Eine Reise durch das dunkle Deutschland

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Leopold Kessler, ein junger deutschstämmiger Amerikaner, kehrt 1945 ins zerstörte Nachkriegsdeutschland zurück, um beim Wiederaufbau zu helfen. Es ist die Reise eines Ahnungslosen ins Land der Täter, wo die Mörder noch aktiv sind und der Neuaufbau auf dem korrumpierten Fundament des alten Systems Gestalt annimmt. Der dänische Kinoexzentriker Lars von Trier hat die Geschichte 1991 für den Abschluss seiner „Europa“-Trilogie ersonnen. Es ist eine surreale Reise ins Herz der Finsternis, Antriebsmittel einer Geschichte, in der der Held – eine klassische Kafka-Figur - zum Spielball unkontrollierbarer Kräfte wird.

Wie im Film gelangt auch Leopold Kessler (Antonis Michalopoulos) in Kostas Papakostopoulos Bühneninszenierung via Hypnose an den unheilvollen Ort des Geschehens. Immer wieder wird die sonore Stimme (Bodo Primus) den Neuankömmling in Situationen schicken, denen er nicht gewachsen ist. Kessler heuert als Schlafwagenschaffner bei der Firma „Zentropa“ an. Deren Chef Max Hartmann (Thomas Franke) hat in Nazi-Deutschland Züge voller Juden in die Konzentrationslager geschickt. Jetzt braucht ihn die amerikanische Besatzungsmacht, um das Land wieder ins Rollen zu bringen.

Spätestens als sich Leopold in Hartmanns Tochter Katharina (Lisa Sophie Kusz) verliebt, die den Jüngling um den Finger wickelt, verstrickt er sich in einem Gewirr aus Schuld, dessen Ausmaß sich seinem unschuldigen Blick nie ganz offenbart. So gerät er zwischen die Fronten fanatischer Nazi-Terroristen, sogenannter Werwölfe und dem amerikanischen Militär-Geheimdienst. Er wird als Attentäter angeworben, manipuliert, erpresst – bis die Bombe tickt, die alle in den Abgrund zu reißen droht. „Die Angst, in einem Zug zu sein, nicht aussteigen zu können und nicht zu wissen, wohin die Reise geht“, so beschreibt eine Erzählstimme die Atmosphäre.

Es ist ein nahezu unmögliches Unterfangen, die suggestive Filmsprache auf die Bühne zu bringen. In der Theaterfassung fehlt denn auch der hypnotisierende Sog, der aus der Bilder-Melange von Katastrophenfilm, Melodram und Thriller im Kino entsteht. Die Absurdität und Abgründigkeit der Geschichte bringt das Deutsch-Griechische Theater – DGT – in seiner Jubiläumsinszenierung zum 30-jährigen Bestehen dennoch überzeugend auf die von Zezo Dinekov eindrucksvoll gestaltete Bühne.

Rostige Bettgestelle

Da verwandelt sich die schaurige Anfangsszene, in der rostige Bettgestelle an ein Lager denken lassen, flugs in ein emsiges Bahnhofsgeschehen, und aus den Zeugnissen des Schreckens wird in Windeseile ein Schlafwagenzug, der zu der eindringlichen Musik von Herbert Mitschke durch ein Dunkeldeutschland fährt, während die stimmungsvollen Videokulissen von John Seidler auf der großen Leinwand im Hintergrund das unheilvolle Zugszenario untermalen. Zwei Stunden dauert dieser collagenhafte Blick auf die Vergangenheit, bei dem das Ensemble mit expressionistischem, ausladendem Gestus mit etwas aufdringlicher Emsigkeit dennoch stimmig auf die politische Dimension in der Gegenwart verweist. Termine: 24., 25. Januar, Urania Theater; 13., 14. Februar, Comedia; 11., 12. März, Schauspiel Köln

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