Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Kommentar

Merz mit Floskeln
Die Politik ist gelähmt von Angst – vor den Populisten

Ein Kommentar von
4 min
Friedrich Merz vor seiner Regierungserklärung an diesem Donnerstag im Bundestag.

Friedrich Merz vor seiner Regierungserklärung an diesem Donnerstag im Bundestag.

Putins Provokationen reißen nicht ab, der Bedarf an Aufrüstung ist erkannt – aber die meisten Staaten handeln zu langsam. Auch Friedrich Merz.

Eine Regierungserklärung vor einem EU-Gipfel, da herrschte im Bundestag schon immer Floskelalarm. Das gilt auch für ernste Reden in ernsten Zeiten – wie die von Friedrich Merz an diesem Donnerstag: „Wir wollen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen!“, rief der Kanzler da etwa – und mahnte (wen genau eigentlich?): „Politisches Handeln macht einen Unterschied in dieser Welt!“ Nicht zu vergessen: „Nur Stärke bewahrt Frieden!“

Das war gut gebrüllt für einen Löwen, der gerade mehrfach von seinen eigenen Koalitionsfraktionen durch die Manege der Handlungsunfähigkeit geführt wurde und dem es an Stärke fehlt, auch nur für Deutschland jene Abschreckungsfähigkeit aufzubauen, die er für ganz Europa herbeiführen will.

Europa ist bedingt abwehrbereit

Und doch ist Häme fehl am Platz. Denn in Friedens- und Verteidigungspolitik war die Analyse des Kanzlers ja richtig – und damit auch die Appelle an die gemeinsame europäische Stärke und Abwehrfähigkeit. Allein: In Sicht sind sie weder in Deutschland, noch im Rest Europas.

Alles zum Thema Deutscher Bundestag

Nicht nur die Bundesrepublik quält sich gerade damit, ihre heruntergewirtschaftete Armee so aufzustellen, dass Russland sie ernst nimmt. Ähnliche Probleme werden auch aus Frankreich, Italien, Spanien, Belgien, Griechenland und Rumänien gemeldet, wo es ebenfalls an Soldaten oder an Geld für neue Waffensysteme fehlt, oft genug an beidem.

Putins Provokationen reißen nicht ab

Und das, während allein seit dem sommerlichen Alaska-Gipfel von Donald Trump und Wladimir Putin die Provokationen nicht abreißen: Drohnenschwärme über polnischen Militäranlagen; „unbekannte Uniformierte“, teils mit Waffen, im Baltikum und etliche Cyberangriffe auf EU-Behörden, Bahnen und Unternehmen, zu denen sich pro-russische Hackergruppen triumphierend bekannt haben.

Nicht nur in Deutschland wurden Flughäfen von Drohnen lahmgelegt; zuvor flogen bewaffnete russische Kampfjets durch Nato-Luftraum – und lösten vor allem Ratlosigkeit aus.

Recht hat Merz also auch, wenn er im Bundestag sagte: „Wir haben in Europa kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem.“

Warum dennoch so wenig passiert, lässt gerade der Blick auf Deutschland erahnen. Nicht allein die Wehrdienst-Debatte steckt in der Sackgasse, weil sich die SPD einem großen Wurf verweigert. Und nicht allein jene Sozialdemokraten, die noch immer pazifistischen Träumen nachhängen, haben den Schuss nicht gehört, den Putin im Februar 2022 abfeuerte.

Auch die anderen Parteien der Mitte verkennen den Handlungsbedarf: Putin rüstet sein Land weit über das Maß auf, das er für den Ukraine-Krieg braucht. Wofür? Trump dürfte für den Nato-Bündnisfall im Baltikum keinen Finger rühren. Und dann?

CDU sinniert über AfD, CSU feindet Grüne an

Grüne und Linke spielen auf Zeit, wenn es um konkrete, aber unpopuläre Schritte zur Verbesserung von Europas Verteidigungsfähigkeit geht. In der CSU feindet man die Grünen lieber wegen deren Essensvorlieben an, als sich darauf zu besinnen, dass man ihnen verteidigungspolitisch nähersteht als der SPD.

In der CDU wird debattiert, ob man in manchen Sachfragen mit der AfD stimmen sollte – als würde die nicht bei jeder Gelegenheit ganz in Putins Sinne Unfrieden stiften und Ängste sähen. Und sogar Friedrich Merz selbst polemisiert gern mal gegen die Europäische Union – obwohl man nur von Glück sagen kann, dass es neben kriselnden Mitgliedsstaaten auch eine EU-Kommission gibt, die gerade beherzt den Aufbau eines europäischen Flugabwehrsystems in die Hand genommen hat.

Merz: „Putin verkalkuliert sich“

Wie also lässt sich die Verzagtheit der europäischen – auch deutschen – Politik erklären? Da reicht der Blick auf die Meinungsumfragen: Überall profitieren Populisten von den Ängsten, die viele Menschen verständlicherweise haben. Auch in Deutschland ist die AfD jetzt bisweilen bundesweit stärkste Kraft.

Dabei gleicht ihre Politik den Geistesbrüdern im Rest Europas: Sie leugnet die einen Gefahren, überzeichnet die anderen und preist sich als alternativlose Stimme der Vernunft – obwohl ihr einziger Plan ist, Deutschland abzuschotten und auf die internationalen Risiken mit nationalen Antworten zu reagieren. Wenn es um die Zukunft der Bundeswehr geht, weicht sie auf Floskeln oder andere Themen aus. Das Problem: Bei vielen Wählern verfängt dieser Kurs. Nicht nur der Kanzler muss sich deshalb fragen: Wohin soll das führen?

„Putin setzt darauf, dass Angst eine freiheitliche Gesellschaft lähmt und unsere Bereitschaft zu entschlossenem Handeln untergräbt“, sagte Merz im Bundestag. „Doch er verkalkuliert sich“, setzte er nach – und klang, als würde er sich selbst Mut zureden.