Interview über Literatur und Hunde„Köln ist die hundefreundlichste Großstadt“

Lesezeit 8 Minuten
Dennis Scheck 1

Christina und Denis Schenk

Köln – Frau Schenk und Herr Scheck, Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie zusammen in der Kölner Südstadt gewohnt haben, direkt am Chlodwigplatz – „wo die kölsche Seele am kölschesten ist“… Denis Scheck: Köln ist sicherlich die hundefreundlichste Großstadt in Deutschland. Wir beschreiben ja wie es war, mit Stubbs als Welpen durch die Südstadt zu gehen: So muss es sich angefühlt haben, mit Claudia Schiffer oder Elvis Presley oder Obama unterwegs zu sein. Es ist wirklich auffällig, wie Gesichter sich in ekstatische Mienen verwandeln, wenn man einen attraktiven Welpen dabei hat.

Ein richtiges Hundeparadies ist der Chlodwigplatz trotzdem nicht…

Christina Schenk: Wir haben am Chlodwigplatz das Urbane geliebt, dass man an jeder Ecke Essen gehen kann. Nur wenn man dann eben mit einem Hund da entlang marschiert, gerade mit einem Welpen, guckt man auf einmal ganz anders auf seine Umgebung. Und da fällt einem dann auf, dass der Chlodwigplatz eine ziemlich dreckige Ecke von Köln ist: Glasscherben und menschliche Ausscheidungen in Hauseingängen – da möchte man nicht unbedingt, dass der Hund da seine Nase rein steckt. Da hat Stubbs uns ein bisschen wach gerüttelt: Dass wir etwas hundetauglicher wohnen sollten, wenn wir uns schon unbedingt einen Hund anschaffen wollen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Hunde haben in der Corona-Pandemie Hochkonjunktur.

Denis Scheck: Ein Hund ist eben das beste Mittel gegen Einsamkeit – und zwar nicht, weil der Hund selbst die Einsamkeit vertreibt, sondern weil der Hund einen ins Gespräch mit anderen Menschen bringt. Dass sich so viele Menschen in der Corona-Zeit Hunde anschaffen, sehen wir allerdings skeptisch. Mit Martin Heidegger gesprochen, sind wir ja der Auffassung, dass ein Hund ein Schicksal ist und es darauf ankommt, es anzunehmen. Ein Hund als Schnellschuss, das ist immer eine schlechte Idee.

Christina Schenk: Am Anfang der Pandemie leerten sich die Tierheime im raschen Tempo und als die erste HomeOffice-Welle vorbei war, füllten sich die Tierheime auch schon wieder erschreckend schnell. Darüber kann man als Hundebesitzer nur den Kopf schütteln.

Dennis Scheck 2

Am Anfang Ihres Buchs steht ein fiktiver Mail-Wechsel mit Ihrer Verlegerin. „Ein Hundebuch in Tagen wie diesen? Ist das dein Ernst?“ fragen Sie da unter anderem und denken auch über die „Zurschaustellung des Privaten“ nach. Auch wenn das alles augenzwinkernd ist: Haben Sie sich diese Fragen beim Schreiben tatsächlich irgendwann gestellt?

Denis Scheck: Unser Buch besitzt eine gewisse Doppelbödigkeit. Ganz viele Kapitel erweisen anderen Autoren ihre Referenz, David Foster Wallace oder Dave Eggers beispielsweise. So verneigen wir uns vor einer ganzen Reihe von Autoren - und das fängt schon im Impressum an. Der E-Mail-Wechsel zu Beginn des Buchs ist eine Hommage an Kurt Tucholskys Liebesroman „Schloß Gripsholm“. Der beginnt mit einem Briefwechsel mit seinem Verleger Ernst Rowohlt und wir haben das so ein bisschen ins Heute übertragen und nachgebildet. Kurt Tucholsky schreibt schreibt Schloß Gripsholm 1930 und setzt sich mit dem Erstarken der Nazis auseinander. Und wir leben in politisch und pandemisch ähnlich bewegten Zeiten.

Es ist also gar kein Hundebuch?!

Denis Scheck: Doch, natürlich, es ist eben nur der Versuch, Literatur und Hund zusammen zu denken.

Ein Hund der liest - und schreibt

Das machen Sie nicht nur versteckt sondern auch ganz explizit: Indem Sie Stubbs‘ über Werke der Weltliteratur schreiben lassen – und zwar im Ruhrpott-Slang.

Christina Schenk: Er ist bei Dortmund geboren und da bot sich das an. Wir haben lange darüber nachgedacht, wie wir dem Hund eine eigene Stimme geben können.

Denis Scheck: Der Dialekt war der Ausweg aus der Niedlichkeitsfalle. Wenn man über Hunde schreibt, dann ist die Kitsch-Gefahr ja besonders groß. Und wir waren sehr unzufrieden mit unseren ersten hochsprachlichen Versuchen . Das erlösende Moment war dann wirklich die Idee, dass Stubbs einen Dialekt sprechen soll - so wie ich meinen schwäbischen Dialekt ja durchaus kultiviere - und diesen Dialekt dann eben aufs Papier zu bringen.

Wie haben Sie das denn überhaupt so authentisch hingekriegt?

Denis Scheck: Ich habe das große Glück, dass ich befreundet bin mit Claus Sprick, Autor des Standardwerks zur Sprache im Ruhrgebiet „Hömma“. Und der hat in einem einmaligen bell-etristischen Lektorat dafür gesorgt, dass Stubbs‘ Ruhrpottdeutsch tatsächlich auch astrein ist. Und auf der LitCologne, da freuen wir uns schon sehr drauf, haben wir einen Auftritt zu viert mit Dietmar Bär, der Stubbs Passagen für das Hörbuch eingelesen hat - und der kann als Dortmunder natürlich hervorragend Ruhrpott-Deutsch.

Neuer Inhalt (11)

"Der undogmatische Hund"

Denis Scheck, geboren 1964 in Stuttgart, lebt heute in Köln. Als literarischer Übersetzer und Herausgeber engagierte er sich für Autoren wie Michael Chabon, William Gaddis und David Foster Wallace, Antje Ravic Strubel und Judith Schalansky. Lange arbeitete er als Literaturkritiker im Radio, heute ist er Moderator der Fernsehsendungen »Lesenswert« im SWR und »Druckfrisch« in der ARD. Sein jüngstes Buch, »Schecks Kanon«, ist ein Spiegel-Bestseller.

Christina Schenk, geboren 1980 in Bonn, war Buchhändlerin in Papenburg, studierte Verlagswirtschaft in Leipzig, begann als Controllerin im WDR in Köln und arbeitet heute als Redakteurin für Kultursendungen im Radio und Fernsehen. Zusammen mit Stubbs trat sie drei Jahre in Folge bei den Bundessiegerprüfungen im Turnierhundesport an.

Der undogmatische Hund - Eine Liebesgeschichte zwischen einer Frau, einem Mann und einem Jack Russell, Kiepenheuer & Witsch, 288 Seiten, 22 Euro. E-Book 14,56 Euro.

Wie haben Sie – oder wie hat Ihr Hund – denn die Werke für „Stubbs‘ caniden Kanon“ ausgewählt?

Denis Scheck: Wir haben selber staunend festgestellt, wie groß die Rolle von Hunden in der Weltliteratur ist. Das fängt bei Paul Auster an, der in „Timbuktu“ darüber nachdenkt, was es bedeutet, wenn man das englische Wort für Hund - also dog - rückwärts liest. Da landet man ja beim lieben Gott und dieser Gleichklang von dog und god - der muss ja seine philosophische Bedeutung haben... Stubbs begeistert sich natürlich an dieser Interpretation. Seine Lieblingsautorin ist aber eigentlich - er spricht die immer so komisch aus: „Virginia Wuff“ - also Virginia Woolf mit dem Roman „Flush“.

Und liest man Literatur wieder neu mit den Augen eines Hundes?

Denis Scheck: Ich hatte eigentlich immer einen sehr positiven Eindruck von Thomas Manns „Herr und Hund“, und erst als Stubbs es las und mich drauf aufmerksam machte, was für ein fieser Kerl dieser Erzähler ist, der seine Hunde mit einer Lederpeitsche prügelt – das hat mir tatsächlich die Augen geöffnet.

Christina Schenk: Das ist ja das Tolle an Literatur, dass sie uns ermöglicht, in eine andere Haut oder eben ein Fell zu schlüpfen und eine ganz andere Perspektive einzunehmen.

Verkaufsschlager bleiben Katzenbücher

Und trotz allem sind Katzen-Bücher immer noch die größeren Verkaufsschlager – Hape Kerkeling hat es gerade wieder vorgemacht.

Christina Schenk: Katzen-Bücher verkaufen sich im Buchhandel definitiv besser als Hunde-Bücher. Die schlichte Erkenntnis die dahinter liegt ist, dass Katzenbesitzer einfach Zeit haben zum Lesen. Hunde-Besitzer müssen ja ständig Gassi gehen.

„Ein Hund relativiert vieles, ja im Grunde alles“, „Ein Hund bedeutet eine Wiederverzauberung der Welt“, „Hunde machen uns zu ethisch besseren Menschen“ – das sind nur drei Zitate aus dem Buch. Ganz schön viel Bedeutung für so ein kleines Tier wie Stubbs.

Denis Scheck: Mich interessiert es offen gesagt auch anthropologisch: Was macht uns eigentlich zum Menschen? Und wir haben uns ja vor etwa 35 000 Jahren mit dem Wolf zusammengetan, der während dieser Zeit zum Hund wurde. Aber wir, die wir uns in diese Bindung mit dem Wolf begaben, wir haben uns natürlich auch verwandelt. Der Wolf hat uns zu ganz andern Wesen gemacht als wir ursprünglich waren. Wir waren viel aggressiver, wilder, viel asozialer. Wir haben uns überhaupt erst in diesen Jahrtausenden von unserer Grundaggressivität befreit. Und in dieser Veränderung in unserem Wesen, darin liegt die Bedeutung des Hundes für uns.

Sie meinen, der Hund, beziehungsweise Wolf hat mindestens genauso den Menschen domestiziert wie anders herum?

Denis Scheck: Das ist eine wechselseitige Beziehung, das sind kommunizierende Röhren. Man könnte behaupten, der Hund oder der Wolf hat uns erst zum Menschen gemacht.

Sie schreiben, dass auch Sie selbst durch Stubbs offener und zugänglicher geworden sind.

Denis Scheck: Wir leben ja alle in unseren jeweiligen Bubbles. Aber gerade, wenn man die 35 überschritten hat, muss man immer mal wieder Türen öffnen in unbekannte Welten. Und ich hätte mir zum Beispiel nie träumen lassen, dass ich irgendwann mal mit dem Kölner Polizei-Hundesportverein zu tun haben könnte. Aber so ein Hund öffnet einem eben auch Erfahrungswelten und ich fand solche Bereicherungen eigentlich immer spannend.

Tierliebe und Tierquälerei

Die große Liebe des Menschen zum Hund steht in krassem Gegensatz dazu, wie wir andere Tiere behandeln, Schweine beispielsweise.

Christina Schenk: Die Zahl der Vegetarier hat in den letzten Jahren stark zugenommen, was ungewöhnlich ist, weil wir in unseren Ernährungsgewohnheiten gewöhnlich sehr konservativ sind. Da gibt es also schon einen großen gesellschaftlichen Fortschritt.

Denis Scheck: Stubbs Lieblingsladen in Köln ist übrigens die Biometzgerei Hennes in der Severinstraße. Was wir mit der Massentierhaltung und der Erzeugung von Quäl-Fleisch machen, ist eine Sauerei und geht buchstäblich auf keine Kuhhaut. Das ist natürlich auch ein Punkt, an den man unweigerlich kommt, beim Nachdenken über die Beziehung von Tier und Mensch. 

KStA abonnieren