Kommentar zum Ukraine-KriegNach Putins Angriff schaut Europa in den Abgrund

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Während einer TV-Ansprache hat Russlands Präsident Wladimir Putin angekündigt, russische Truppen in die Ostukraine zu entsenden. 

Köln – Der 24. Februar 2022 wird in die Geschichte eingehen. Denn der Überfall Russlands auf die Ukraine bedeutet mindestens das Ende des europäischen Friedensprozesses nach 1991, wenn nicht der Nachkriegsordnung von 1945. Der Angriffskrieg, den der russische Präsident Wladimir Putin befohlen hat, ist ein tiefgreifender und zutiefst verstörender Zivilisationsbruch.

Was für die meisten Europäerinnen und Europäer nicht mehr vorstellbar erschien, ist brutale Realität geworden: In Europa führt eine militärische Supermacht wieder Krieg. Der Kontinent steht an einem Abgrund, der längst überwunden schien. Die Verantwortung dafür trägt einzig und allein der russische Präsident. Putin hat die Maske fallen lassen: Er ist ein Despot, ein Diktator, der außer Kontrolle geraten ist.

Der Konflikt um die Ukraine ist ein politisches Lehrstück. Er zeigt, was passiert, wenn die eine Seite zögert, während die andere ein klares Ziel hat - und für dessen Erreichen Krieg, Leid und Zerstörung in Kauf nimmt.

Putin, von Großmachtträumen besessen, hat den Angriffskrieg von langer Hand geplant und die jahrelange Eskalation mit Lügen und Ablenkungsmanövern – bis hin zur demütigenden Vorführung der westlichen Staatschefs an einem absurd großen Verhandlungstisch – gesteuert. Doch mit der Invasion in die Ukraine hat der russische Kriegsherr noch viel mehr zerstört als die Integrität und Souveränität eines freien Staates. Die nach dem Ende des Kalten Krieges nach 1991 aufgebaute europäische Friedensordnung, in der endlich nicht mehr die Frage der Bewaffnung erste Priorität hatte, opfert Putin im Handstreich. Seine Botschaft an die Weltgemeinschaft, sich nicht einzumischen, gerät zu einer beispiellosen Drohgebärde. Russland werde zu Mitteln greifen, „wie Sie sie in Ihrer Geschichte noch nicht erlebt haben“: Das ist nichts anderes als eine unverhohlene Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen.

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Wenn der russische Aggressor von „Demilitarisierung“ spricht, weiß man, welchen Vasallenstaat er aus dem Nachbarland machen wird. Russlands massiver kriegerischer Überfall ist der erste in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, der völkisch begründet wird: Die Ukraine als selbstständigen Staat will Putin verschwinden lassen.

Es wäre das größtmögliche Schreckensszenario, wenn Putin nach der Ukraine auch nach weiteren Staaten greift, die während des Kalten Krieges zum Verteidigungsbündnis Warschauer Pakt gehörten. Die Menschen in Polen und den baltischen Ländern sind zutiefst besorgt. Und auch Finnland, Nicht-Mitglied in der Nato, fürchtet ob seiner langen Grenze zu Russland um seine Sicherheit.

Deswegen ist es jetzt umso wichtiger, Putin mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten. Die angekündigten Sanktionen müssen nicht nur schnell kommen, sondern vor allem Putins Machtapparat und sein Oligarchen-Netzwerk mit voller Härte treffen. Zudem müssen die osteuropäischen Nato-Mitgliedsländer so schnell wie möglich militärisch gestärkt werden. Auch wenn sich Putin dadurch kaum in die Knie zwingen lässt: Es geht darum, dass EU und Nato ein Signal maximaler Entschlossenheit senden. Putin müssen jetzt endlich Grenzen gesetzt werden.

Das Ergebnis wird sein, dass Europa wieder in zwei Machtblöcke zerfällt: Einen auf demokratischen Werten fußenden Westen und einen autoritären, von Russland dominierten im Osten. Der Versuch, den Gedanken einer demokratischen, liberalen Gesellschaft auch nach Moskau zu tragen, ist gescheitert.

Dass in Kiew Rauch und Flammen aufsteigen und in der Ukraine Menschen Opfer eines Krieges werden, ist auch die Folge von Ignoranz und Versagen des Westens in den vergangenen Jahrzehnten. An Mahnungen und Warnungen von den Regierungen aus dem Osten Europas hat es nicht gemangelt. Sie stießen in den westeuropäischen Staaten und insbesondere in Deutschland aber kaum auf offene Ohren. Das Nordstream-Projekt und die gesamten deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen basieren auf der Annahme, dass Putin trotz aller Provokationen und Menschenrechtsverletzungen am Ende rational handeln würde. Diese Einschätzung hat Putin nun pulverisiert.

Deutschland und Westeuropa stehen vor den Trümmern ihrer diplomatischen Bemühungen und ihrer Wirtschaftspolitik. Denn der Westen deckte seinen großen Bedarf an Rohstoffen vor allem auch in Russland. Putin steckte die milliardenschweren Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft offenbar jedoch vor allem ins Militär und in Waffentechnik.

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass der Westen auch militärische Verantwortung übernehmen muss, dann liefert ihn der Angriffskrieg auf die Ukraine. Politisch, ökonomisch und militärisch braucht es Stärke, um einen weiteren Flächenbrand in Osteuropa zu verhindern. Das Ziel muss glaubwürdige Abschreckung sein. Die Nato steht darum vor der größten Bewährungsprobe ihrer Geschichte.

Weitere Gründe hierfür wird Putin in den nächsten Tagen und Wochen liefern. Eine „Entnazifizierung“ der Ukraine will er vornehmen. Das bedeutet nichts anderes als: Festnahmen und Tod von Bürgern, die sich ihm im Namen von Freiheit und Demokratie entgegenstellen.

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