Gastbeitrag zum Grundsatzurteil des BGHKriegsverbrecher genießen keine Immunität

Lesezeit 4 Minuten
Neuer Inhalt

Die Statue der Justitia steht mit einer Waage und einem Schwert in der Hand auf dem Gerechtigkeitsbrunnen des Frankfurter Römerbergs.

Köln – Das am Freitag veröffentlichte Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) in einer Strafsache gegen einen ehemaligen afghanischen Soldaten ist eine Rarität. Denn mit der Frage der Immunität eines fremden Staatsorgans geht es im Wesentlichen um eine dem deutschen Justizalltag für gewöhnlich entrückte Frage des Völkerrechts.

In seiner ganzen Tragweite erschließt sich die Bedeutung des aktuellen Richterspruchs erst dann, wenn man den Blick zunächst auf das aufsehenerregende Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz vom Februar lenkt. Das OLG verurteilte einen ehemaligen Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Taten seien Teil eines ausgedehnten und systematischen Angriffs der syrischen Regierung gegen Teile der eigenen Zivilbevölkerung gewesen. Tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle, Demonstranten und Regimekritiker seien auf Geheiß des Assad-Regimes verhaftet, misshandelt, gefoltert und getötet worden, um so die im Rahmen des Arabischen Frühlings entstandene Protestbewegung im Keim zu ersticken.

Zur Person

Claus Kreß ist Direktor des Instituts für Friedenssicherungsrecht der Universität zu Köln und Ad-hoc-Richter am Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag.

Alles zum Thema Frank-Walter Steinmeier

Nicht diese Feststellung ist bemerkenswert, sondern dass sie das Ergebnis einer gerichtlichen Beweisaufnahme bildet. In Syrien ist einstweilen an entsprechende Strafverfahren nicht zu denken, und einem Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag steht bis auf Weiteres das Veto von Assads Schutzmacht Russland entgegen. So war es die deutsche Strafjustiz, die nun als Treuhänderin der internationalen Gemeinschaft den ersten, weltweit beachteten Schritt zur strafrechtlichen Aufarbeitung der im Namen der syrischen Regierung begangenen Verbrechen gegen das Völkerrecht getan hat. Die Grundlage bot das deutsche Völkerstrafgesetzbuch, das die Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen nach dem „Weltrechtspflegeprinzip“ erlaubt, also auch dann, wenn die betreffenden Taten im Ausland von Ausländern gegen Ausländer begangen worden sind.

Verbrechen von Staatsorganen

Dass der Koblenzer Angeklagte seine Taten als ehemaliger ausländischer Amtsträger im offiziellen Auftrag seines Staats begangen hatte, ist für eine Völkerstraftat keine Besonderheit. Vielmehr werden völkerrechtliche Verbrechen häufig von Staatsorganen begangen, und gerade in solchen Fällen ist die Möglichkeit einer internationalen oder ausländischen Strafverfolgung von Belang. Denn die Aussicht darauf, dass es in dem betreffenden Staat selbst zur Ahndung der Untaten kommt, ist oftmals gering. Syrien liefert ein weiteres Beispiel.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Nürnberger Militärtribunal im Jahr 1946 die Geburtsstunde des Völkerstrafrechts, das Urteil gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg, zu der Feststellung nutzte, dass fremde Staatsorgane bei Verdacht einer Völkerstraftat keine Immunität genießen. Bis zum Beginn unseres Jahrhunderts schien dieses „Nürnberger Prinzip“ fest im Völkerrecht verankert. Nur amtierende Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Außenminister sollten ausländischer Gerichtsbarkeit auch bei dem Verdacht einer Völkerstraftat entzogen bleiben.

Keine Immunität nach dem Völkerrecht

Doch dann kamen Zweifel auf. Dass Staaten wie Russland und China den traditionellen völkerrechtlichen Immunitätsschutz im Zuge ihrer Renationalisierungstendenzen gegen das Völkerstrafrecht in Stellung bringen, liegt nahe. Vor dem Hintergrund des dezidierten deutschen Eintretens für das Völkerstrafrecht seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre war es indessen sehr überraschend, dass 2017 auch vonseiten der deutschen Diplomatie eine Stellungnahme abgegeben wurde, die immunitätsfreundlich gelesen werden konnte. Zog die deutsche Regierung, so fragte man sich verwundert, die Praxis der deutschen Justiz nach dem Völkerstrafgesetzbuch an einem zentralen Punkt völkerrechtlich in Zweifel?

Das könnte Sie auch interessieren:

Dies mag den BGH dazu bewogen haben, die Frage der Immunität im Strafverfahren gegen den ehemaligen Soldaten Afghanistans kurz vor Toresschluss und zur nicht geringen Überraschung vieler in den Mittelpunkt zu rücken, obgleich die Verteidigung den Punkt gar nicht geltend gemacht hatte. In seinem zu Beginn erwähnten Grundsatzurteil hat sich der BGH zum Fortbestand des Nürnberger Prinzips bekannt und festgestellt: Bei Verdacht eines Kriegsverbrechens oder bestimmter anderer, die Weltgemeinschaft als Ganze betreffenden Straftaten genießen jedenfalls nachrangige fremde Staatsorgane auch bei amtlichem Handeln keine Immunität nach dem Völkerrecht. Diese Erkenntnis gilt auch im Hinblick auf die bislang bedeutsamste Verurteilung nach dem Völkerstrafgesetzbuch, diejenige des OLG Koblenz.

In seiner Entscheidung hat der BGH die kritischen Stimmen in der neueren Staatenpraxis nicht ignoriert. Indessen hätten diese eine Änderung des Völkerrechts nicht herbeizuführen vermocht, jedenfalls bislang noch nicht. Damit setzt das Urteil ein Zeichen der Beharrlichkeit gegen den Versuch, einen Pfeiler des über Jahrzehnte errichteten weltumspannenden Systems der Verfolgung von Verbrechen gegen das Völkerrecht zurückzubauen.

Einen Widerspruch zu der offiziellen Haltung Deutschlands im Übrigen sieht das Gericht nicht. So hätten sowohl Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als auch Außenminister Heiko Maas (SPD) jüngst Bekenntnisse zur deutschen Weltrechtspflege nach dem Völkerstrafgesetzbuch abgelegt. So zutreffend dies ist, so begrüßenswert wäre es, würde die Bundesregierung der deutschen Justiz auf der internationalen Bühne alsbald zur Frage der Immunität gezielt und unmissverständlich den Rücken stärken.

KStA abonnieren