UmfrageEltern haben Angst vor Elterntaxis – und fahren ihre Kinder doch selbst zur Schule

Lesezeit 7 Minuten
Vor einer Schule stauen sich die Autos - von Eltern, die ihre Kinder direkt vor die Klassenzimmertür fahren wollen.

Achtung Schulweg: Elterntaxis sind die Pest - und werden besonders von Eltern gefürchtet.

In Elterntaxis vor Schulen sehen viele Eltern eine Gefahr. Ein Fall aus Erftstadt zeigt, wie zäh der Kampf für einen sicheren Schulweg werden kann.

Lange Schlangen, Hupen und Rufe: Verkehrschaos durch Elterntaxis vor Grundschulen führen gerade in den ersten Wochen nach dem Start des neuen Schuljahres zu Konflikten. Eine Umfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zur Schulwegsicherheit hat ergeben, dass Eltern eine Gefahr in anderen Eltern sehen, die ihre Kinder zur Schule fahren. Bei der Aktion, zu der insgesamt fast 900 Meldungen eingegangen sind, wurden 130 Hinweise allein zum Thema Elterntaxis erfasst.

Eltern fürchten, ihre Kinder könnten zwischen waghalsigen Wendemanövern, Überschreitungen des Tempolimits und hektischem Zurücksetzen übersehen werden und halten es deshalb für sicherer, ihre Kinder selbst mit dem Auto zur Schule zu bringen, bestätigt auch Claudia Neumann, Expertin für Spiel und Bewegung des Deutschen Kinderhilfswerks.

Eltern tragen selbst zur Gefahr bei, die sie sehen

Ein Teufelskreis. Denn: Das Paradoxe an dieser Situation ist, dass „Eltern in den Elterntaxis selbst zu der Gefahr beitragen, die sie sehen. Das ist eine sich selbsterfüllende Prophezeiung“, schildert sie. Neumann und ihr Team organisieren zum internationalen „Zu Fuß zur Schule“-Tag, der am 22. September stattfindet, jedes Jahr verschiedene Aktionen, bei denen Kinder ihren Schulweg selbst bestreiten. „Wir wollen damit sensibilisieren und dazu anregen, Alternativen zu Elterntaxis zu suchen“, sagt Neumann.

Achtung Schulweg: Elterntaxis sind die Pest - und werden besonders von Eltern gefürchtet. Betroffene erzählen zudem, welche Strategien der Schulen es gibt, von rechts: Eva Wolff, Caroline Roggow-Lappé.

Eva Wolff und Caroline Roggow-Lappé engagieren sich für die Elterntaxi-freie-Zone vor der Nordschule in Erftstadt-Lechenich.

Da gäbe es zum Beispiel den Lauf- oder Fahrradbus. Dazu schließen sich mehrere Eltern zusammen und wechseln sich dabei ab, die Kinder zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Schule zu begleiten.

Wenn der Schulweg beispielsweise gefährlich sei und auf ein Elterntaxi nicht verzichtet werden könne, böten sich auch Fahrgemeinschaften an. „Es gibt nicht nur Schwarz oder Weiß, sondern auch so viel dazwischen“, meint Neumann. Außerdem würden die Eltern so auch zeitlich entlastet, da sie den Weg nicht mehr jeden Tag gehen oder fahren müssten.

Auch Schulministerium beschäftigt sich mit Elterntaxis

Das Thema Elterntaxis beschäftigt auch das Schulministerium NRW. Es sei für die Kinder ein wichtiger Lernprozess, den Schulweg selbstständig zu meistern, heißt es auf eine Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus dem Ministerium.

Deswegen werbe Schul- und Bildungsministerin Dorothee Feller dafür, dass Schülerinnen und Schüler ihren Schulweg zu Fuß oder auf dem Fahrrad zurücklegen. Damit die Kinder auch sicher in der Schule ankommen, richtete sie zu Schulbeginn einen Appell an die Bürgerinnen und Bürger „gerade zu Beginn des Schuljahres noch aufmerksamer auf den Straßen unterwegs zu sein.“

In Paris gibt es ganze Schulstraßen

Andere Länder seien bei Maßnahmen für die Schulwegsicherheit schon viel weiter als Deutschland, sagt Neumann. In Städten wie London, Paris oder Wien werden Straßen, teilweise sogar ganze Viertel für Autos abgesperrt, damit die Schülerinnen und Schüler sicher zur Schule laufen können.

Achtung Schulweg: Elterntaxis sind die Pest - und werden besonders von Eltern gefürchtet. Betroffene erzählen zudem, Verkehr vor der Nordschule.

Kinder sollen den Schulweg selbständig bewältigen können. Am besten zu Fuß oder mit dem Fahrrad.

Auch in Köln oder Essen gibt beziehungsweise gab es solche Versuche – bisher sind die Maßnahmen aber noch nicht dauerhaft vom Bund genehmigt. Bei diesen Versuchen habe sich gezeigt, dass die Kinder auf einmal auf der Straße angefangen haben zu spielen. „Sie haben sich die Straße gewissermaßen erobert“, erzählt die Expertin und führt weiter aus: „Der Verkehr muss sich an die Kinder anpassen, nicht andersherum“.

Kommunen haben zu wenig Spielraum, um Maßnahmen umzusetzen

Dafür brauche es verkehrsrechtliche Maßnahmen und andere Gesetze, die den Kommunen mehr Handlungsspielraum und eine schnellere Umsetzung ermöglichen. „Immer nur einen Appell an die Eltern zu richten, das Auto stehen zu lassen, reicht nicht“, findet sie.

Kachel Achtung Schulweg

Bei der Aktion Schulweg meldeten viele Eltern aus der Region Gefahrenstellen.

Man müsse erst die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Kinder sicher zur Schule kommen. Dagegen ständen zu große Hürden in den Kommunen – bis zur Umsetzung einer Maßnahme seien so viele Schritte zu durchlaufen, dass bis zu einer Lösung locker vier Jahre ins Land gingen. „Bis dahin gehen die Kinder gar nicht mehr auf die Grundschule“, sagt sie.

Mutter kämpft seit 2018 gegen Elterntaxis

Eva Wolff kennt das Problem. Sie hatten sich über die Aktion „Achtung, Schulweg!“ beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ gemeldet. Seit 2018 engagierte sie sich für eine Elterntaxi-freie-Zone vor der Nordschule in Erftstadt-Lechenich. Als stellvertretende Schulpflegschaftsvorsitzende wollte sie etwas gegen die gefährliche Verkehrssituation vor der Grundschule ihrer Tochter unternehmen. Deshalb bewarb sie sich gemeinsam mit der damaligen Schulleiterin Petra Baunemann bei der Stadt Erftstadt, um am „Schulischen Mobilitätsmanagement“ teilnehmen zu können.

Die Schule hat es ins Programm geschafft und entwickelte mit der Wuppertaler Agentur „bueffee“ 23 Maßnahmen für mehr Sicherheit auf dem Schulweg.

Ihre Tochter besucht mittlerweile die 8. Klasse, was ihren ehemaligen Schulweg betrifft, „ist seitdem sehr wenig“ passiert. Das Thema beschäftigt nun neue Generationen von Eltern. Eine von ihnen ist Caroline Roggow-Lappé. Sie versucht seit 2020, etwas für mehr Sicherheit auf dem Schulweg ihrer Kinder zu bewegen. Erfolg hatte sie dabei wenig. Die Verantwortlichen würden sich den Ball hin und her spielen und umgesetzt werde nichts.

Über Social Media haben die Mütter sich gefunden

Deswegen ist sie an die die Öffentlichkeit gegangen. Durch einen Facebook-Post haben die beiden Frauen sich kennengelernt. Nun kämpfen sie den Kampf für den sicheren Schulweg gemeinsam.

Zwei Kinder von Roggow-Lappé besuchen die Nordschule. „Es ist jedes Mal ein komisches Gefühl, sie zur Schule fahren zu lassen“ erzählt sie. Die Kinder treffen auf dem Schulweg andere Kinder, sie quatschen, sind abgelenkt und konzentrieren sich nicht mehr auf den Verkehr. Für den Lernerfolg und das soziale Miteinander sei dieser Quasselspaziergang genau der richtige Start in den Schultag, sagt Neumann. Wenn die Schulglocke klingelt, haben sich die Kinder schon bewegt und ausgetauscht, das Konzentrieren auf den Unterricht fällt dann leichter.

Ablenkung auf dem Weg zur Nordschule sei gefährlich

Das Problem ist, dass die Verkehrssituation einen solch unkonzentrierten Schultagsstart eigentlich nicht zulasse, sagt Roggow-Lappé. Wer da quatscht und rumhüpft, der gerät im Verkehrschaos vor der Grundschule vielleicht auch mal unter die Räder. Die Zufahrtsstraße werde nicht nur als Umgehungsstraße genutzt. Sondern eben auch von vielen Eltern, die ihre Kinder „mal eben“ vor der Schule rauslassen. „Das sind jeden Morgen weit mehr als hundert Autos“, schätzen die Mütter. „Schülerautobahn“ nennt Wolffs beste Freundin die kleine Straße.

Kurz vor Schulstart stehen die Autos hier Schlange, verstopfen die Straße, halten auf dem Gehweg, wenden und überschreiten das Tempolimit. Ein Chaos, das die Schülerinnen und Schüler kaum überblicken können. Um dem entgegenzuwirken, wurden in den beschlossenen Maßnahmen zwei Hol- und Bringzonen in unmittelbarer Nähe der Schule geplant.

Die eine ist 50 die andere 150 Meter von der Schule entfernt, Eltern sollen aus beiden Richtungen auf einen der beiden Parkplätze fahren und ihre Kinder in Ruhe absetzen können. „Uns wurde bestätigt, dass diese Zonen die Straße automatisch zu einer verkehrsberuhigten Zone machen würden“, sagt Wolff.

Umsetzung der Maßnahmen habe sich durch Flut und Corona verzögert

Das Problem: Eingerichtet wurden die Zonen auch nach fünf Jahren noch nicht. „Es ist super traurig, an welcher Stelle die Sicherheit von Kindern für die Stadt Erftstadt steht“, findet sie. Auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ teilt die Stadt Erftstadt mit, dass sich die Umsetzung der Maßnahmen durch Corona und die Flutkatastrophe im Jahr 2021 verzögert hätte. Auch musste wegen besonderer Nutzungsberechtigungen der Nachbarschaft ein neuer Standort für eine der Zonen gefunden werden. Die Umsetzung und Eröffnung seien aber noch für dieses Jahr geplant.

Außerdem hätte die Stadt vier Leitpfosten in die Fahrbahn gesetzt sowie einen Grünschnitt am Fußweg durchgeführt, damit die Schülerinnen und Schüler dort sicherer laufen und den Weg besser überblicken können.

Zufrieden sind die Mütter damit nicht. Wolff findet: „Dass nach fünf Jahren nun nicht mehr als ein bisschen Grünschnitt passiert ist, das kann wirklich nicht wahr sein.“


„Zu Fuß zur Schule“-Tag

Seit 2007 richten der Ökologische Verkehrsclub Deutschland und das Deutsche Kinderhilfswerk gemeinsam die Aktionstage „Zu Fuß zur Schule und zum Kindergarten“. Schulen und Kindergärten werden aufgefordert, mit eigenen Aktionen an diesen teilzunehmen. Ideen können auf der Webseite des Bündnisses eingetragen werden.

Vom 18. Bis zum 27. September finden auch verschiedene Aktionen in Köln statt, mit denen auf die problematische Verkehrslage vor vielen Schulen aufmerksam gemacht werden soll.

KStA abonnieren