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„Peinlich für Deutschland“Merz wird in Brasilien wegen Belém-Äußerung als „Nazi“ und Rassist bezeichnet

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Belém: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) geht am 8. November nach seinem Besuch der Weltklimakonferenz COP30 zum Airbus A350 der Luftwaffe für den Rückflug nach Berlin hinauf. Zurück in Deutschland, sprach er abwertend über die brasilianische Stadt.

Belém: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) geht am 8. November nach seinem Besuch der Weltklimakonferenz COP30 zum Airbus A350 der Luftwaffe für den Rückflug nach Berlin hinauf. Zurück in Deutschland, sprach er abwertend über die brasilianische Stadt.

Kanzler Merz möchte sich nicht für seine despektierlichen Worte über Belém entschuldigen. In Brasilien ist man aber anhaltend empört.

Die Aufregung um Friedrich Merz (CDU) und seine Worte über Belém, den Veranstaltungsort der Weltklimakonferenz COP30, ebbt nicht ab. Die brasilianischen Gastgeber sind massiv verärgert, und auch in Deutschland sieht sich Merz deutlicher Kritik ausgesetzt. Der Bundeskanzler hatte sich nach seiner Rückkehr vom Treffen der Staats- und Regierungschefs in Belém auf einem Handelskongress in Berlin zu seinen Eindrücken von der Millionenstadt geäußert – und die waren offenbar nicht gut.

„Ich habe einige Journalisten, die mit mir in Brasilien waren, letzte Woche gefragt: Wer von euch würde denn gerne hierbleiben? Da hat keiner die Hand gehoben“, sagte Merz bereits am 13. November. „Die waren alle froh, dass wir vor allen Dingen von diesem Ort, an dem wir da waren, in der Nacht von Freitag auf Samstag wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind.“

Brasilianischer Präsident Lula hat Rat für Merz

Erst relativ spät wurden die Worte des Kanzlers in den vergangenen Tagen in Brasilien bekannt. Die Deutsche Welle (DW) in Brasilien hatte es mit portugiesischen Untertiteln am Montag ausgespielt, anschließend verbreitete es sich schnell. Mittlerweile hat das Video 9,6 Millionen Aufrufe (Stand Mittwochabend).

Das Video löste eine Welle der Empörung aus, sogar Präsident Luiz Inácio Lula da Silva meldete sich zu Wort. Lula sagte, Merz hätte in Belém „in eine Bar gehen, dort tanzen und die lokale Küche probieren sollen“. Bei aller Armut gebe es dort „ein so großzügiges Volk wie kaum ein anderer Ort auf der Welt“, so der Gastgeber.

Dass Belém als Ort der Weltklimakonferenz ausgewählt wurde, kommt nicht von ungefähr. Das Amazonas-Gebiet spielt mit seinen Regenwäldern eine zentrale Rolle im globalen Klimaschutz – und ist massiver Zerstörung ausgesetzt. Die Bevölkerung dort profitiert allerdings nicht von dem Raubbau an der Natur, die indigenen Völker sind in ihrer Existenz bedroht. Das alles erwähnte Merz allerdings nicht in seinem Statement über Belém, sodass es bei den Gastgebern sehr schlecht ankam.

Merz wird Rassismus vorgeworfen

Neben dem Bürgermeister von Belém, Igor Normando, der von „bedauerlichen, arroganten und voreingenommenen“ Worten des Bundeskanzlers sprach, meldete sich auch der Bürgermeister von Rio de Janeiro zu Wort. Eduardo Paes beschimpfte Merz in den sozialen Medien als „Nazi“ und „Hitlers Vagabunden-Sohn“. Der Bürgermeister der zweitgrößten Stadt Brasiliens bereute seine offenbar unbedachten Worte kurze Zeit später und löschte sie. Unklar ist, ob aus eigenem Antrieb oder auf eine Ansage der Regierung. Paes schrieb anschließend: „Es lebe die Freundschaft zwischen Brasilien und Deutschland“ – möglicherweise aber mit einem ironischen Unterton.

Auch bei Teilnehmenden der Weltklimakonferenz löste Merz Kritik aus. Jurema Werneck, eine bekannte brasilianische Ärztin, Autorin und Menschenrechtsaktivistin, fand deutliche Worte, wie ein ZDF-Beitrag zeigt. Werneck, die auch Chefin von Amnesty International in ihrem Heimatland ist, sagte: „Das ist jetzt nicht die Zeit, beleidigend, ausländerfeindlich oder rassistisch zu sein. Ich erwarte, dass er sich entschuldigt und er den Übergang mitgestaltet, Rassismus mit bekämpft“, so Werneck über den deutschen Kanzler.

Was bei der Schwarzen Aktivistin noch irgendwie versöhnlich klang, hört sich bei Meghie Rodrigues etwas anders an: „Ihr solltet euch in Deutschland mehr Sorgen machen mit diesem Kanzler, als wir hier in Brasilien. Das ist euer Problem in Deutschland“, sagte die Journalistin dem ZDF.

Wie aufgebracht und in ihrem Nationalstolz verletzt die Brasilianer sind, zeigt sich derzeit auf den Social-Media-Kanälen des Kanzlers: Unter jedem Post, auch älteren, sind unzählige portugiesische Kommentare zu finden, die das Profil von Merz fluten.

Grüne: Merz „wieder mal peinlich für Deutschland“

Auch in Deutschland gibt es viele kritische Stimmen. Die Grünen-Abgeordnete Lisa Badum, die sich auch in Brasilien aufhält, schreibt bei X, Merz sei „wieder mal peinlich für Deutschland“. Merz habe Belém beleidigt, die Leute seien zu Recht empört.

Die Linken-Abgeordnete Nicole Gohlke schreibt bei X, Merz'Äußerungen seine nicht „unglücklich“, sondern respektlos. „Wer als Bundeskanzler eine Gastgeberstadt derart abwertet und Stereotype über den globalen Süden bedient, spielt mit Rassismus“, so Gohlke weiter.

Journalisten machen bissige Scherze darüber, dass Merz das „Stadtbild“ in Belém nicht gefallen habe – in Anspielung auf die jüngsten Äußerungen des Kanzlers über Migranten in Deutschland, die ebenfalls eine Debatte über Rassismus ausgelöst hatten.

Bundestags-Vizepräsident Omid Nouripour (Grüne) rief Merz zu verantwortungsvoller Kommunikation auf. „Die richtige Wortwahl ist das Fundament der Staatskunst“, sagte er. Merz sei der Regierungschef der größten beim Weltwirtschaftsgipfel vertretenen Volkswirtschaft. Da könne man sich keine weiteren „sprachlichen Entgleisungen“ leisten.

Andere Kritiker schreiben weniger staatstragend: „Merkel hatte in einem recht: Merz kann es einfach nicht.“ „Bild“-Journalist Paul Ronzheimer meint, früher hätten solche Aussagen eines Regierungschefs für mehrtägige Debatten gesorgt. Heute sei es „einfach nur ein ganz normaler Dienstag in der Regierungszeit Friedrich Merz. Und man kann fast sicher sein, dass morgen schon was Neues aus seinem Mund den Tag bestimmen wird“, ätzt Ronzheimer.

Merz entschuldigt sich nicht bei Brasilianern

Merz selber denkt offenbar nicht daran, sich zu entschuldigen. Dies tat er auch in der Vergangenheit nie, wenn sich vermutlich unbedachte Worte wie „kleine Paschas“ oder die vom „Stadtbild“ verselbständigten. Der Kanzler sehe keinen Schaden für die Beziehungen zu Brasilien, wie Regierungssprecher Stefan Kornelius auf einer Pressekonferenz in Berlin auf die Frage eines Journalisten sagte.

Er widersprach am Mittwoch der Lesart, dass sich der Kanzler „missfallend“ oder gar „angewidert“ über die Stadt am Amazonas geäußert habe. „Er hat gesagt, wir leben in einem der schönsten Länder der Welt und das hat er auf Deutschland bezogen“, erläuterte Kornelius. Brasilien gehöre zwar sicherlich auch zu den schönsten Ländern der Welt. „Aber, dass der deutsche Bundeskanzler hier eine kleine Hierarchisierung vornimmt, ist, glaube ich, jetzt nicht verwerflich“, versuchte Kornelius die Wogen zu glätten.

Merz betont gutes Verhältnis zu Lula

Auch Merz selbst reagierte am Mittwochabend auf die Kritik: Wie die „Tagesschau“ berichtet, sehe er das deutsch-brasilianische Verhältnis nicht als belastet an. „Ich habe gesagt, Deutschland ist eines der schönsten Länder der Welt, und das wird vermutlich auch Präsident Lula so akzeptieren“, sagte Merz bei einer Pressekonferenz mit dem schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson in Berlin.

Umweltminister Carsten Schneider (SPD) habe am Nachmittag mit Präsident Luiz Inácio Lula da Silva in Brasilien gesprochen, sagte Merz. „Ich hab ihn gebeten, Präsident Lula meine herzlichen Grüße auszurichten.“ Er selbst werde am Wochenende beim G20-Gipfel in Johannesburg ein „weiteres gutes Gespräch“ mit Lula führen, „völlig unbelastet“.

Schneider selbst bestätigte in Belém, er habe Lula von Merz „Grüße ausgerichtet und die Bitte, dieses Thema nicht weiter zu vertiefen“, sagte Schneider am Mittwoch. (mit dpa/afp)