es sei ja ein langfristiges Projekt, das gleich 2022 fortgesetzt wird: „Vielleicht spielt das Orchester auch mal eine Sinfonie.“

Das Projekt liegt ihm am Herzen

Keinen Zweifel lässt der GMD daran, dass ihm das Projekt „Bürgerorchester“ – bei dem ihm freilich viele zur Hand gehen, vor allem sein Assistent Harry Ogg und die Gürzenich-Cellistin Ulrike Schäfer –, ein Herzensanliegen ist. „Im Chorwesen hat das Laienmusizieren eine lange Tradition, im Orchesterspiel aber nicht. In Deutschland mag das besser sein als in Frankreich, aber gut ist es auch hier nicht.“ Dabei gehe es nicht nur um Musik, sondern zentral auch um soziales Zusammenleben, um „Kommunitäten“: „Wir leben in einer Welt aus lauter Egos, wissen nicht, was der andere fühlt, denkt, tut.“ Das könne man im Orchester lernen: „Eine Welt aus Orchesterspielern wäre eine bessere Welt.“ Hinzu komme die spontane Begeisterung der Laienmusiker, die „Frische des Anfangs“: „Ich gebe da viel rein, aber es kommt auch unglaublich viel zurück.“

Begeistert sind, wie eine Umfrage ergibt, auch die Laienmusiker in ihrer heterogenen Zusammensetzung aus Ärzten und Juristen, Jungen und Alten. Aus einem Querschnitt der Bevölkerung halt. Bratschist Friedrich Leidinger etwa hat als Schüler und Student im Jugendorchester gespielt und anlässlich des Bürgerorchester-Projekts sein Instrument nach Jahrzehnten wieder hervorgeholt: „Ich bin nach der ersten Probe euphorisch nach Hause gegangen, konnte gar nicht schlafen.“ Diese Euphorie habe ihn auch durch Corona getragen: „Das ist ein Stück meiner Jugend, bereichernd und beglückend.“

Erst ängstlich, dann mutig

Kathrin, ebenfalls Bratschistin und die älteste Teilnehmerin des Projekts, hat bereits in zehn Orchestern gespielt und also allemal Vergleichsmaßstäbe. Es sei „unglaublich“, wie ängstlich einige zuerst spielten, dann aber auftauten und mutiger würden: „Roth macht das toll, er ist ein fantastischer Motivator.“ Auch Nessa Riemer von den zweiten Violinen rühmt das Charisma des GMD und überhaupt die Zusammenarbeit mit den Profis: „Dann spielt man selbst sofort besser.“

KStA abonnieren