Muezzin-Ruf in KölnJurist hält Bedenken auch rechtlich für relevant

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Ditib-Moschee in Köln-Ehrenfeld (Symbolbild)

  • Gegen den Muezzin-Ruf gibt es, trotz des Rechts auf Religionsfreiheit, eine Reihe auch juristisch relevanter Bedenken .

Köln – Herr Bertrams, was sagt die Rechtsprechung zum Ruf des Muezzins, der nun im Rahmen eines Modellprojekts auch in Köln erschallen darf?

Michael Bertrams: Der Muezzin-Ruf ist als religiöse Betätigung durch das Grundrecht auf Religionsfreiheit geschützt. Das Oberverwaltungsgericht in Münster hat 2020 in einem Einzelfall entschieden, dass der Ruf hinzunehmen ist, solange kein Zwang zur Religionsausübung ausgeübt und nicht in die Grundrechte Dritter eingegriffen wird. Geschieht dies, haben betroffene Nachbarn einen Anspruch, von dem Ruf verschont zu bleiben.

Wie kann dieser Anspruch geltend gemacht und festgestellt werden?

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Michael Bertrams war Präsident des Verfassungsgerichtshofs NRW. Er schreibt auf ksta.de über aktuelle Streitfälle sowie rechtspolitische und gesellschaftliche Entwicklungen.

Michael Bertrams war Präsident des Verfassungsgerichtshofs NRW. Er schreibt auf ksta.de über aktuelle Streitfälle sowie rechtspolitische und gesellschaftliche Entwicklungen.

Gegebenenfalls durch eine Klage. Im konkreten Fall hat Münster festgestellt, dass der Muezzin-Ruf das Recht der Kläger auf körperliche Unversehrtheit nicht verletzt hat, weil der zulässige Lärmwert nicht überschritten wurde.

Es geht da um Lärmbelästigung, nicht um Religion?

In der Tat geht es primär darum, ob der Ruf die Rechte betroffener Nachbarn verletzt, also etwa die Qualität einer Gesundheitsstörung erreicht. Ob dies der Fall ist, müssen die Betroffenen gegebenenfalls durch sachverständige Gutachten belegen. Aber zunächst schauen die Gerichte tatsächlich auf Dezibelwerte und DIN-Normen, und sie urteilen danach, ob eine zumutbare Lärmimmission überschritten wird oder nicht.

Können ein „Fremdeln“ der Anwohner oder diffuse Ängste vor „dem Islam“ rechtlich eine Rolle spielen?

Dass es solche Vorbehalte gibt, ist zunächst einmal Realität – ganz unabhängig von ihrer Berechtigung. Das verlangt zunächst ein hohes Maß an Sensibilität.

Das ist aber mehr eine Klugheitsregel.

Im Konfliktfall kann sie meines Erachtens aber auch rechtlich relevant werden. Bei Moschee-Neubauten hat sich das schon gezeigt, indem den Bauherren Auflagen etwa zur Höhe der Minarette gemacht wurden. Ein allgemeines Gebot zur Rücksichtnahme ist selbst in einem scheinbar so nüchternen Gebiet wie dem Baurecht verankert. Bedenken gegen den Muezzin-Ruf etwa in einem Stadtteil ohne eine dort verwurzelte muslimische Community könnten somit vor Gericht durchaus Gewicht haben. Wenn eine Moscheegemeinde dort den Muezzin rufen lassen wollte, müsste sie sich umso intensiver um das Verständnis der Anwohner bemühen. Daran ist ja zum Beispiel auch in Köln gedacht, etwa mit Informationsveranstaltungen oder Handzettel-Aktionen.

Dürfen Kirchenglocken lauter läuten, als der Muezzin rufen darf?

Das Recht auf Religionsfreiheit unterscheidet nicht zwischen „angenehmen“ Geräuschen der einen Religionsgemeinschaft und „missliebigen“ einer anderen. Auch Glocken sind – rechtlich gesehen – „immitierende Anlagen“. Wer aber beispielsweise in der Kölner City neben einer romanischen Basilika wohnt, von deren Türmen seit Jahrhunderten die Glocken läuten, der muss diese historisch gewachsenen „Ortsgegebenheiten“ eher hinnehmen als Anwohner eines Neubaus in einem Wohngebiet. Welche Rücksichten eine zunehmend geräuschempfindliche Gesellschaft erwarten darf, hängt stets vom Einzelfall ab. Eine Kirchengemeinde könnte zum Beispiel Häufigkeit und Dauer des Geläuts mit Rücksicht auf die Anwohner reduzieren.

Dann spricht aus Ihrer Sicht nichts gegen das Kölner Projekt mit der – zunächst auf zwei Jahre befristeten Erlaubnis für den Ruf des Muezzins?

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OB Henriette Reker besucht die Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld am „Tag der offenen Moschee“ 2021.

Doch. Gerade in Köln haben wir es mit Gemeinden der Türkisch-Islamischen Union Ditib zu tun. Und da gilt es, genauer hinzuschauen. Die Ditib als Verband steht in einem sehr zweifelhaften Ruf. Unbestritten ist sie der verlängerte Arm der staatlichen türkischen Religionsbehörde Diyanet, die dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan treu ergeben ist. Wie dieser Autokrat es in der Türkei mit Freiheitsrechten hält, ist sattsam bekannt. Er missbraucht den Islam für seine autoritären politischen Zwecke, unterdrückt die freie Presse und eine unabhängige Justiz und lässt Journalisten und Kritiker willkürlich verhaften. Zudem hat er 2018 bei der Einweihung der – architektonisch ausgesprochen gelungenen – Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld seinen Zugriff auf diese Gemeinde wie auf alle Auslandsgemeinden der Ditib unterstrichen. Bis hin zum Missbrauch der Gemeindestrukturen für die Bespitzelung seiner Kritiker und Weitergabe von Informationen über politische Gegner, insbesondere aus der Gülen-Bewegung, nach Ankara.

Aber was hat das mit dem Muezzin-Ruf in Köln zu tun?

Aus Erdogans Perspektive ist die Zulassung dieses Rufs ein politischer Triumph ersten Ranges. Jede Konzession, wie sie das Kölner Modellprojekt darstellt, ist für Erdogan ein Meilenstein auf dem Weg seiner nationalistisch-islamistischen Expansionspolitik. Davon abgesehen offenbaren doch auch die Bedingungen und Auflagen des Feldversuchs erhebliches Misstrauen und Vorbehalte der Stadt, im Gegensatz zu der von OB Henriette Reker demonstrativ bekundeten Offenheit und Toleranz gegenüber der muslimischen Community.

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Und was folgt daraus?

Es kommt nicht nur darauf an, dass der Ruf des Muezzins erschallt, sondern auch darauf, wozu da aufgerufen wird. Konkret: Was geschieht in den Moscheegemeinden? Welche Botschaften werden dort in den Predigten beim Freitagsgebet verkündet? Das genau zu verfolgen, halte ich für viel wichtiger als die Einhaltung von Lautstärken oder Uhrzeiten beim Ruf des Muezzins. Entscheidend wird es bei den Inhalten. Und hier sehe ich die deutschen Aufsichtsbehörden in der Pflicht.

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