NRW-Innenminister Reul zieht eine Ermittlungsbilanz zum Drogenkrieg und der damit in Zusammenhang stehenden Gewaltwelle in Köln und anderen NRW-Städten.
Reul zieht ZwischenbilanzPolizei klärt Gewaltwelle in Köln und Umgebung auf - Reul: „Es geht weiter“

Juni 2025: Vor einem Restaurant in Köln-Kalk kam es zu einer Explosion. Nun stellt Innenminister Reul eine Zwischenbilanz der Ermittlungen vor.
Copyright: Arton Krasniqi
Seit beinahe einem Jahr schwelt ein Drogenkrieg, der Köln und Nordrhein-Westfalen mit einer unvergleichlichen Gewaltwelle überzieht. Es geht um Geiselnahmen, Folter, Sprengstoffanschläge, Mordversuche. Im Hintergrund soll der 23-jährige Deutsch-Iraker Sermet A. mit Komplizen aus Köln-Kalk die Fäden gezogen haben. Rauschgiftlieferanten aus den Niederlanden mischen mit, mindestens sechs Bombenleger aus dem benachbarten Königreich wurden für Attentate zwischen Köln und Duisburg angeheuert. Durch akribische Nachforschungen hat die Kölner Ermittlungsgruppe (EG) „Fusion“ viele Facetten in dem Mammutkomplex aufgeklärt.
NRW-Innenminister Herbert Reul hat am Freitag gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ Bilanz gezogen: Inzwischen seien 78 Ermittlungsverfahren gegen 63 Beschuldigte eingeleitet worden. „38 Tatverdächtige befinden sich hinter Gittern“, so der Minister. Die ersten Prozesse laufen. „Die Polizei hat im vergangenen Jahr ganze Arbeit geleistet und das Dunkelfeld in der Kölner Drogenszene aufgehellt. Rund 80 Ermittlerinnen und Ermittler haben jedes Sandkorn umgedreht, sind jedem noch so kleinen Hinweis nachgegangen, um an die Täter und ihre Hintermänner zu kommen. Die Ermittlungserfolge sind der Beleg dafür.“
Weitere Herausforderungen und internationale Kooperation
Die Nachforschungen laufen weiter, betonte der CDU-Politiker. „Es liegt noch viel Arbeit vor uns.“ Erst vor einer Woche ist ein Sprengsatz vor einem Kalker Lokal detoniert, das vom Vater des mutmaßlichen Bandenbosses Sermet A. geführt wird.
Alles zum Thema Herbert Reul
- Reul legt Bericht vor Rüder Tonfall, Zwist bei Kontrolle – Zahl der Beschwerden über die Polizei steigt
- NRW-Innenminister Herbert Reul setzt bei Rede in Kerpen auf Kontrolle und Klartext
- Volksverhetzung, Beleidigung Bundesweite Razzien wegen Hass im Netz – Über 170 Einsätze
- Nach US-Angriff auf Iran NRW-Polizei hat US-Einrichtungen jetzt besonders im Blick
- IS Herbert ReuI: Islamisten in NRW missionieren wieder offensiver
- Terrorverdacht gegen Schüler? 14-Jähriger soll Anschlag in Köln geplant haben – Staatsanwaltschaft widerspricht
- Er ist erst 14 Jahre alt Terrorverdacht gegen Kölner Schüler – Staatsanwaltschaft ermittelt
In dem Fall, so der Innenminister, arbeite man intensiv mit den Niederländern zusammen. Die Kooperation habe sich sehr bewährt, „aber wir haben auch in diesen komplexen Sachverhalten gemerkt, dass es Verbesserungspotenziale gibt.“ So müsste der Informationsaustausch deutlich verbessert werden. Feste Ansprechpartner auf beiden Seiten seien unabdingbar, „um viel strukturierter zu arbeiten, wenn es um Durchsuchungsbeschlüsse und Haftbefehle geht“, so Reuls Resümee.
Nach Informationen dieser Zeitung haben niederländische Behörden in Begleitung von vier Kölner Ermittlern am 17. Juni einen Jugendlichen verhaftet. Der 17-Jährige soll seinen ein Jahr jüngeren Komplizen vor neun Monaten zur Kölner Diskothek „Vanity“ gefahren haben, um dort eine Bombe zu zünden. „Ein Richter hat den Beschuldigten vor der U-Haft verschont, das Auslieferungsverfahren läuft“, berichtete Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer.
Chronik der Gewalt: Entführungen, Diebstahl und Explosionen
Das Innenministerium hat eine Chronik der Gewaltexzesse erstellt, die am 16. Juni 2024 beginnt. Ein Mann und eine Frau werden in Rösrath entführt. Vermutlich haben beide Dealer Streit mit der Kalker Drogengang. Die Entführer brechen dem Mann die Hand.
Am 21. Juni überfallen unbekannte Täter die Rauschgifthalle der Kalker Bande in Hürth und stehlen 350 Kilogramm Cannabis.
Der Kalker Drogenboss beginnt in den eigenen Reihen nach den Dieben zu suchen. Es kommt zu Folterung, Geiselnahmen und Explosionen, um die Schuldigen zu finden. Insgesamt drei Geiselnahmen oder Entführungen listet das IM in dem Komplex auf. So auch jenen Fall vom 4. auf den 5. Juli 2024, in dem ein Paar aus Bochum, ebenfalls Rauschgifthändler, gekidnappt worden ist. Die Libanesen geraten fälschlicherweise unter Verdacht, das Cannabis gestohlen zu haben. Ein Spezialeinsatzkommando befreite die Geiseln.
Serie von Anschlägen: Bomben und Schusswaffen
Seit Ende Juni des vergangenen Jahres gingen zwölf Sprengsätze hoch, darunter in der Keupstraße, in der Holweider und in der Wichheimer Straße, um mögliche Beteiligte am Drogendiebstahl einzuschüchtern. In Solingen sprengt sich der 17-jährige Attentäter versehentlich selbst in die Luft. Weitere Anschläge folgen seit Anfang Juli in Engelskirchen, Duisburg, Düsseldorf und zwei Mal am Kölnberg. Im September kommt es zu einer Explosion vor dem Bekleidungsgeschäft LFDY in der Kölner Ehrenstraße. In dem Fall soll das Attentat nicht mit dem Drogenkrieg zusammenhängen. Insgesamt registriert der Ministeriumsreport drei Schusswaffenangriffe in Düsseldorf, Solingen und in Köln-Meschenich.
Der mutmaßliche Kalker Bandenboss ist zunächst nach Dubai geflohen. Am 1. Oktober 2024 wurde er bei seiner Rückreise am Pariser Flughafen Charles De Gaulles festgesetzt. Drei Monate später überstellen die französischen Behörden Sermet A. an die deutsche Justiz. Derzeit sitzt er in der JVA Bielefeld und wartet auf seine Anklage.