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Augenzeugenbericht 9/11„Gleich trifft dich ein Trümmerteil“

3 min

11. September 2001, New York: Einsturz des Südturms.

  1. Tim Stinauer, Polizei-Reporter des „Kölner Stadt-Anzeiger“, erlebte die Anschläge in unmittelbarer Nähe der Twin Towers.

Ich war zu Besuch bei meinem Freund Eric in New York. An diesem Morgen wollten wir uns die Börse ansehen, die nur ein paar Schritte vom World Trade Center entfernt ist. Als wir aus der U-Bahn stiegen, regnete es Asche und DIN-A-4-Bögen vom Himmel. Wir dachten an Flugblätter. Dann kamen uns Menschen entgegen gerannt, und als wir hoch schauten, sahen wir den Nordturm brennen. Ich holte meine Kamera heraus. Mein Gedanke: „Mach schnell ein paar Bilder, bevor die das gelöscht haben. Sonst glaubt dir das zu Hause kein Mensch.“

In diesem Moment krachte das zweite Flugzeug in den Südturm. Ich sah den Feuerball, sofort wurde es heiß. Wir rannten davon. Ich dachte noch: „Das hat eh keinen Sinn mehr, gleich trifft dich ein Trümmerteil in den Rücken.“ Aber es passierte nichts, so dass ich mich noch umdrehte. Eric hatte ich verloren. Ich ging wieder näher heran, um besser sehen zu können. Die Dramatik und die Gefahr habe ich total unterschätzt.

„Jetzt mal besser weg hier!“

Mit einem Mal standen Sicherheitsleute neben mir, mit dem Davidstern auf der Uniform. „Israelis? Hier?“, dachte ich. „Ein Anschlag der Palästinenser?“ Trotzdem blieb ich erstmal. Ich sah, wie Stahlteile herunterfielen. Ein paar davon bewegten sich. Ich verstand das erst gar nicht. Bis jemand neben mir schrie: „Mein Gott, das sind Menschen!“ Das war der Moment, in dem ich mir sagte, jetzt mal besser weg hier! Ich lief die paar Meter runter zum Hudson River. Als ich gerade an der Uferpromenade angekommen war, wurde es dunkel. Alles war voller Staub. Ein paar Leute sprangen vor Panik ins Wasser. Ich drängte mich auf eine Fähre, die am Ufer des Hudson ankerte. Aber sie fuhr und fuhr nicht los. Die Besatzung kam an Deck, wirkte irgendwie verschlafen. Der Kapitän war nicht zu sehen. Es wurde enger und enger, weil immer noch mehr Menschen auf das Schiff wollten. Zum ersten und bisher einzigen Mal im Leben hatte ich Todesangst. „Was, wenn das Schiff sinkt? Und falls drüben die Türme in unsere Richtung fallen, erschlagen sie uns!“

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Direkt in meiner Nähe entdeckte ich eine Polizistin. Ich fragte sie, warum das Schiff nicht losfahre. Sie hatte ganz verheulte Augen und sagte: „Ich weiß auch nicht, was ich machen soll. Können Sie nicht das Schiff steuern?“ – „Mein Gott“, dachte ich, „selbst die Polizei ist außer sich.“ Die Luft war weiß vor Staub. Ich konnte kaum mehr atmen. „Duckt euch, duckt euch“, rief jemand. Ein anderer schrie, „T-Shirt vor die Nase!“ Dann kam ein Feuerwehrboot. Ein Feuerwehrmann sprang zu uns herüber und steuerte das Schiff auf den Fluss. Ich sah mich um. Einer der Türme war verschwunden. Da stürzte auch schon der zweite ein. Wie im Reflex griff ich wieder zur Kamera. Dass die Turmkonstruktion einfach zusammensacken würde und wir nicht darunter begraben werden würden, war mir in dem Augenblick nicht klar. Es war wahnsinnig beklemmend. Spätabends kehrte ich ins Wohnheim zurück. Dort traf ich Eric wieder.

Bilder bleiben ein Leben lang

Ich war seitdem mehrfach in New York. Es macht mir nichts aus, und ich kann auch am Ground Zero herumlaufen, ohne dass mich die Erinnerung überwältigt. Aber was mir bis heute nicht aus dem Kopf geht, ist das Grollen beim Einsturz der Türme. Ein Geräusch, das ans Rattern einer Straßenbahn erinnert. Wenn die KVB-Gürtelbahn aus dem Tunnel auf die Hochtrasse fährt, klingt das fast so. Inzwischen zucke ich nicht mehr zusammen, wenn ich das Geräusch höre. Aber die Bilder, die sind sofort wieder da. Ich glaube, das wird mein Leben lang so bleiben.

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