Bilanz einer Zugbegleiterin„Sie sagten: Guck doch einfach weg oder verpiss dich!“

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„Einstieg nur mit Maske“ – dieser Hinweisan Bahnen ist jetzt überflüssig.

„Einstieg nur mit Maske“ – dieser Hinweis an Bahnen st jetzt überflüssig.

Seit heute muss auch im Fernverkehr keiner mehr Maske tragen. Eine Zugbegleiterin berichtet von Anfeindungen, Aggressionen und von Frust auf allen Seiten.

Frau J. möchte nicht, dass ihr Name oder ein Foto von ihr veröffentlicht wird. Das ist ihre Bedingung für dieses Interview. Selbstverständlich kennt die Redaktion den Namen unserer Gesprächspartnerin, die für die DB Fernverkehr AG als Zugbegleiterin unterwegs ist.

Seit wann arbeiten Sie als Zugbegleiterin?

Seit 1990. Dieses Jahr werden es wirklich schon 33 Jahre.

Das klingt, als wäre für Sie die Zeit wie im Zug vergangen?

Ich liebe diesen Job. Mir gefällt der Kontakt mit den Menschen, der Umgang, das Kümmern um die Fahrgäste. Und das Reisen durch ganz Deutschland finde ich heute noch faszinierend.

Sie arbeiten in Schichten. Ist das nicht sehr anstrengend?

Ja, der Job ist anstrengend. Vor allem, wenn man erst 3 Uhr morgens Feierabend hat. Aber ich kenne es eigentlich nicht anders. Ich komme aus einer Eisenbahnerfamilie. Es gibt auch Vorteile, wenn man zum Beispiel in der Woche einkaufen gehen oder Arzttermine mitten am Tag nehmen kann.

Für Ihre Familie ist das so okay?

Meine Kinder arbeiten inzwischen auch Schicht, mein Freund ebenfalls. Wir kriegen das alle gut hin.

Sie machen Ihren Job gern. Das heißt, die Fahrgäste sind überwiegend freundlich?

Zu 90 Prozent ja. Das ist im Zug wie im richtigen Leben.

Am 2. Februar 2023 fällt die Maskenpflicht. Sind Sie denn froh, jetzt selbst keine Maske mehr beim Gang durch den Zug tragen zu müssen?

Na klar. Da geht es mir nicht anders als unseren Fahrgästen. Aber es kann sein, dass ich trotzdem freiwillig noch ab und zu Maske tragen werde. Wir haben diverse Züge, die nachts unterwegs sind und viel Publikum von Flügen aus aller Welt an Bord haben. Da ist dann die Maske ein Stück Selbstschutz. Die Pandemie endet ja nicht durch einen politischen Beschluss.

Wie war es für Sie persönlich, das verpflichtende Maskentragen am Anfang?

Wie für alle war es auch für mich erst einmal gewöhnungsbedürftig, etwas Störendes im Gesicht zu haben. Ich bin Brillenträgerin, ständig beschlugen die Gläser, und manchmal habe ich ganz schön geflucht.

Und wie verhielten sich die Fahrgäste am Anfang?

Zum Pandemiebeginn hatten wir ja nur sehr wenige Fahrgäste und es waren die Lockdowns. Die meisten Passagiere verhielten sich eher ängstlich und sehr respektvoll. Sie trugen freiwillig ihre Masken, hielten Abstand und setzten sich wie vorgeschrieben auf die Fensterplätze.

Als die Zahl der Fahrgäste wieder wuchs …

… stieg auch das Konfliktpotenzial. Die Abstände konnten nicht mehr eingehalten werden, weil die Leute häufig dicht an dicht saßen. Ich erinnere mich an eine ältere Dame, die ganz früh schon eine FFP2-Maske trug. Sie saß einer vierköpfigen Familie gegenüber, die das alles sehr locker nahm und sich nicht um die Schutzpflichten scherte. Die Frau hatte die Erwachsenen schon um Rücksicht gebeten, bevor ich kam. Sie hätte Angst und fühle sich unwohl, wenn sie keine Masken trügen. Ich musste während der ganzen stundenlangen Fahrt immer wieder zu diesen Plätzen und die Familie erneut ermahnen. Das fand ich echt verstörend, weil es so unnötig war in dieser ohnehin schwierigen Situation für alle.

Wann begann die Aggressivität einiger Fahrgäste?

Ich glaube die Aggressivität hielt Einzug, als die Politik die Maßnahmen weniger erklärte, als es immer nur noch hieß, man müsse jetzt dieses oder jenes tun. Als es auch so rüberkam, dass Menschen sich impfen lassen müssten. Von da an haben viele alles hinterfragt und sind ihre eigenen Wege gegangen. Also die Konflikte draußen haben auch vor dem Mikrokosmos eines Fernzugs nicht Halt gemacht. Der Unterschied war nur, dass hier die Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter die Vorgaben der Politik umsetzen sollten. Doch wir wollten nie Polizei spielen, das ist nicht unsere Aufgabe. Das wurde uns einfach aufgedrückt.

Von wem haben Sie sich damals vors Loch geschoben gefühlt?

Wir sind klar von der Politik alleingelassen worden. Wir bekamen keine Schulungen, wir hatten kaum Ahnung von Strategien der Konfliktlösung. Es hieß nur: Setzt das durch! Uns wurde lediglich gesagt, wie wir zu verfahren hätten. Zu Anfang haben wir uns nur noch darauf konzentriert. Unserem eigentlichen Job konnten wir gar nicht nachgehen.

Und wenn es gar nicht mehr ging?

Wenn es zu eskalieren drohte oder eskalierte, mussten wir die Bundespolizei hinzuziehen. Das häufte sich, doch die Bundespolizei hat längst nicht mehr jeden Bahnhof besetzt. Da konnte solch eine Strecke – bis Beamte zusteigen konnten – mitunter ganz schön lang werden.

Gab es in Deutschland Strecken, wo die Auseinandersetzungen besonders extrem waren?

Von Kollegen habe ich immer wieder gehört, dass die Strecke zwischen Leipzig und Dresden eine war, auf der sich viele Fahrgäste nicht an die Maskenpflicht hielten. Da war immer hohes Konfliktpotenzial. Doch es gab auch die verschiedensten Regelungen in den Bundesländern, die eine Durchsetzung aller Vorgaben unmöglich machten. Dann hast Du als Zugbegleiterin plötzlich 90 Prozent des Zuges, die sich gegen die Maske entscheiden, gegen dich allein.

Hatten Sie auch Verständnis für den Frust der Leute?

Was glauben Sie denn? Natürlich! Wir konnten doch auch nicht mehr. Und wir konnten ja gar nichts erklären. Überall war alles aufgehoben. In den Stadien standen alle eng beieinander, die Leute gingen wieder in die Musicals, ins Theater, ins Kino. Danach haben sie sich in unsere Züge gesetzt und sollten Maske tragen sowie Abstand halten. Wenn wir unsere Vorschriften durchsetzen wollten, wurden wir belächelt, von oben herab behandelt, beschimpft oder teilweise sehr aggressiv angegangen. Da hieß es: „Guck doch einfach weg“ oder „kümmere Dich um Deine eigenen Angelegenheiten“ oder „verpiss Dich“. So behandelt zu werden, das geht ganz schön an die eigene Psyche, das ist nicht jedermanns Sache.

Sind Sie auch tätlich angegriffen worden?

Ich persönlich nicht. Als einer Kollegin ein Schlüsselbund hinterhergeworfen wurde, war ich Zeugin. Anderen Kollegen ist die Brille von der Nase gerissen worden oder ihnen sind Schläge angedroht worden. Wir haben das alles dokumentiert und dem Betriebsrat gemeldet.

Wie haben sich in solchen kritischen Situationen unbeteiligte Mitreisende verhalten?

Ganz ehrlich? Ein Großteil der übrigen Fahrgäste schaute weg. Nur wenige griffen beschwichtigend ein und unterstützten uns. Der Rest forderte von uns, doch endlich was zu unternehmen.

Was sagen Sie denen?

Ich sage ihnen, dass sie alt genug sind, selbst mit Fahrgästen zu reden, die sich danebenbenehmen. Dass ich keine Kindergärtnerin bin. Mir tut das manchmal leid. Aber die Politik hat uns einfach in eine unmögliche Lage gebracht. Wir sollten etwas durchsetzen, wozu sie selbst nicht imstande war – und die Fahrgäste wussten, dass wir das nicht konnten. Das war nicht in Ordnung. Das war unfair. Ich habe mit Fortschreiten der Pandemie oft Vernunft und den Sinn für das Miteinander vermisst. Ist es denn so schwer, in einen Zug zu steigen, die Maske aufzusetzen und das bis zum Ende der Fahrt durchzuziehen?

Fühlten Sie sich ausreichend vom Arbeitgeber, der DB Fernverkehr AG, unterstützt?

Es standen immer ausreichend Mittel zur Verfügung, um uns gesundheitlich zu schützen. Allerdings haben wir uns auch gewünscht, dass immer eine Sicherheitsfachkraft mitfährt. Oder dass mehr Personal zur Verfügung gestellt wird, weil auf einigen Strecken die Kollegen wirklich ganz allein im Zug unterwegs waren. Wenn man zu zweit ist, erhöht sich die Hemmschwelle, uns gegenüber aggressiv aufzutreten, deutlich.

Nun fällt die Maskenpflicht.

Ich bin froh, dass nun jeder selbst entscheiden kann, wie er damit umgeht. Das finde ich besser als die Pflicht und den Zwang, dies durchsetzen zu müssen.

Würden Sie sagen, Sie gehen nun wieder leichteren Herzens zur Arbeit?

Auf jeden Fall. Ich kann endlich wieder meinen Job machen. Und zwar so, wie er mir auch Spaß bringt.

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