Waffenlieferungen für die UkraineBrisanter Abhörskandal um „Taurus“ erhöht den Druck auf Olaf Scholz

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Ein Taurus-Marschflugkörper (vorne) steht vor einem deutschen Tornado-Kampfjet. Die Ukraine bittet um die Waffe zum Kampf gegen Russland. (Symbolbild)

Ein Taurus-Marschflugkörper (vorne) steht vor einem deutschen Tornado-Kampfjet. Die Ukraine bittet um die Waffe zum Kampf gegen Russland. (Symbolbild)

Russland hat Bundeswehroffiziere beim Gespräch über den Marschflugkörper abgehört. Der Vorgang offenbart deutsche Probleme.

Das Gespräch beginnt lapidar: „Moin, Moin, Herr General“, ruft ein Offizier in eine Telefonrunde. Und der General erzählt vergnügt, dass er sich aus Singapur zugeschaltet hat und wie toll da die Aussicht aus dem Hotelzimmer sei. „Ich schicke Dir vielleicht nachher mal ein Foto“, sagt er. Und auf dem Dach gebe es einen Swimmingpool. Es geht noch um einen neuen Kollegen, der von einem bestimmten Thema nichts gewusst habe, obwohl man seinen Vorgänger davon noch informiert habe. Eine Übergabe scheint da nicht geklappt zu haben.

Aber dann wird noch ein General hinzugeschaltet, Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz, zweithöchste militärische Rangstufe der Bundeswehr nach dem Generalinspekteur. Er hat Absprachebedarf zu einem der umstrittensten sicherheitspolitischen Themen der vergangenen Monaten in Deutschland: der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die von Russland angegriffene Ukraine.

Olaf Scholz bremst bislang bei Taurus-Lieferungen für die Ukraine

Die Ukraine wünscht sich diese Geräte von der Bundeswehr, FDP und Grüne drängen in der Regierung darauf. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bremst. Erst vor ein paar Tagen hat er das bekräftigt: Wir dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein“, sagte er. Aber Gerhartz will vorbereitet sein, falls der Kanzler doch noch sein OK gibt. Dann dürfe die Lieferung nicht mehr lange auf sich warten lassen, bestätigt ein anderer Offizier. Sonst werde „die positive Nachricht ganz schnell zur Negativnachricht“.

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38 Minuten reden Gerhartz und seine Offiziere über das Thema. Das Problem ist: Sie sind nicht alleine in der Leitung. „Es verdichten sich leider Hinweise, dass offensichtlich ein russischer Teilnehmer sich in die Webex eingewählt hat und das offensichtlich nicht auffiel, dass dort eine weitere Zuwahlnummer war“, sagt CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter der ARD.

Der Mitschnitt landet beim russischen Propagandamedium Russia Today und bei der Regierung, in welcher Reihenfolge auch immer. Russia Today veröffentlicht den Mitschnitt. Die Bundesregierung bestätigt die Echtheit.

Abgehörtes Gespräch: Bundeswehroffizier beschreibt Pistorius als „total coolen Typ“ 

Die Offiziere bereiten in dem Gespräch ein Briefing von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zu dem Thema vor. Der sei ein „total cooler Typ“, lässt Gehartz nebenbei wissen. Die Offiziere erörtern die von der Ukraine ins Auge gefassten Ziele – russische Munitionsdepots und die Krim-Brücke, über die Nachschub für russische Truppen erfolgt. Gerhartz empfiehlt, zumindest militärisch keinen „Showstopper“ einzubauen, eine Lieferung des Taurus also nicht abzulehnen.

Boris Pistorius (SPD), Verteidigungsminister, gibt ein Pressestatement zur Diskussion nach der russischen Veröffentlichung eines Mitschnitts eines Gesprächs von Offizieren zu Taurus.

Boris Pistorius (SPD), Verteidigungsminister, gibt ein Pressestatement zur Diskussion nach der russischen Veröffentlichung eines Mitschnitts eines Gesprächs von Offizieren zu Taurus.

Begeistert sei er nicht über weitere Materiallieferungen, aber 100 der 600 Bundeswehr-Taurus könne man wohl abgeben, sagt Gerhartz. Erstmal 50, und dann weitere 50, wenn „sie“ – also die Ukraine „uns nochmal würgen würden“. Über den Einsatz entscheiden müsse aber letztlich die Politik, betont der Luftwaffeninspekteur, der 2025 die Führung des Nato-Hauptquartiers im niederländischen Brunssum übernehmen soll.

Die Offiziere diskutieren und kommen schließlich zu dem Schluss: Mit ausreichend langer Ausbildung, könnten ukrainische Soldaten den Einsatz allein übernehmen. Auch über eine Kooperation mit Großbritannien wird gesprochen, das bereits eigene Marschflugkörper des Typs „Storm Shadow“ geliefert hat. Die Briten hätten dazu „ein paar Leute vor Ort“, sagt Gerhartz. Der britische Premier Rishi Sunak hat gerade erst betont, der Einsatz der „Storm Shadow“ sei allein ukrainische Sache. Gerhartz stellt auch fest, dass Großbritannien und Frankreich Deutschland drängen könnten eigene Marschflugkörper zu liefern.

Olaf Scholz hört von Abhörskandal während Papst-Besuch im Vatikan

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erreicht die Nachricht in Italien. Eine Privataudienz bei Papst Franziskus steht dort auf dem Programm, von Staat. Man spricht über Migrationspolitik und dies und das. Aber hinterher muss Scholz den Taurus-Leak kommentieren. Es handele sich um eine „sehr ernste Angelegenheit“, die umfassend aufgeklärt werden müsse, sagt er.

Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD) fordert in den Funke-Medien mehr Geld für Spionageabwehr. Außerdem müssten die Verantwortlichen der Bundeswehr besser in geschützter Kommunikation geschult werden.

FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle plädiert via „Handelsblatt“ für eine „Generalrevision der gesamten internen Infrastruktur zur internen Kommunikation sicherheitsrelevanter Stellen in Deutschland“. Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sagt dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), es handele sich um einen „hochproblematischen Vorgang“.

Die Opposition formuliert schärfer und greift Scholz an: Es „muss geklärt werden, warum der Bundeskanzler mit Falschbehauptungen in die Öffentlichkeit geht, wo er sagt, dass deutsche Bundeswehr-Beteiligung vor Ort nötig sei“, sagt Verteidigungsexperte Kiesewetter im ZDF. Und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erklärt via „Spiegel“, Scholz müsse sich vor dem Bundestag erklären. Es könne sein, dass ein Untersuchungsausschuss des Bundestags nötig werde.

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