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„Wir haben vier Menschen retten können“Wie eine Hundeführerin aus NRW im Erdbeben-Chaos der Türkei half

Lesezeit 5 Minuten
Fünf Retter in Warnanoraks suchen in Trümmern nach Überlebenden.

Die Retter aus Deutschland konnten in der Türkei Menschen lebend bergen.

Nach tagelangem Einsatz im Erdbebengebiet in der Türkei landen diese Woche mehrere Such- und Rettungsteams am Flughafen Köln/Bonn. Sandra Pilger, Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivmedizin aus Iserlohn, war mit ihrem Hund Hero dabei - hier berichtet sie von ihren Eindrücken.

Beifall und Jubel von Familienangehörigen, Freunden und hier lebenden Türken waren groß, als in dieser Woche mehrere Such- und Rettungsteams aus Deutschland nach tagelangem Einsatz im Erdbebengebiet in der Türkei zurückgekehrt sind. Am Flughafen Köln/Bonn landete ein Cargo-Flugzeug mit fast hundert Einsatzkräften und einer Hundestaffel an Bord. Das Technische Hilfswerk (THW) hatte ein 50-köpfiges Team in das türkische Katastrophengebiet geschickt, die Hilfsorganisationen I.S.A.R. Germany und BRH Bundesverband Rettungshunde aus Nordrhein-Westfalen waren mit 42 Helferinnen und Helfern dabei.

Zu letzteren gehörte Sandra Pilger mit ihrem Hund Hero. Die Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivmedizin aus Iserlohn im Märkischen Kreis berichtet uns hier von ihrer Arbeit und den Eindrücken, die sie in der Türkei gesammelt hat.

„Ich war in dem Dorf Kirikhan in der Provinz Hatay, und zwar als Mitglied der Organisation I.S.A.R. Germany – das steht für International Search and Rescue, also für die Suche nach und Rettung von Personen, die etwa Opfer von Erdbeben werden. Ich bekam am 6. Februar um 4 Uhr 46 Ortszeit, also um 2 Uhr 46 Mitteleuropäischer Zeit einen Anruf – rund eine halbe Stunde, nachdem in der Türkei die Erde zum ersten Mal gebebt hat. Mit diesem Anruf sind wir als zertifiziertes Team alarmiert worden. Wir nehmen diese Aufgabe ehrenamtlich wahr und müssen mit unseren Arbeitgebern klären, ob wir freigestellt werden können. In meinem Fall hat sich der Arbeitgeber sofort bereit erklärt und mir die entsprechende Genehmigung erteilt – ich arbeite im Iserlohner Sankt-Elisabeth-Krankenhaus als Anästhesie-Fachschwester.

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Es gab zahlreiche Obdachlose

Der Gebäudeeinsturz, diese großflächige, massive Zerstörung von Infrastruktur, das habe ich in der Form noch nie gesehen. Es gab zahlreiche Obdachlose, deren Unterkünfte total zertrümmert waren. Ich war mit meinem belgischen Schäferhund Hero vor Ort, als eine von sieben Hundeführerinnen und –führern. Insgesamt waren wir 42 Team-Mitglieder, die mit I.S.A.R. gereist sind, außer der Hundestaffel eine Tierärztin, sechs Ärzte, mehrere Schadensplatz- und Baufachberater, wir hatten ein großes Management-Team und weiteres medizinisches Fachpersonal von Intensivkräften bis zu Notfallsanitätern, ein Bergungsteam, Logistiker, ein Verpflegungsteam vor Ort. Wir haben uns das Camp mit dem Technischen Hilfswerk geteilt; dort haben wir Zelte aufgebaut, geschlafen haben wir auf Feldbetten, und die Hunde hatten ihren gewohnten Rückzugsort in der Box.

Alle Hunde vor Ort waren speziell für die Trümmerarbeit geprüfte Rettungshunde. Wir treffen uns seitens I.S.A.R. einmal im Monat in Weeze, um speziell die Situation bei Erdbeben und in der Trümmersuche zu trainieren. Ansonsten trainiere ich in meiner BRH-Staffel; die Ausbildung der Hunde dauert mindestens zwei bis zweieinhalb Jahre. Der BRH bietet die Möglichkeit, auf Trümmergeländen mit unterschiedlichen Anforderungen zu trainieren. Dafür ermöglicht der BRH Spezialseminare an Wochenenden.

Für die Hunde ist das ein Spiel: Das Opfer hat „das Spielzeug“ – wir bringen den Hunden bei, jeglichen menschlichen Geruch zu verfolgen und anzuzeigen. Trainiert wird an den unterschiedlichsten Trümmerorten – die Trainingsplätze werden dafür hergerichtet. Die Hunde müssen ja mit unterschiedlichen Schichtungen, Tief- und Hochanzeigen zurechtkommen, das setzt eine Menge Koordination voraus. Das ist kein Waldspaziergang, sondern für beide – Hund und Trainierende – gefährlich. Die Gefahr ist ein ständiger Begleiter. Aber ich sage es mal so: Wir haben uns dafür gemeldet, und dann ist das so.

Erdbebenrettung: Kontakt zu Verschütteten aufnehmen 

Wir haben vier Menschen retten können. Das erste Opfer, eine Frau, wurde von I.S.A.R. Turkey gefunden – die Kollegen haben uns verständigt, und daraufhin hat sie der Bergungstrupp mit seinem Spezialgerät geborgen. Man pickt sich durch die Schichtungen, nimmt Kontakt mit den Verschütteten auf, eine Kollegin oder ein Kollege aus dem medizinischen Team ist ebenfalls zugegen, sodass die Person vorversorgt werden kann, bis sie nach der eigentlichen Bergung dem Rettungsdienst übergeben werden kann.

Das alles ist Teamarbeit, wir sind alle bei diesem Vorgang dabei. Es beginnt mit der Witterung der Rettungshunde, anschließend kommen die Bergungsspezialisten zum Zug, dann arbeiten wir uns durch die Trümmer, bis das medizinische Personal übernimmt. Da greift ein Zahnrad ins nächste.

Ich selbst war noch nie in einer Situation wie jetzt in der Türkei. Es waren allerdings Teammitglieder dabei, die über Erfahrung bei Einsätzen im Ausland verfügten. Vor Ort haben wir bereits viel über unsere Erfahrungen und Wahrnehmungen gesprochen, und wir werden auch weiterhin von I.S.A.R. Germany betreut. Es braucht sicher einige Tage, bis sich die Eindrücke gesetzt haben. In Hünxe gibt es demnächst eine Materialaufbereitung, dann wird ein teaminternes Debriefing stattfinden, bei dem wir alle noch einmal die Situation besprechen und reflektieren. Das Angebot lautet generell, dass jeder, der Probleme mit dem Erlebten bekommt, jeden anderen anrufen kann. Auch zu den Ärzten können wir jederzeit Kontakt aufnehmen.“

Aufgezeichnet von Frank Olbert.

Infos

Technisches Hilfswerk (THW)

Das 50-köpfige Team der Schnell-Einsatz-Einheit „Bergung Ausland“, dem auch ein ehrenamtlicher Kölner THW-Helfer angehört, ist am Montagabend am Flughafen Köln/Bonn gelandet. Während des sechstägigen Einsatzes hat das THW-Team an zahlreichen Einsatzstellen die Trümmer abgesucht und konnte zwei verschüttete Frauen lebend retten.

Parallel dazu hat das THW rund 105 Tonnen Hilfsgüter für die Türkei zu einem Bundeswehr-Flughafen bei Hannover transportiert. Die Lieferungen aus dem THW-Logistikzentrum Baden-Württemberg umfassten Zelte, Heizlüfter, Zeltheizgeräte, Stromerzeuger sowie Decken.

Im THW-Logistikzentrum Baden-Württemberg stehen außerdem rund 370 Paletten mit Hilfsgütern für Nord-West-Syrien bereit, deren Transport durch eine Spedition in das Katastrophengebiet in Syrien bereits begonnen hat.

Das THW hält weiterhin eine Schnell-Einsatz-Einheit „Wasser Ausland“ (SEEWA) zur Trinkwasser-Aufbereitung bereit, die im Falle eines Hilfeersuchens der Türkei zeitnah zum Einsatz gebracht werden kann.

Das THW ist eine Bundesbehörde und finanziert seine Arbeit aus Steuergeldern. Für Auslandseinsätze stellt das Auswärtige Amt die entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung. Als Bundesbehörde nimmt das THW selbst keine Spenden an. Es ist aber möglich, für die Erdbebenhilfe an die THW-Stiftung, www.stiftung-thw.de, oder die THW-Bundesvereinigung e.V., https://www.thw-bv.de/, zu spenden. (F.O.)

Stiftung Technisches Hilfswerk, IBAN: DE03 3705 0198 1900 4433 73

THW-Bundesvereinigung e.V., IBAN: DE17 1004 0000 0207 2015 01

Durch Spenden können ebenfalls unterstützt werden:

BRH Bundesverband Rettungshunde e.V., Deutsche Bank, IBAN: DE74 6707 0024 0920 1070 00,

I.S.A.R. Germany Stiftung gGmbH, Bank für Sozialwirtschaft, IBAN: DE25 3702 0500 0001 1825 00, oder Sparkasse Duisburg, IBAN: DE48 3505 0000 0200 2687 87

Johanniter Unfallhilfe, IBAN DE23 3702 0500 4336 8602 12

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