Soziale IsolationNur jede neunte NRW-Kommune hat konkrete Pläne im Kampf gegen Einsamkeit

Lesezeit 5 Minuten
Illustration. Eine Jugendliche blickt aus einem Fenster.

Auch auffallend viele junge Menschen fühlen sich in NRW einsam.

Eine wachsende Anzahl an Menschen in NRW fühlt sich einsam. Bislang ist wenig im Kampf gegen soziale Isolation in NRW passiert. Wie die Regierung nun gegensteuern will.

Über Sex und psychische Probleme reden? Dabei herrsche auf Schulhöfen längst eine große Offenheit. Aber beim Thema Einsamkeit werde es dann plötzlich schamhaft wortkarg, berichtet Lisa Kapteinat (SPD) von Erfahrungen aus nordrhein-westfälischen Schulen. „Einsamkeit, das ist gerade unter jungen Menschen ein Tabuthema“, sagt die SPD-Politikerin bei der Vorstellung der Antwort der Landesregierung auf die große Anfrage ihrer Partei mit dem Titel: „Aktueller Stand und Planungen zur Bekämpfung und Prävention von Einsamkeit und sozialer Isolation in Nordrhein-Westfalen“. Einsamkeit als flächendeckendes Problem erkannt hat man in NRW spätestens seit die vom Landtag eingesetzte Enquetekommission im März 2022 ihren Abschlussbericht präsentierte und darin offenbarte, dass 14,5 Prozent der Menschen in NRW unter Einsamkeit leiden.

Besonders gefährdet, so die Ergebnisse damals, sind Ältere, Erwerbslose, Menschen mit Migrationshintergrund, sowie seit der Corona-Pandemie auch immer mehr Kinder und Jugendliche. Auch Menschen mit geringen Einkommen und Alleinerziehende sind besonders betroffen. In seiner ersten Regierungserklärung als schwarz-grüner Ministerpräsident rückte Hendrik Wüst (CDU) das Thema dann auch besonders in den Mittelpunkt. Dass seither noch nicht allzuviel passiert ist, geht nun aus der Antwort auf die Anfrage der SPD hervor.

Aktionspläne gegen Einsamkeit gibt es kaum

Eine extra durchgeführte Abfrage der Landesregierung bei insgesamt 427 Kommunen ergibt laut Unterlagen, dass lediglich knapp jede neunte Kommune (48) Aktionspläne zur Bekämpfung von Einsamkeit verfolgt. Beispiele aus den Vorzeigekommunen wie sie in der Antwort der Landesregierung aufgeführt sind, sind etwa der Nachbarschaftstisch „Gemeinsam schmeckt's am besten“ in Bochen, das „Stattwohnzimmer“ in Lemgo, das „Plaudertelefon 55+“ in Moers oder das „Haus der Begegnung“ in Radevormwald.

Alles zum Thema Hendrik Wüst

Die allermeisten Kommunen geben bei der Frage nach Aktionsplänen als Antwort „Nicht vorhanden“ an. Der SPD im Düsseldorfer Landtag ist das zu wenig. Gerade was die Armut betreffe, die einen großen Risikofaktor für soziale Isolation darstelle, sei mehr Anstrengung seitens des Landes gefragt: „Ein Aktionsplan gegen Armut wäre logisch, da Armut auch das Risiko sozialer Isolation erhöht. Aber wir sehen hier kein strukturelles Tätigwerden der Landesregierung“, kritisierte Lisa Kapteinat.

Dass Armut tatsächlich ein wachsendes Problem darstellt, lässt sich aus den Zahlen der Landesregierung ablesen. So ist die Armutsrisikoquote bei unter 18-Jährigen in NRW seit 2005 von 20,6 auf 25 im Jahr 2021 gestiegen. Zudem wuchs die Quote der von relativer Einkommensarmut betroffenen Menschen im Jahr 2021 nach Zahlen der Landesregierung von 17,4 auf 18,6 Prozent der NRW-Bevölkerung.

In vielen Städten lebt jeder Zweite allein

Aber auch die Vereinzelung der Menschen durch sich verändernde familiäre Bindungen, zeichnen die Zahlen nach. So ist der Anteil der 1-Personen-Haushalte in NRW laut Antwort der Landesregierung mit 56 Prozent in der Studentenstadt Münster am größten, gefolgt von Köln (51 Pozent) und Düsseldorf (50 Prozent), aber auch in  Bochum (49 Prozent), Dortmund (48 Prozent), Krefeld (48 Prozent), Bonn (47 Prozent) sowie in der Städteregion Aachen (47 Prozent) lebt fast jeder Zweite alleine.

Die Antwort listet auch auf, wie viele Menschen in den einzelnen Kommunen in den vergangenen Jahren vom Amt bestattet werden mussten, weil sich keine Angehörigen fanden, die das übernehmen wollten. Essen führt die Liste mit 561 Amtsbestattungen 2022 deutlich an, es folgen Dortmund (405), Düsseldorf (384), Mönchengladbach (327) und Duisburg (320).

Als landesweite Projekte, die der Einsamkeit in allen Altersgruppen entgegenwirken sollen, gibt die Landesregierung in ihrer Antwort die externen Förderprojekte „Miteinander und nicht allein“, „Miteinander - Digital“ sowie das „Landesnetz Pflegeselbsthilfe NRW“ an. Insgesamt beläuft sich die Fördersumme für all diese Projekte in allen Städten zusammen laut Landesregierung auf gut sechs Millionen Euro im Jahr 2023.

Zudem soll unter anderem der ehrenamtliche Einsatz zur Bekämpfung von Einsamkeit gestärkt werden. Das geht aus einem Antrag der Fraktionen von CDU und Grünen für das Plenum kommende Woche hervor. Die Landesregierung wird darin beauftragt, eine Strategie zur Einsamkeitsbekämpfung zu erarbeiten. Dazu gehört etwa ein Aktionsplan gegen Einsamkeit mit konkreten Maßnahmen. Auch eine „Einsamkeitskonferenz“ mit Betroffenen soll einberufen werden.

Der Schwerpunkt beim Förderprogramm „2000 x 1000 Euro für das Engagement“ soll 2024 außerdem auf die Förderung von Projekten gegen Einsamkeit ausgerichtet werden. Außerdem soll das Land nach Willen der Regierungsfraktionen eine Studie zur Zunahme von Einsamkeit bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Auftrag geben.

SPD fordert Gemeindeschwestern als Einsamkeitsprävention für Senioren

Lisa Kapteinat fordert dennoch, die Anstrengungen zu intensivieren. Es brauche mehr Therapieplätze für psychisch Kranke, denn eine Folge der Isolation sei nicht selten eine Depression. Außerdem mahnt sie mehr Brückenprojekte für junge Erwachsene und Einsamkeitsprävention für Senioren durch den Einsatz sogenannter Gemeindeschwestern an. Letztere könnten ältere Mitbürger präventiv zu Hause besuchen, sie zu ihrer Gesundheit und Pflege beraten und so bei möglichst langer Selbständigkeit unterstützen. Dies müsse strukturell auf den Weg gebracht werden. „Ehrenamt darf nicht das sein, auf was Politik allein setzt.“

Überdies mahnt Kapteinat an, im Kampf gegen Einsamkeit genauer hinzuschauen, an welchen Orten die Dinge besonders im Argen lägen. „Das Ergebnis würde zeigen, dass die Kommunen mit einem guten finanziellen Bett mehr gegen Einsamkeit unternehmen können, als die mit klammen Kassen. Das entspricht nicht dem Anspruch der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Land. Es wäre die Verantwortung der Landesregierung hier tätig zu werden. Ich glaube fast, Schwarz-Grün will die Antworten gar nicht haben,“ sagte Kapteinat.

KStA abonnieren