Mütter in der Politik„Wenn sie sich einen Fehler leisten, folgt eine harte Bestrafung“

Lesezeit 6 Minuten
Jacinda Ardern, ehemals neuseeländische Ministerpräsidentin, hält Anfang April ihre Abschiedsrede im Parlament

Jacinda Ardern, ehemals neuseeländische Ministerpräsidentin, trat zurück, weil sie fürchtete, nicht mehr genug Kraft für das Amt zu haben.

Mütter sind in der Politik immer noch unterrepräsentiert. Wer es doch schafft, hat es schwer. Warum und wer die Lage ändern könnte, erklärt ein Kölner Politikwissenschaftler.

Herr Wäckerle, was familienfreundliche Arbeitszeiten angeht, hinkt die Politik der Wirtschaft hinterher. Warum ist das so?

In einer Firma, die beispielsweise Autoreifen herstellt, muss der Chef auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter eingehen. Er muss seinen Job attraktiv machen, sonst findet er niemanden, der für ihn arbeiten will. In der Politik herrscht da ein anderer Geist. Das Berufsbild gestaltet sich nach der Maxime, wie am Ende die schnellsten und bestmöglichen Entscheidungen getroffen werden.

Politik ist ein extremes Arbeitsumfeld, die Frage nach der Attraktivität des Jobs oder einer gleichen Vertretung aller Bevölkerungsgruppen stand lange nicht im Vordergrund. Auch die Frage nach Familie war lange Zeit irrelevant. Die politische Karriere der überwiegend männlichen Abgeordneten beruhte auf der Unterstützung der Partnerin zu Hause, die sich um Kinder und Haushalt kümmerte. Wenn da dann auch samstags die Sitzungen bis zehn Uhr abends dauerten, dann war das relativ egal. Politik wurde nicht als moderner, familienfreundlicher Arbeitsplatz entworfen. Das benachteiligt politisch schlechter gestellte Bevölkerungsgruppen besonders.

Alles zum Thema Universität zu Köln

Frauen zum Beispiel.

Genau. Die Bevölkerungsgruppe, die in der Politik am meisten überrepräsentiert ist in Deutschland sind hochqualifizierte, gut situierte Männer zwischen 45 und 55 Jahren.

Politologe Jens Wäckerle von der Uni Köln ist im Freien zu sehen, hinter ihm eine herbstlich anmutende Hecke.

Politologe Jens Wäckerle forscht an der Universität Köln.

Ist das für eine Demokratie denn von Nachteil? Wenn diese Männer so klug sind, dann können sie ja vielleicht auch für alle bestmöglich entscheiden.

Also erstens muss man sagen, dass es überhaupt keinen Grund dafür gibt, dass Frauen als großer Teil der Bevölkerung, in Parlamenten nicht zum Zuge kommen sollten. Und zum zweiten haben Studien ergeben, dass gewisse gesellschaftliche Themen nur von denjenigen Leuten auf die Agenda gesetzt werden, die auch betroffen sind. Rassismus beispielsweise wird ein Parlament aus ausschließlich weißen Menschen ohne Migrationshintergrund nicht in den Vordergrund stellen. Ebenso verhält es sich mit dem Thema sexuelle Belästigung in einem Parlament, in dem nur Männer vertreten sind. Außerdem wissen wir aus Studien, dass Frauen im Parlament auch andere Themenfelder stärken als Männer im Blick haben. Gesundheit, Kinderbetreuung und Bildung zum Beispiel.

Eine diverse Repräsentation ist also auch inhaltlich von Vorteil?

Auf jeden Fall. Sie wirkt sich übrigens auch positiv auf die Demokratie aus. Ein Parlament, das die einzelnen Bevölkerungsgruppen repräsentiert, wird vom Volk mehr akzeptiert. Außerdem zeigen gerade Krisen: Es ist von Vorteil, wenn Menschen am Verhandlungstisch sitzen, die unterschiedliche Problemlagen kennen. Bei Corona zum Beispiel war es wichtig, dass an Entscheidungsprozessen Menschen beteiligt waren, die wussten, wie es sich anfühlt, wenn Schulen geschlossen werden, andere, die Sorge um die Gesundheit ihrer alten Eltern hatten, wieder andere, die Berufe hatten, die sich nicht einfach ins Homeoffice verlagern ließen. Nur in diesen heterogenen Gruppen können dann auch Lösungen gelingen, die am Ende keine Bevölkerungsgruppe vergessen.

In der Kommunalpolitik, die ja das Eingangstor zum politischen Engagement sein sollte, haben es gerade junge Mütter schwer. Da diese Jobs nicht bezahlt sind, müssten sie zusätzlich zu einer Erwerbsarbeit und den Aufgaben mit den Kindern geschultert werden. Wäre eine Entlohnung da hilfreich?

Zumindest ist es nicht ideal, dass das nicht einheitlich geregelt ist. Kommunalpolitisches Engagement aber nur durch Geld erhöhen zu wollen birgt aber die Gefahr, dass sich vermehrt Menschen engagieren würden, denen es ums Geld geht. Das wäre kontraproduktiv. Politik sollte immer auch ein Stück Idealismus innewohnen. Aber die Tatsache, dass es kaum Geld gibt, ist natürlich auch nicht ideal. Dass gerade Menschen mit Familie unterrepräsentiert sind zum Beispiel. Aber auch weniger gut qualifizierte Arbeitnehmer. Als hohes Tier in einer Firma kann ich sagen: Ich muss um halb vier zur Stadtratssitzung, jemand auf dem Bau hat da nicht so viel Flexibilität. Und Stunden wie Gehalt reduzieren zugunsten von politischem Engagement, das kann ein Ingenieur auch eher als ein Friseur.

Wer könnte denn dafür sorgen, dass Parlamente diverser sind?

Das ist ganz klar die Aufgabe von Parteien. Die eher linken Parteien in Deutschland kümmern sich da auch schon vermehrt darum. Zumindest, was die Frauen betrifft. Sie fördern gezielt Frauen, sie setzen sie auf höhere Listenplätze, sie suchen aktiv in der Gesellschaft. Aber auch hier muss man aufpassen, dass zusammen mit dem Geschlecht auch verschiedene andere demografische Aspekte im Blick behalten werden und zum Beispiel auch Menschen mit Migrationshintergrund, junge Leute und Menschen aus verschiedenen Einkommensschichten Teil dieser neuen Gruppe im Parlament sind.

Man kann aber auch hier wieder gegensteuern als Partei und gezielt Menschen ansprechen. Der Pool in der Bevölkerung ist eigentlich riesig, wir sollten Parteien daran messen, wie gut sie diesen ausschöpfen.

Es gibt einige jüngere Beispiele an Müttern, die in der Politik das Handtuch warfen, beziehungsweise werfen mussten. Jacinda Ardern als neuseeländische Ministerpräsidentin oder Anne Spiegel als Umweltministerin. Wird es Müttern unnötig schwer gemacht?

Es ist jedenfalls zu beobachten, dass Politikerinnen für die gleichen Verfehlungen härter bestraft werden als ihre männlichen Kollegen. Das kann man damit erklären, dass unsere Erwartung an Politikerinnen sehr hoch ist. Wir denken, sie seien besser, sozialer, teamfähiger, weniger korrupt, einfühlsamer. Wenn sie sich dann doch einen Fehler leisten, ist die Enttäuschung riesig und es folgt eine harte Bestrafung.

Von Männern erwartet man diesen hehren Einsatz erst gar nicht so extrem. Es gibt viele Politikerinnen, die da verständlicherweise irgendwann frustriert das Handtuch werfen. Häufig leider gerade in einem Alter, in dem sie überhaupt erst an entscheidende Machtpositionen kommen können, mit 40 etwa.

Was könnte helfen, den Politikerberuf für Frauen und speziell Mütter leichter zugänglich zu machen?

Doppelspitzen, die Abkehr von der Präsenzkultur hin zu Abstimmungsmöglichkeiten von zu Hause aus, sind schon ein erster Schritt. Bessere Kinderbetreuung. Enorm wichtig sind aber auch positive Beispiele. Annalena Baerbock ist hier ein fast optimales Vorbild. Sie hat Kinder, sie redet über ihre Kinder. Dennoch setzt sie sich ohne Abstriche ein für ihre Aufgabe als Außenministerin. Für andere Frauen ist es extrem wichtig zu sehen, dass es nicht immer in Frustration enden muss. Dass es auch funktionieren kann.

Können auch die männlichen Politiker einen Beitrag zur Veränderung leisten?

Absolut. Wir sehen, dass sich viele Einstellungen auch bei Männern heute dann ändern, wenn sie Vater werden. Da fallen dann auch Männern Probleme auf, die ihnen vorher gar nicht bewusst waren. Die kommende Generation wird sich da auch nochmal anders aufstellen. Man kann jammern: Wir kommen zu langsam voran. Aber wer zwanzig Jahre zurückblickt, als eine Frau als Kanzlerin fast undenkbar schien, der merkt: Es hat sich schon einiges getan.

KStA abonnieren