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Attila Hildmann und Co.Hallo, hier spricht Ihr ferngesteuertes Schlafschaf

Lesezeit 4 Minuten
Schafe

(Schlaf)-Schafe

  1. Bill Gates will die Weltbevölkerung dezimieren. Oder sterilisieren. Oder kontrollieren. Corona gibt es gar nicht. Oder das Virus wird von 5G verursacht. Ganz einig ist man sich da nicht, aber es ist auf jeden Fall wahr!
  2. In Telegram-Gruppen wie der von Attila Hildmann, der sich nicht länger zum Kochbuch-Schreiben sondern zur Rettung der Menscheit berufen fühlt, gehen die wildesten Geschichten um.
  3. Ein Frühstücksausflug in den Mikrokosmos der Erleuchteten

Es ist 9 Uhr morgens, ich sitze am Küchentisch, trinke Kaffee – und lese mich durch Attila Hildmanns Chatgruppe (falls Sie den Mann nicht kennen: ein Kochbuch-Autor, der jetzt die Welt vor Bill Gates retten möchte). Dort lerne ich viel, vor allem über mich selbst. Ich bin, das sollten Sie an dieser Stelle schon mal erfahren, zum Beispiel gar kein Mensch. Ich bin wahlweise ein Schlafschaf, Abschaum, oder auch einfach nur „die Medien“. Ist aber eigentlich auch egal, denn bald, wenn Hildmann an die Macht kommt, drohen mir so oder so Konsequenzen, soviel hat er schon angekündigt.

Gehaltsbonus von Bill Gates

Bis dahin kann ich das Leben genießen, denn offenbar werde ich viel besser bezahlt, als ich immer dachte. Ob jetzt von Merkel oder Gates, da blicke ich noch nicht ganz durch, aber das wird mir schon noch jemand erklären. Auch was meine Meinung angeht, habe ich noch Fragen. Tina meint, die wäre gekauft. Eckard hingegen glaubt, ich sei hypnotisiert oder im Tiefschlaf. So tief kann der allerdings nicht sein, denn Karin sagt, mir geht die Muffe. Dirk wiederum findet...

Entschuldigung, ich war kurz abgelenkt. Olga hat gerade erklärt, dass sich eines fernen Tages Indigos und Reptos einen „Endkampf“ liefern werden und dass Vögel 5G-Masten angreifen und irgendwie sind wir jetzt beim Thema Zombies gelandet.

Wo war ich? Ach ja. Medien. Laut Sarah bin ich als Journalistin Teil der Elite. So elitär kann die allerdings nicht sein, denn Steven glaubt, Gates hätte mit gerade mal 200.000 Euro „Die Zeit“ gekauft.

Von Microsoft bis Matcha

Moment, Hildmann selbst macht jetzt Werbung für die alternative Suchmaschine Ecosia. Sollte man ihm sagen, dass deren Ergebnisse von Microsoft kommen? Zu spät, der Chat ist jetzt beim Thema Reformhaus angelangt. Wo kommt denn nun der Holocaust-Vergleich her? Und warum wird plötzlich über Matcha geredet? Ich hab den Faden verloren. Vielleicht doch erst einmal noch einen Kaffee.

Chatgruppen wie die von Attila Hildmann sind dieser Tage mein Crack. Eine perfide Mischung aus Faszination und Erschrockenheit bringt mich dazu, immer mal wieder reinzuschauen, so wie man sich zu den Hochtagen des Reality-TV von einem Sender zum nächsten gezappt hat. Die Chats bedienen jede Laune. Aufbruchsstimmung? Kein Problem, irgendwer ruft hier schon zur Revolution auf. Gelangweilt? Aber auch nur bis Bernd vom BND das ganz heiße Insiderwissen über Trumps geheimen Plan zur Rettung der Welt auspackt. Auf der Suche nach was fürs Herz? Auch kein Problem, einfach ein bisschen scrollen und lesen, wie Hildmann einst quasi im Alleingang die Tiger dieser Welt gerettet hat.. oder so ähnlich. Und so wie manche Kollegen beim Fußball nicht anders können, als Richtung Fernseher zu schreien, erwische ich mich dabei, wie ich kurz davor bin in Großbuchstaben in mein Handy zu hauen: „Nein, die Regierung, die Medien „vertuschen“ deine „Quellen“ und deine „Wahrheiten“ nicht, sie verbreiten einfach deinen kompletten Bullshit nicht weiter!“

Attila Hildmann und Co. geht es nicht um Erkenntnisgewinn

Ich tippe es nicht in den Chat. Nicht mal in kleinen Buchstaben. Denn diese Chaträume, diese Mikrokosmen der pseudokausalen Zusammenhänge und wutgeladenen Märchen als etwas anderes als abstruse Unterhaltung zu sehen, wäre ein Fehler. Das, was dort als „Wahrheitssuche“ verkauft wird, ist kein offener, logischer Diskurs. Die „Thesen“, die dort verbreitet werden, ließen sich mit ein bisschen Medienkompetenz und einer Google-Suche in weniger als zwei Minuten widerlegen (zum Beispiel hier oder hier oder hier). Doch weder Olga noch Tina noch Attila geht es um Erkenntnisgewinn. Was sie suchen ist die Bestätigung ihres Weltbildes, die Anerkennung in einer Gruppe von Gleichgesinnten, die sich von der „Masse an Schlafschafen“ abhebt. Dagegen anzudiskutieren ist so zielführend, wie jemanden von seiner religiösen Überzeugung abbringen zu wollen.

Also freue ich mich über meinen Gates-(oder doch Merkel?)-Gehaltbonus – und lege dann das Handy weg, um wieder in die reale Welt zurückzukehren. In der gibt es nämlich tatsächlich Menschen, die gehört, und Probleme, die gelöst werden müssen. Zum Beispiel zu den schwierigen wirtschaftlichen und auch privaten Folgen, die die Corona-Politik für viele Menschen hat. Oder auch dazu, wie Retchtsextremisten genau die Mikrokosmen unterwandern, über die ich beim Kaffee noch gelacht habe. Mit Reptos, Gates, 5G und Matcha hat all das herzlich wenig zu tun. Määääh!