Massenmörder„Vampir von Düsseldorf“ war Kölner

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Polizeiaufnahme des Massenmörders Peter Kürten, die anlässlich des großen Prozesses gegen den Massenmörder von Düsseldorf aufgenommen wurde. Kürten wurden neun Morde und sieben Mordversuche zur Last gelegt.

Polizeiaufnahme des Massenmörders Peter Kürten, die anlässlich des großen Prozesses gegen den Massenmörder von Düsseldorf aufgenommen wurde. Kürten wurden neun Morde und sieben Mordversuche zur Last gelegt.

Köln/Düsseldorf – In Mülheim wird Kirmes gefeiert, als Peter Kürten zum ersten Mal einen Menschen umbringt. „In der vergangenen Nacht ist in einer Wirtschaft an der Wolfstraße ein scheußliches Verbrechen verübt worden“, schreibt der „Stadt-Anzeiger zur Kölnischen Zeitung“ am 26. Mai 1913: „Anscheinend handelt es sich um einen Lustmord, der an dem neunjährigen Töchterchen des Wirts begangen worden ist.“

Die Wolfstraße heißt heute Keupstraße. An der Kreuzung mit der Holweider Straße befindet sich noch heute eine Gaststätte. Gilden-Kölsch verheißt eine alte Reklame, die leicht ergraute Fassade verrät das Alter des Hauses: „Anno Dom 1901“. Einst betrieb Peter Klein hier eine Schankwirtschaft. Es ist spät abends, als Kleins Frau ihre Arbeit beendet hat und die Treppe zu ihrer Wohnung im ersten Stock hinaufsteigt. Sie will noch einmal nach ihrer Tochter Christine sehen, die sie schon vor Stunden zu Bett gebracht hat. Nun ist die Neunjährige tot – sie wurde grausam misshandelt. „Mit Bestimmtheit ist anzunehmen, dass der Mörder die Hände und Kleider mit Blut befleckt hatte“, verlautbart der „Stadt-Anzeiger“ am Tag danach.

Geplant war die Bluttat nicht. Peter Kürten, gerade aus der Haft entlassen, ist eigentlich auf Diebstähle in Wirtshäusern spezialisiert. Er will den Kirmestrubel nutzen, um an der Wolfstraße seinen nächsten Coup zu landen. Dafür ist er aus Düsseldorf angereist. In Mülheim kennt er sich aus – hier ist er aufgewachsen. Doch an der Wolfstraße entdeckt er keine Wertsachen, dafür die Lust am Töten. Es regt ihn an, „das Blut rauschen zu hören“, wie er 18 Jahre später im Mordprozess aussagen wird. Da hat Kürten etliche Menschenleben auf dem Gewissen: Vor dem Düsseldorfer Schwurgericht gesteht er 1931 neun Morde und sieben Mordversuche.

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„Er war ein Sadist“, sagt die Literaturwissenschaftlerin und Kürten-Expertin Verena Meis von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Mit der Historikerin Heidi Sack hat sie ein Seminar und Symposium zum Fall Peter Kürten veranstaltet, dessen Ergebnisse in einen umfangreichen Internetauftritt mündeten. Titel: „Der Vampir von Düsseldorf – die Akte Kürten.“

Seine ersten zehn Jahre verbringt Kürten im damals noch eigenständigen Mülheim am Rhein. Zwölf Geschwister hat der Drittgeborene, der Vater ist Sandformer in einer Gießerei, alkoholabhängig und gewalttätig. Seine Kindheit sei ein Martyrium gewesen, sagt Kürten. Sadismus, Sodomie und Tierquälerei gehören früh zu seinen Taten, wegen Diebstählen und Einbrüchen landet er immer wieder im Gefängnis. Mit acht Jahren stößt er zwei Freunde von einem Floß in den Rhein und spürt große Freude beim Anblick ihres Todeskampfes.

Nach eigenen Angaben versucht Kürten mit 13 zum ersten Mal, ein Schaf zu missbrauchen – und tötet es. Im Düsseldorfer Hofgarten will er später einem Schwan mit einem Messer den Hals durchschnitten haben. Der Geflügelwärter findet das verstümmelte Tier, aber kein Blut – der Beginn der Legende vom „Vampir von Düsseldorf“.

Im Mai 1913, als Kürten mit seinem Taschenmesser die Neunjährige tötet, wohnt er bereits in Düsseldorf, wohin seine Familie 1893 gezogen ist. Viele Jahre bleibt es anschließend ruhig. Doch Ende der 1920er Jahre beginnt er in Serie zu morden; seine Taten lösen eine Massenhysterie aus. 12 000 Hinweise gehen bei der Polizei ein. Schließlich werden 15 000 Reichsmark Belohnung auf die Ergreifung des „Massenmörders von Düsseldorf“ ausgesetzt. Kürten hinterlässt übel zugerichtete Opfer, meist junge Frauen, die er beim Kennenlernen durch charmantes Auftreten und gute Manieren für sich eingenommen hat. „Kürten litt sein Leben lang unter Geltungssucht. Aufgrund seines gepflegten Äußeren konnte er sich vor seinen Begleiterinnen problemlos als Beamter ausgeben“, sagt Meis. Während viele Düsseldorfer vor dem mordenden Phantom zittern, merkt Kürtens Ehefrau Auguste nichts von dessen dunkler Seite. Sie arbeitet bis spät in die Nacht in einem Düsseldorfer Café; Kürten kann abends unbemerkt zu seinen todbringenden Streifzügen aufbrechen.

Dass Kürten nicht bereits nach dem Mädchenmord in Mülheim gefasst worden ist, liegt am Spurenmangel. Am Tatort hat er ein Taschentuch mit seinen Initialen vergessen, doch das wird irrtümlicherweise dem Vater des toten Kindes zugeschrieben. Des Mordes verdächtigt wird Otto Klein, der Bruder des Schenkwirts. Der ist Metzger und liegt im Clinch mit der Wirtsfamilie – für die Polizei ist der Fall deshalb zunächst klar. Aus Mangel an Beweisen muss das Verfahren gegen den Onkel später eingestellt werden, der wahre Täter bleibt auf freiem Fuß. „Kürten hatte Glück“, sagt Verena Meis.

In Düsseldorf mordet Kürten unbehelligt weiter – obwohl er wenig Energie darauf verschwendet, Spuren zu beseitigen. Im Gegenteil: Als eine Leiche nicht gefunden wird, schickt Kürten der Polizei eine Skizze des Ortes, an dem er das Opfer vergraben hat. Die Berichterstattung in der Presse verfolgt er genau. Manchmal mischt sich Kürten an den Tatorten unter die Leute und erkundigt sich bei der Polizei nach dem Stand der Ermittlungen: „In Düsseldorf wurde er ein bisschen größenwahnsinnig“, so die Germanistin.

Erst im Jahr 1930 wird der Serienmörder durch Zufall gefasst und gesteht die Taten. Sein Gnadengesuch wird abgelehnt. Am 2. Juli 1931 stirbt der Serienmörder unter der Guillotine im Hof des Kölner Klingelpütz. Hier konnte der damals gesetzlich noch verankerte, aber heftig umstrittene Tötungsakt ohne große Öffentlichkeit vonstatten gehen. Kürten ist 48 Jahre alt, als das Beil fällt. Vor der Hinrichtung bedauert er, nicht schon nach seinem ersten Mord gefasst worden zu sein: „Ich glaube, die sicherste Hilfe wäre gewesen, wenn die Straftat von 1913 entdeckt worden wäre und ich wäre da hingerichtet worden.“

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