Schöne, schreckliche Vergänglichkeit

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Das ganz normale, banale Leben, sagt Wolfram Lotz, habe er versucht, in seinem Rhythmus zu erfassen. Gewissermaßen mit seinem Text im Takt des Alltags mitzuschwingen, oder, wie Lotz es sagt: „Anwesend zu sein im Leben.“ Und das klingt so: „Der traurige Gesang der Kaffeemaschine/ Unvollständige Enzyklopädien/ Hingesagtes/ Auf Stadtplänen zurückgelegte Wege/ Buchführung über Regentage.“

Diese Liste, die kein Drama und keine Gedicht ist, und der er den Namen „Fusseln“ gab, hat Lotz schon vor rund zehn Jahren geschrieben und sie 2011 im kleinen, feinen Kölner Verlag Parasitenpresse als Broschüre veröffentlichen lassen.

Seitdem ist viel passiert: Mit seinen Stücken „Der große Marsch“, „Einige Nachrichten an das All“ und vor allem „Die lächerliche Finsternis“ stieg Lotz an die Spitze der deutschsprachigen Gegenwartsdramatik auf.

Auch wenn die kein Wettbewerb ist, muss man doch feststellen, dass kein anderer Dramatiker in den vergangenen Jahren so häufig aufgeführt, so heftig diskutiert und so oft ausgezeichnet wurde wie der 38-jährige Schwarzwälder, der gleich in seinem ersten Stück dreist behauptet hatte „Die meisten Theaterleute sind Arschgesichter“. Weil Schreiben nun mal einsam und asozial sei und man sich nicht gemeinmachen dürfe.

Der Erfolg beschränkte sich nicht auf den deutschsprachigen Raum. „Die lächerliche Finsternis“ wurde in bislang 15 Sprachen übersetzt. Wolfram Lotz jedoch hat nach diesem Erfolg lange geschwiegen. Natürlich, sagt er, hätte er „Die lächerliche Finsternis“ einfach noch mal schreiben können. „Aber eben auch schlechter. Das ist das Komische mit dem Erfolg, der zeigt ja auch, dass man irgendwo hinspricht, wo schon alle sind. Ich würde jetzt nicht sagen, dass »Die lächerliche Finsternis« nur etwas wiederholt hat, ich bin damit schon zufrieden. Ich will ja auch nicht einfach die Leute vor den Kopf stoßen, ich bin auch anfällig dafür, geliebt zu werden. Aber eigentlich muss man als Autor irgendwo hin, wo alle anderen erst einen Augenblick brauchen, um da auch hinzugehen. Um diese Bewegung geht es ja.“

Das Schreiben, sagt Lotz, handele von der Autonomie, und die sei gerade nach seinem Durchbruch so gefährdet gewesen, dass er nicht einfach an derselben Stelle weitermachen konnte. Also zog Lotz mit Frau und Kindern in einen kleinen französischen Ort in der Nähe von Colmar und schrieb ohne ökonomischen Druck ein Jahr lang an einem „Totaltagebuch“, einer wahnwitzigen Weltbeobachtung, die mit dem Aufstehen begann und mit dem Zubettgehen endete und die Lotz schließlich von seinem Computer löschte. Trotzdem, ein Gewinn: „Ich konnte ein Jahr lang auf eine andere Art auf die Welt zugehen als mit der Frage, wie das verwertbar ist. Es geht beim Schreiben eben nicht darum, ein Produkt herzustellen, sondern etwas herauszufinden. Was ist los? Wo bin ich hier? Worum geht es denn eigentlich? Und nicht: Passt das jetzt bis nächsten März auf diese Bühne? “

Nebenbei jedoch schickte Lotz sein Frühwerk „Fusseln“ an die junge Regisseurin Charlotte Sprenger, die am Schauspiel Köln als Regieassistentin angefangen hat und mittlerweile an großen Häusern inszeniert, am Thalia und am Deutschen Theater, in Linz, Karlsruhe, aber auch immer wieder am Kölner Theater der Keller.

Er schätze die Gewissenhaftigkeit, Zartheit und Uneitelkeit, mit der Sprenger an Texte herangehe, sagt Lotz. „Da habe ich ein großes Vertrauen, weil ich weiß, dass diese Auseinandersetzung mit dem Text am Anfang da war und jede Antwort auf der Bühne richtig sein wird.“ Sprenger wiederum entdeckte in der neuen Deutzer Halle des Theaters der Keller den idealen Ort für „Fusseln“ und in den Schülern der renommierten Schauspielschule des Theater die idealen Sprecher für diesen Text.

„Ich fand, dass dieser Text von einem Chor junger Menschen gesprochen werden müsse“, sagt Sprenger. „Das Schönste und Schrecklichste am Theater ist ja seine Vergänglichkeit, und das ist dieser Text für mich, mit seiner Aneinanderreihung von Aussagesätzen, von Momentaufnahmen, die vielleicht das Leben ausmachen. In jedem Fall wecken diese Sätze in mir eine Sehnsucht nach dem Leben, frage ich mich bei ihnen, warum lebt man eigentlich nicht?“

„Fusseln“, pflichtet Lotz ihr bei, sei eine Art Klagegesang über all diese kleinen Dinge, die verschwinden werden, oder über das Vorbeigehen all dieser Augenblicke: „Unerwiderte Liebe zu Igeln/ Nie abgeschickte Briefe/ Im Impressum verschwundene Namen.“ Der Text habe einerseits etwas sehr Wehmütiges, inzwischen könne er daran selbst den Verlust seiner Jugend ablesen. „Andererseits versucht der Text, all diese Dinge, diese Augenblicke noch einmal ins Licht zu holen.“

Sein Schreiben, schätzt Lotz, bewege sich zwischen zwei gleichermaßen unerreichbaren Polen. Da sei zum einen die Formel, der Versuch, etwas in seiner höchsten Konzentration zu erfassen, und, zum anderen, die Enzyklopädie, die endlose Aneinanderreihung der Dinge.

Beides lässt sich nicht einfach unbearbeitet auf die Bühne bringen. Das Stück, sagt Sprenger, fordere einen dazu heraus, eine Geschichte ohne Plot zu erzählen. „Je öfter man es liest, desto mehr möchte man darüber wissen, aber man kriegt es nie so richtig zu fassen.“

Dass „Fusseln“ und im geringeren Maße auch seine anderen Stücke nach Regie geradezu verlangen, gibt Lotz gerne zu. Aber er schreibe ganz bewusst für die Bühne: „Erzählen heißt, dass nach A B kommt und auf B C folgt. Aber meine Wirklichkeitsempfindung ist flächiger, netzartiger. Der Roman strebt in die Weite, das Drama läuft auf eine Zuspitzung hinzu.“

Der stellt Lotz jedoch seine Aufzählungsmanie entgegen. Gerade daraus, sagt er, entstehe ja ein Dialog: „Es ist schrecklich, weil die anderen etwas anderes mit deinem Text machen, als du dir vorgestellt hast. Aber das ist gerade auch wieder das Schöne, eine Erlösung in das Soziale hinein. Jemand antwortet auf dein Selbstgespräch.“

TERMINE

„Fusseln“ feiert am Silvesterabend seine Premiere im Theater der Keller mit gleich zwei Aufführungen, um 19 und um 22 Uhr, in der TanzFaktur, Siegburger Str. 233W.

Weitere Termine: 9., 23. Januar, 13., 28. Februar

Regisseurin Charlotte Sprenger

Autor Wolfram Lotz

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