Dieter Wedel ist gestorbenVom König des deutschen Fernsehens zur #Metoo-Symbolfigur

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Dieter Wedel

Köln – „Der König von St. Pauli“ hieß eine der großen Fernsehserien, mit denen Dieter Wedel in den 1990er Jahren selbst zu einem kleinen König aufgestiegen war. Sein Reich war die gehobene deutsche Fernsehunterhaltung, die er mit epischen Erzählungen vom Wirtschaftswunder und deren Spiegelbildern aus der Halb- und Unterwelt belieferte.

Und weil dieses Reich damals noch sehr überschaubar war, kam niemand mehr an ihm vorbei. Dieter Wedel hatte die größten Budgets zu verteilen und die besten Rollen zu vergeben – wie man mittlerweile weiß, nutzte er diese Macht auf schamlose Weise aus.

Mehrere Frauen werfen Dieter Wedel sexuelle Übergriffe vor 

Es spricht beinahe für sich, dass Wedels Tod nicht von Freunden oder Familie bestätigt wurde, sondern vom Münchner Landgericht. Dort war ein Strafverfahren gegen ihn anhängig, nachdem im Januar 2018 mehrere Schauspielerinnen und ehemalige Mitarbeiter schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben hatten. Es ging darin um sexuelle Übergriffe, eine Frau berichtete, Wedel habe sie vergewaltigt. Wedel bestritt alles und sah sich als Opfer einer Kampagne. Aber sein Ruf war auch ohne gerichtliches Urteil ruiniert.

Dieser Ruf war auch zuvor nicht der beste gewesen. In der Fernseh- und Theaterbranche galt Wedel als herrischer Regisseur, der sich gegenüber Mitarbeitern und Darstellern oft und gerne im Ton vergriff, um sie zu besseren Leistungen anzuspornen. Allerdings wurde dies offenbar mit seinen Erfolgen verrechnet, ein größeres Thema war Wedels Führungsstil in der Öffentlichkeit eigentlich nie, selbst nachdem ihn Sandra Maischberger 2002 in einer Fernsehdokumentation als „Frauenverschlinger und Menschenschinder“ beschrieb.

Das änderte sich, als Wedel bei den Bad Hersfelder Festspielen 2017 seinen Hauptdarsteller Paulus Manker einen Tag vor der Premiere entließ. Manker verglich Wedel mit einem „nordkoreanischen Diktator“, der „wochenlang Angst und Schrecken“ unter den Schauspielern verbreitet habe.

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Auch Wedels künstlerische Bilanz war nicht frei von Zweifeln. Sowohl im „Großen Bellheim“ wie auch im „Schattenmann“ wiesen ihm Kritiker zahlreiche Plagiate oder wenigstens Anleihen nach. Für den „Großen Bellheim“, der Geschichte einer westdeutschen Kaufhausdynastie, bediente sich Wedel großzügig bei Oliver Stones „Wall Street“, beim Thriller „Der Schattenmann“ über einen verdeckten Ermittler in der Frankfurter Unterwelt reichte die Ausbeute vom „Paten“ bis zu „Goodfellas“. Mit einiger Verzögerung gab Wedel die Plagiate zu, fand die Aufregung aber übertrieben; allzu vielen Zuschauern dürften sie ohnehin nicht aufgefallen sein.

Geboren wurde Dieter Wedel vermutlich 1939, aber selbst sein Geburtsjahr ist umstritten. Schon während des Studiums leitete er eine Theaterbühne, seine berufliche Karriere begann er bei Radio Bremen als Autor und Hörspielregisseur. Beim NDR feierte Wedel mit dem Dreiteiler „Einmal im Leben – Geschichte eines Eigenheims“ (1972) einen ersten Fernseherfolg; die satirische Geschichte eines Häuslebauers sprach offenbar Millionen Deutschen aus dem Herzen.

Mit dem „Großen Bellheim“ wurde Wedel zum König der gehobenen Fernsehunterhaltung

Zum König des öffentlich-rechtlichen Prestigefernsehens stieg Wedel dann in den 1990er Jahren auf. Für den „Großen Bellheim“ versammelte er ein „Wer-ist-wer?“ der deutschen Bühnen- und Fernsehwelt mit Mario Adorf als Patriarch einer Warenhauskette und Heinz Schubert, Will Quadflieg, Manfred Zapatka und Leslie Marton in weiteren Rollen.

In der Serie geht es um den gefühlten Wandel in der Geschäftswelt nach der Wiedervereinigung und um den drohenden Verlust westdeutscher Traditionen, ausbuchstabiert am Beispiel eines Kaufhauses und eines Mannes, der um sein Lebenswerk kämpft. Für „Bellheim“ erhielt Wedel erstmals den Grimme-Preis, zwei Jahre später wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

In „Der Schattenmann“ und „Der König von St. Pauli“ erzählte Wedel anschließend Erfolgsgeschichten aus weniger bürgerlichen Milieus – für die Kiezgeschichte arbeitete er erstmals mit dem Privatfernsehen zusammen. Danach wurde es ruhiger um ihn, wohl auch, weil er seine alte Liebe zum Theater pflegte. Zwischen 2002 und 2014 leitete er die Nibelungenfestspiele in Worms, im Jahr 2015 wurde er Intendant der Bad Hersfelder Festspiele. Dann kamen die Vorwürfe und Wedel wurde zum Symbolfigur der deutschen #Metoo-Debatte über Sexismus in der Filmindustrie.

Wie erst jetzt bekannt wurde, starb Dieter Wedel bereits am 13. Juli nach langer schwerer Krankheit in einem Hamburger Krankenhaus. Er wurde 82 Jahre alt.

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