Klassikkonzert vor der HaustürMusiker des WDR Funkhausorchesters besuchen Abonnenten

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Auftritt in Schwarz und mit lila Fliegen: die Musiker beim Hauskonzert

Auftritt in Schwarz und mit lila Fliegen: die Musiker beim Hauskonzert

  • Weil die Musiker des WDR Funkhausorchesters wegen der Corona-Pandemie keine normalen Konzerte spielen können, besuchen sie ihre Abonnenten zu Hause.
  • Zwar ist die Tonqualität nicht so gut wie im Konzertsaal, dafür ist die Stimmung besonders gelöst.
  • Einen ganz besonderen Moment erlebten die Musiker bei einem Auftritt in einem Pflegeheim.

Köln – Wie aus Kübeln gießt es in dem Vorort von Köln, so stark, dass man kaum ein paar Meter weit sehen kann. Die Menschen bleiben allesamt zu Hause und halten ihre Türen geschlossen – alle, bis auf das Ehepaar Weidler. Hier herrscht nervöse Stille, schließlich erwartet es einen Besuch der besonderen Art. Aber bei dem schlechten Wetter hat man Angst, dass das geplante Treffen im Freien sprichwörtlich ins Wasser fällt. Auch das Regenverdeck vor der Haustür kann daran wenig ändern; es läuft in kurzer Zeit voll.

Improvisiertes Konzert der Holzbläser vom WDR Funkhausorchester

Die Anspannung der Weidlers löst sich erst, als ein Tour-Bus mit verdunkelten Scheiben im Wendehammer zum Stehen kommt. Dem entsteigen drei sehr gut gelaunte und adrette Herren in Schwarz, mit lila Fliegen und Einstecktüchern, die das Gewünschte mitbringen: Musik. Nach dem Austausch von ein paar Begrüßungsworten ebbt langsam auch der Regen ab – und so setzen Georg Mertens, Dirk Schultheis und Paulo Ferreira bald ihre Instrumente an und legen los.

Sogleich öffnet sich das ein oder andere Fenster, Nachbarn und Freunde der Weidlers gesellen sich zu dem improvisierten Konzert der Holzbläser vom WDR Funkhausorchester. Die beginnen ihren kurzen, aber sehr vielseitigen Auftritt mit einem Mozart-Stück.

Köln: Musiker zum Anfassen

Doch bei Althergebrachtem soll es nicht bleiben, denn nach einem Tanz von Debussy, einem Tango, einem Walzer und einem Swing landen die drei Musiker sogar bei einer Melodie aus der allgemeinen Popkultur, die – wunderschön von den dreien interpretiert – dem Ort des Geschehens eine absurd-futuristische Note verleiht: der Titelmusik von „Star Wars“.

Ähnlich ungezwungen wie die Musikauswahl ist der Umgang der Musiker untereinander und mit dem Publikum; es wird gewitzelt und gelacht, die Stimmung ist gelöst. Es sind gerade der kleine, private Rahmen und die eher ungewöhnliche Umgebung eines Reihenhaus-Vorplatzes, die den Reiz der Veranstaltung ausmachen.

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Ein besonderes Konzerterlebnis boten die Musiker des WDR Funkhausorchesters. 

So stört es keineswegs, dass die Tonqualität der Musik nicht dieselbe ist wie im Konzertsaal, oder dass schon mal Autogeräusche oder der Wind dazwischenfunken. Denn wann erlebt man das schon mal: die Musiker des WDR-Funkhausorchesters „zum Anfassen“?

Entsprechend begeistert fallen die Reaktionen von Familie Weidler und ihren Gästen aus, welche zum Teil schnell die Berührungsängste mit den Musikern ablegen. „Haben Sie noch einen?“, ruft ein Herr aus dem Publikum den dreien vor der Zugabe zu. Der Flötist Georg Mertens und seine Kollegen an Klarinette und Fagott nehmen die anschließenden Dankesbekundungen nicht nur gerne entgegen, deutlich ist auch der eigene Spaß zu spüren.

Musiker sind positiv überrascht

„Wir waren selbst positiv überrascht, wie gut uns die Hauskonzerte gefallen. Es ist ein ganz anderes Gefühl, in so einem intimen Rahmen zu musizieren und auch mal ein wenig spontan sein zu können“, bemerkt Dirk Schultheis: „Jedenfalls waren wir bei unseren Konzerten an Pfingsten so sehr Feuer und Flamme, dass wir gleich noch sechs weitere bei unseren Abonnentinnen und Abonnenten angesetzt haben.“

Auch Georg Mertens berichtet von den vielen positiven Eindrücken, die sie in jüngster Vergangenheit gesammelt haben: „Vor allem ist es wunderbar, unsere Abonnenten persönlich kennen zu lernen. Zu normalen „Meet & Greets“ nach den Abo-Konzerten kommen oft so viele Menschen, dass man sich unmöglich mit jedem einzelnen beschäftigen kann. Das ist hier anders. Außerdem sind wir froh, überhaupt spielen zu können.“ Immerhin sind die Hauskonzerte in Zeiten von Corona die einzige Möglichkeit für sie, ihr Publikum live zu erreichen.

WDR-Funkhausorchester: Schon fast 40 Konzerte

Das ist auch der Grund, warum gleich mehrere Kleingruppen des WDR-Funkhausorchesters schon fast 40 Konzerte bei verschiedenen Privathaushalten in ganz NRW gegeben haben. Bei normalerweise drei Konzerten pro Auftrittstag bedeutet das für die Musiker ein eng getaktetes Programm: eine halbe Stunde spielen, Smalltalk mit den Anwohnern und deren Gästen halten, zum nächsten Konzertort fahren – und dann das Ganze von vorne.

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Ein großer Aufwand, der sich nur dank der puren Freude am Spielen und Gehört-Werden lohnt; denn Geld nimmt der WDR für die Hauskonzerte nicht. Einzig eine Spende darf laut Schultheis entrichtet werden – und zwar an die Deutsche Orchester Stiftung, die zurzeit private Gelder für notleidende Musiker sammelt. Auch wenn das bei den Hauskonzerten eigentlich nicht eingeplant ist, spenden viele Zuhörer aus eigener Initiative, um etwas zurückzugeben. Laut Schultheis haben sie so schon fast 1000 Euro für die notleidenden Künstler gesammelt – obwohl sie gar nicht versuchen, die Menschen zum Zahlen zu bewegen.

„Wir kommen jetzt zu Ihnen”

„Im Vordergrund stehen für uns die Konzerte an sich. Es ist ja leider so, dass die Leute momentan nicht zu uns kommen können – deshalb kommen wir jetzt zu Ihnen“, erklärt Mertens. Gerade der letzte Termin an diesem Tag – nach dem Auftritt bei den Weidlers – soll für ihn und seine Kollegen ein ganz besonderer werden.

Eine Abonnentin hatte ihr persönliches Hauskonzert an das Pflegeheim verschenkt, in dem sie arbeitet. Die schöne Geste für die schwerkranken Patienten rührte die Musiker so sehr, dass sie beschlossen, noch ein zweites Konzert anzuberaumen – und es diesmal bei der Pflegerin zu Hause stattfinden zu lassen.

Bei so viel persönlichem Engagement und Elan ist es am Ende weder ein Wunder, dass die drei Musiker ein beseligtes Lächeln auf den Lippen tragen, noch, dass sie bald weiterziehen. Innerhalb von Sekunden sind Notenständer und Instrumente eingepackt, und der Tour-Bus kann losfahren. Im Wendehammer wird es wieder still. Abgesehen von den Gästen der Weidlers: Die bleiben noch ein wenig und lassen das Konzert Revue passieren.

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