Regie-Star Ersan Mondtag im Interview„Ach, soll doch ein Komet die Erde auslöschen“

Lesezeit 6 Minuten
Ersan Mondtag im Garten des Kölner Schauspiels

Ersan Mondtag im Garten des Kölner Schauspiels

  • Ersan Mondtag gilt als größter Regie-Star der vergangenen Jahre. Aber seine Inszenierungen treffen auch auf scharfe Ablehnung.
  • Im Gespräch erzählt er, warum ihn der Zustand der Welt entsetzt und er nicht mehr fürs Theater arbeiten will.
  • Am Freitag feiert er am Schauspiel Köln Premiere mit Elfriede Jelineks „Wut“. Gespielt wird in einer Moschee, die sich aus einem Ei und zwei abgebrochenen Adlerfüßen zusammensetzt.

Ersan Mondtag, am Freitag feiern Sie mit „Wut“ Premiere. Einen Text von Elfriede Jelinek zu inszenieren, das war schon lange ein Wunsch? Mondtag: Ja, genau. Ich habe auch vor, in den kommenden 30 Jahren alle Jelinek-Stücke zu inszenieren. Jedes Jahr eines.

In Ihren Arbeiten herrscht das Primat des Bildes. Jelinek überflutet Regisseure mit Text. Geht das gut zusammen?

Das passt wunderbar. Das sind ja Sprachbilder, die dort entstehen. Jelinek ist eine Bildmaschine. Diese Bilder kann man nur mit Gegenbildern kontern, damit da eine Spannung zwischen Bühne und Sprache entsteht. Innerhalb dieser Spannung bewegt sich der Sprecher, und daraus entstehen einzigartige Momente.

Alles zum Thema Film und Fernsehen

Zur Person

Ersan Mondtags Arbeiten bewegen sich zwischen Installation, Performance und Theater, er ist auch sein eigener Bühnenbildner. Drei Inszenierungen des Berliners (Jahrgang 1987) wurden bereits zum Berliner Theatertreffen eingeladen. In Köln feiert er am Freitag mit Elfriede Jelineks „Wut“ seine vierte Premiere.

Weitere Termine: 27.9.; 9., 17., 18.10.; 7., 8. 11., Depot 1

Jelinek hat „Wut“ 2015 geschrieben, als Reaktion auf den Anschlag auf die „Charlie Hebdo“-Redaktion. Sind neue Texte dazu gekommen?

Nein. Das Stück geht ja auch nicht nur um „Charlie Hebdo“ oder um Terror-Anschläge per se. Das ist bei Jelinek viel komplexer. Es geht auch um die Gestaltung und Verbreitung von Bildern. Und da ist das Mittel des Terrorismus interessant. Wir haben uns vor allem auf diese Bilder-Produktion konzentriert.

„Charlie Hebdo“ zeigt Mohammed-Karikaturen ...

.. und auf der anderen Seite der Welt stellt das Gewalt her. Bis zu Anschlägen wie den auf „Charlie Hebdo“ und den jüdischen Supermarkt, die dann wieder gefilmt werden, um sie als Bilder in die Welt zu setzen. Das sind alles Bildproduktionen. Wir haben eine Moschee auf der Bühne gebaut. Im Islam ist die Bildproduktion verboten. Das macht die Sache noch komplexer.

Es ist aber keine gewöhnliche Moschee?

Nein, es ist eine Kuppel und zwei Minarette, die sind aber zugleich Adlerfüße. Die Kuppel ist ein Ei und die Küken darin sind degeneriert und werden zu Tätern. Der deutsche Adler hat quasi die Aufsicht verloren über sein Volk. Es geht auch viel um rechten Extremismus im Text.

Wie spricht denn der Text heute zu Ihnen? Haben sich neue Bedeutungen ergeben?

Aus der Situation, in der wir uns gerade befinden, kommt man natürlich nicht raus. Es gibt eben eine Zeit vor und eine nach Corona, und die Zeit davor wird es nie wieder geben. Es ist im Moment seltsam zu arbeiten, zu proben, weil man einfach nicht weiß, für wen man noch spielt. Die Krise des Theaters wird noch größer werden, wenn man erst mal merkt, dass das Publikum ausbleibt. Das ist verunsichert, fragt nach Hygienekonzepten. Da können wir nicht so tun, als ob wir gerade ein ganz normales Theaterstück machen. Eine Gruppe, die unter diesen Bedingungen Theater macht, zu thematisieren, ist auch Teil des Abends. Dafür findet man sogar Textstellen bei Jelinek.

Jelinek als Spiegel

Weil ihre Texte viele Anknüpfungspunkte enthalten ...

Ja, die sind immer ein ganzes Universum. Je nachdem, mit welchem Blick man hineinschaut, sieht man ganz verschiedene Stücke. Deswegen ist sie die große Regietheater-Autorin, die ja auch genau das von den Regisseuren verlangt: Ihr müsst daraus ein Stück basteln, ich gebe euch keine Handlungsanweisungen. Sie ist wie ein Spiegel, in den man hineinschaut, und jede Inszenierung ist anders. Je nachdem, wer hineinschaut. Man kann sich darin richtig austoben.

Was sehen Sie in „Wut“?

Ich sehe ganz viel Einsamkeit und Vereinzelung, ganz viel Schmerz und Trauer. Auch eine völlige Überforderung, nicht nur im Text, auch bei den Schauspielern. Verzweiflung und Ohnmacht ob der Situation, in der man steckt. Es geht auch ganz viel um Spott. Was ist dieser Spott, ist das überhaupt Kunst? Denken Sie an den Fall Lisa Eckhart. Mit welcher Aggression man da einfordert, dass Dinge lustig zu sein haben. Wir erleben eine extreme Übersteuerung von Positionen, und eigentlich bricht alles gerade auseinander.

Das führt alles zum titelgebende Gefühl, Wut.

Ja, tatsächlich. Aber in der Inszenierung geht es weniger ums Wütendsein, sondern darum, dass einen die Wut verlässt. Das ist dann der letzte Atemzug, der göttliche Atem ist aus einem raus. Man liegt da nur noch als Hülle. Der Abend handelt auch vom Sterben und vom Aufhören.

Entsetzen statt Wut

Ist Wut ein wichtiger Antrieb für Sie?

Nein, wütend bin ich nicht mehr viel. Die Zeit des Wütendseins ist vorbei, es ist eher ein komplettes Entsetzen über alles, was passiert. Manchmal denke ich mir, ach soll doch einfach ein Komet die Erde auslöschen. Es fällt mir sehr schwer, Hoffnung zu haben, so wie die Welt gerade ist. Der Mensch hat sich selbst in seine Auslöschung hineinbewegt. Wahrscheinlich hat am Ende die Bibel recht, wenn sie in der Apokalypse endet.

Aber wie motiviert man sich im Angesicht der Apokalypse dazu, Theater zu machen?

Ich mache das ja nicht, um die Leute zu unterhalten oder ihnen zu gefallen. Sondern, um mich selbst auszudrücken. Und ein Ausdruck kann auch darin bestehen, dass man sagt: Ich hasse euch. Diese Verzweiflung, die wird man auch an dem Abend spüren. 

Moral als Affront

Als Sie in Köln „Die Räuber“ inszenierten, haben sie Schillers Text nahezu unberührt gelassen. Das Publikum war dennoch ungehalten.

Die meisten haben sich ja über den Monolog an Ende aufgeregt, den Carolin Emcke für die Inszenierung geschrieben hat. Da hört man stundenlang einem 250 Jahren alten, toten Mann dabei zu, wie er über Moral referiert, und dann kommt für zehn Minuten eine Gegenwartsposition von einer lesbischen Frau, und dann sagen alle: Oh, der moralische Zeigefinger! Genau das wollte ich erzeugen: Für zehn Minuten hören wir mal Gegenwartsmoral. Wie schnell man dann die Fassung verliert! Der Jelinek-Abend wird jetzt aber viel unterhaltsamer.

Ist Unterhaltung unverzichtbar?

Gutes Theater unterhält ja automatisch. Aber man macht nicht Theater, um zu unterhalten. Außerdem ist das relativ. Ich bin unterhalten, wenn ich mir Horrorfilme anschaue. Ich kann mir nicht vorstellen, was jeden einzelnen Zuschauer unterhält. Sonst könnte man ja einen Roboter da hinstellen, der einen Algorithmus ausrechnet, wie jeder perfekt unterhalten wird.

Horrorfilme waren die erste Kunstform, mit der Sie in Berührung gekommen sind. Was war da ein prägender Film?

„Halloween“, von John Carpenter. Die passen jetzt auch gerade gut in die Zeit, Horrorfilme. 

Schluss mit dem Theater

Sie haben auch neulich gesagt, Sie könnten sich auch vorstellen, kein Theater mehr zu machen? 

Mach ich ja auch nicht mehr. In der nächsten Spielzeit mache ich tatsächlich gar kein Theater mehr. Nur noch Opern. Und ich arbeite an einem Film. 

Warum gerade Oper? 

Weil Oper weitsichtig und international ist. Eine Oper kann ich in Antwerpen inszenieren und von überall aus der Welt kommen Künstler angereist. Oper ist die größte zivilisatorische Errungenschaft der Menschheit. Sprache, Musik, Instrumentenbau, Architektur, Mode, Kunst, Gesang, da kommt ja alles zusammen. 

KStA abonnieren