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Kommentar

100 Tage
Ernüchternde Bilanz – Es fehlen Mut und eine Debattenkultur in der Regierung Merz

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3 min
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), rechts, und sein Vize, Finanzminister Lars Klingbeil (SPD), am 11. Juli im Bundestag.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), rechts, und sein Vize, Finanzminister Lars Klingbeil (SPD), am 11. Juli im Bundestag.

Inmitten internationaler Krisen und Wirtschaftsflaute ist das Regierungsgeschäft schwierig. Trotzdem könnte es besser gehen.

Nach 100 Tagen schwarz-roter Bundesregierung sollten die Menschen spüren, dass sich im Land etwas ändert. Der Stimmungsumschwung aber ist ausgeblieben und aktuell ist er auch nicht in Sicht. Schwarz-Rot verfügt, Stand heute, über keine eigene Mehrheit mehr in der Bevölkerung. Damit ist für die nächsten Jahre nicht das letzte Wort gesprochen. Nach gut drei Monaten Regierungszeit ist das aber ein ernüchternder Befund.

In den ersten Wochen bekam die Union leichten Wind unter die Flügel, die Umfragewerte kletterten nach oben. Die persönlichen Werte des Kanzlers verbesserten sich. Dann kam die verpatzte Stromsteuer und das noch nicht ausgestandene Fiasko um die Verfassungsrichterwahl.

Es fehlt der Spirit in der Koalition

Für die Führung des Landes sind es harte Zeiten: die dramatische internationale Lage, die schlechte wirtschaftliche Situation, der Reformstau, die lautstarken radikalen politischen Ränder und eine angespannte öffentliche Stimmung, die keine Fehler mehr verzeiht. Trotzdem könnte es besser laufen, als es der Regierung Merz gerade gelingt.

Mit einem Weiter-so werden sich die Nöte nicht in Luft auflösen.
Eva Quadbeck

Was fehlt, ist ein gemeinsamer Spirit, das Land wieder flottzumachen. Eben das spüren die Menschen. Union und SPD liegen naturgemäß in ihren Rezepten weit auseinander, wie den Herausforderungen zu begegnen ist. Wenn sie sich aber gegenseitig niederstimmen, weil die eine Ministerin vorschlägt, Beamte in die Rentenversicherung einzahlen zu lassen, und die andere Ministerin über eine längere Lebensarbeitszeit spricht, dann werden sie auch nicht gemeinsam zu innovativen Reformen kommen. Mit einem Weiter-so werden sich die Nöte der Sozialkassen und die Hemmnisse für die Wirtschaft nicht in Luft auflösen.

Was zudem fehlt, sind Mut und Bereitschaft, Debatten ehrlich und ergebnisoffen zu führen. Union und SPD sitzen zementiert zwischen AfD und Linken. Die Union fürchtet die Attacken der Rechtsradikalen, die jede gemäßigte Position der Konservativen als „linke Politik“ geißeln. Die Sozialdemokraten wiederum lassen sich von einer lautstarken, mitunter populistischen Linken unter Druck setzen. Jede Reform am Bürgergeld muss sich die SPD als Verrat an der Sache unter die Nase reiben lassen.

Zu wenig Geld zum Ausgleich

Die einzige Chance der politischen Mitte, sich weiter Mehrheiten zu sichern, sind Entscheidungen, die Deutschland wirtschaftlich wieder stabiler machen und die am wachsenden Wohlstand möglichst viele Menschen teilhaben lassen. Das ist ein gemeinsamer Nenner, auf den sich SPD und Union eigentlich verständigen können. Die Herausforderung gegenüber früheren Regierungen: Es ist nicht mehr genug Geld da, um alle politischen Unterschiede damit auszugleichen. Deshalb sind Wahlgeschenke wie die Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie und eine erneute Erhöhung der Mütterrente nicht hilfreich.

Sie seien zum Erfolg verdammt, sagen die Koalitionäre aus allen Parteien. Dahinter schwingt die Sorge, dass im Fall von Neuwahlen AfD und Linke profitieren werden und dass eine Regierungsbildung unter den staatstragenden Parteien unmöglich wird.

Den Mut und die Entschlusskraft, die Merz in der Außenpolitik zeigt - wie beispielsweise mit der Entscheidung, Israel mit einem Waffenlieferstopp zu belegen - braucht er auch innenpolitisch. Solange Union und SPD Steuererleichterungen für die Wirtschaft gegen eine Mindestlohnerhöhung tauschen und sich unter dem Strich nichts bewegt, werden beide Parteien weiter an Zuspruch verlieren.

Es ist schon vieles bei der Migration und manches für die Wirtschaft in Gang gekommen. Doch damit die Stimmung im Land besser wird, muss sie sich erst einmal in der Koalition bessern - durch einen konstruktiven Umgang miteinander.