Aktivisten im Rheinischen RevierWie die geretteten Dörfer wieder zum Leben erweckt werden können

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06.11.2022, Nordrhein-Westfalen, Erkelenz: Demonstrationsteilnehmer dicht an der Kante des Tagebaues. (Aufnahme mit einer Drohne) Foto: David Young/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Klimaaktivisten demonstrieren am 6. Dezember in Lützerath dicht an der Kante des Tagebaus. Im Januar soll die Ortschaft geräumt werden.

Gegen die bevorstehende Räumung von Lützerath wollen die Klimaaktivisten auch mit einem Klimacamp im Nachbardorf Keyenberg protestieren. Längst nicht alle Dorfbewohner sind damit einverstanden.

Was wird aus den fünf Dörfern im Rheinischen Revier, die wegen des um acht Jahre auf 2030 vorgezogenen Kohleausstiegs nicht mehr abgebaggert werden müssen? „Bisher haben die Menschen, die dort leben, nicht das Gefühl, dass die Transformation der Industrie von der fossilen in eine klimaneutrale Produktionsweise irgendetwas mit ihnen zu tun hat“, sagt NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur. Deshalb müsse man ihnen neue Wege in eine Zukunft aufzeigen, „nachdem die Braunkohle nicht mehr das Geschäftsmodell ist, das der Region Wohlstand gebracht hat.“

Konkret betrifft das die Ortschaften Keyenberg, Kuckum, Berverath, Ober- und Unterwestrich, drei Bauernhöfe, die zu Holzweiler gehören und das Dorf Morschenich.

Die Landesregierung werde die betroffenen Kommunen, also vor allem die Stadt Erkelenz, dabei unterstützen, die ehemaligen Umsiedlungsdörfer als Gemeinwesen zu beleben und zu attraktiven Orten der Zukunft zu machen, heißt es auf Anfrage aus dem NRW-Wirtschaftsministerium.

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NRW will Masterpläne für die geretteten Dörfer entwickeln

Man werde sich in den kommenden Monaten ein Bild von den Interessen der Menschen vor Ort machen. Dabei werde es um Bleibe- und Rückkaufabsichten der Bewohner gehen. Auch der Zustand der Gebäude und Infrastrukturen, des zukünftigen Bedarfs an Wohnraum soll analysiert und mögliche Revitalisierungskonzepte entwickelt werden.

Auf dieser Basis müssen Masterpläne für die Dorfentwicklung entstehen, die sich in das Tagebauumfeld einfügen. Vor-Ort-Initiativen wie die der „Zukunftsdörfer“ sollen mit aufgenommen werden, so Neubaur. Zentrale Aussagen der Dörfer als Orte der Zukunft sollen auch Bestandteile der neuen Leitentscheidung sein, die die Landesregierung bis Sommer kommenden Jahres erarbeitet.

Der RWE-Konzern habe sich verpflichtet, die Immobilien zu angemessenen Konditionen zur Verfügung zu stellen und einen Rückkauf möglich zu machen. „Noch gibt es keine konkrete Vereinbarung mit dem Eigentümer“, sagt Wirtschaftsministerin Neubaur. Der Bund, das Land und die Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR) müssten die Vereinbarung über den vorzeitigen Kohleausstieg mit RWE vom Oktober „jetzt konkret“ umsetzen.

„Wie managen wir den Flächenpool, der eigentlich RWE gehört, aber mit Vorkaufsrechten für die ehemaligen Bewohner belegt ist? Wie lange kann das Vorkaufsrecht gelten? Was passiert danach? Das ist alles noch nicht ausgehandelt und unterschrieben“, sagt Neubaur. Die Gespräche zwischen dem Wirtschaftsministerium, dem Bauministerium und RWE seien im Oktober angelaufen. Ziel sei es, dem Aufsichtsrat der ZRR Anfang Januar ein Ergebnis vorzulegen.

Die Klimaaktivsten in Lützerath, die nach eigenen Angaben mit rund 100 Menschen in der Ortschaft leben, suchen bei ihrem Widerstand gegen die möglicherweise bevorstehende Räumung im Januar den Schulterschluss mit den noch verbliebenen Bewohnern der fünf Ortschaften, die von der Zwangsumsiedlung nicht mehr betroffen sind. Am heutigen Samstag laden sie zum Austausch auf einen „Wintermarkt“ in Lützerath ein. Im Januar soll auf dem Sportplatz von Keyenberg ein „Klimacamp für Bildung und Protest“ entstehen.

„In Keyenberg werden im Januar und Februar viele Menschen unterwegs und die Polizei mit vielen Beamten und Fahrzeugen vor Ort sein“, heißt es in einem Schreiben an die Bewohner. „Wahrscheinlich werden Sie nicht mehr so gut zur Ruhe kommen können und Fahrten durch den Ort könnten zeitweise erschwert sein. Wir können uns vorstellen, dass das nicht angenehm für Sie ist. Wir sind bereit, ihre Sorgen zu hören und soweit es uns möglich ist, Abhilfe für eventuelle Ärgernisse zu schaffen. Wir bitten aber auch um Verständnis dafür, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung in dieser Situation nicht untätig sein kann.“

Barbara Ziemann-Oberherr, Gründerin der Dorfgemeinschaft „Zukunftsdörfer“. steht vor der Gemeinschaftswiese der Ortschaft Keyenberg.

Barbara Ziemann-Oberherr, Gründerin der Dorfgemeinschaft „Zukunftsdörfer“, wehrt sich gegen die Vereinnahmung durch die Klimaaktivisten.

Bei den Bewohnern stößt das geplante Klimacamp auch auf Ablehnung. „Wir Dorfbewohner werden uns dagegen wehren“, sagt Barbara Ziemann-Oberherr aus Keyenberg, Gründerin der Dorfgemeinschaft „Zukunftsdörfer“. „Wir sind nicht gefragt worden.“ Man wolle in die Auseinandersetzungen mit der Polizei nicht hineingezogen werden. Es sei schon dreist, dass jetzt die anderen Dörfer in Beschlag genommen werden, um die Kämpfe um Lützerath auszufechten. „Diese Menschen sind in den Dörfern nicht erwünscht.“

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