Verfassungsschutz warntRussischer Geheimdienst will NRW destabilisieren

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13.04.2023, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Jürgen Kayser (l), Leiter des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen, und Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, während einer Pressekonferenz zur Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2022. Foto: David Young/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Jürgen Kayser (links), Leiter des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen, und Herbert Reul (CDU), NRW-Innenminister, während der Pressekonferenz zur Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2022.

Der Dauerkrisenmodus spielt politischen Extremisten in die Karten. Ausländischen Geheimdienste nutzen den Krieg, um den Staat zu diskreditieren.

NRW-Innenminister Herbert Reul warnt vor einer Destabilisierung der Demokratie durch die Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste und politischer Extremisten. „Mit Beginn des Krieges in der Ukraine haben die Gefahren von außen zugenommen“, sagte der CDU-Politiker bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes für das Jahr 2022 in Düsseldorf. Danach nahm die Zahl der politisch motivierten Straftaten im vergangenen Jahr um 39,9 Prozent auf 8948 zu. Viele Delikte wurden von Unterstützern und Gegnern des Kriegs in der Ukraine verübt.

Mit Besorgnis erfüllt Reul die Unterstützung des russischen Angriffskriegs durch Teile der rechtextremen Szene in NRW. Dabei werde das vom russischen Präsidenten Putin aufgegriffene Narrativ verbreitet, wonach das Agieren der Nato – insbesondere die Nato-Osterweiterung – zu einer Eskalation beigetragen habe. Die aus den Sanktionen gegen Russland resultierenden Folgen wie der Anstieg der Energiepreise und die Inflation würden „als Protestthemen instrumentalisiert“, um das politische System in Deutschland zu diskreditieren, heißt es in dem Bericht.

Aufbruch Leverkusen: Im Sinne der russischen Regierung positioniert

Als Beispiel werden die Aktivitäten des rechtsextremistischen Vereins „Aufbruch Leverkusen“ genannt. Der habe sich eindeutig im Sinne der russischen Regierung positioniert. So hätten die Rechtsextremen, zu deren zentralen Figuren der Leverkusener Rechtsanwalt und ehemalige Pro-NRW-Politiker Markus Beisicht gehört, zu einer Kundgebung mit der Forderung aufgerufen: „Der Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten Russland muss beendet werden.“

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Extremisten hätten es in unruhigen Zeiten leichter, Menschen zu erreichen und für die eigene Sache zu gewinnen, sagte Reul. Als problematisch erweise sich zunehmend, dass sich Verfassungsfeinde bei Demonstrationen als Friedensfreunde ausgeben würden. Es komme darauf an, genau hinzusehen. „Wer läuft da mit wem aufs Spielfeld? Und wer hat das demokratische Trikot nur noch zur Tarnung an und spielt eigentlich schon in einem anderen Team mit?“, sagte Reul.

Nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs ist NRW offenbar immer häufiger zum Aktionsfeld ausländischer Nachrichtendienste geworden. Die Bedrohungen erreichten das Land hybrid als Desinformation und Propaganda, in Form von Spionage, durch Cyberangriffe auf die kritische Infrastruktur, durch Staatsterrorismus und durch illegale Technologiebeschaffung. Der russische Geheimdienst gehöre zu den Hauptakteuren, aber auch China, der Iran und die Türkei hätten ihre Aktivitäten verstärkt, hieß es. „Weil uns die Bedrohungen vielfältiger erreichen, sind diese im Zusammenspiel noch gefährlicher“, mahnte Reul. 

Rechtsextremisten nutzen Dauerkrise

Der „Dauerkrisenmodus“ geht einher mit einem Anstieg der motivierten Kriminalität im Bereich der rechten Szene von 3135 Straftaten im Jahr 2021 auf 3453 Straftaten im Jahr 2022 ­­– das ist ein Plus von rund zehn Prozent. Die verübten Gewaltdelikte sanken leicht von 121 Straftaten im Jahr 2021 auf 117 Straftaten im Jahr 2022. Dieser Rückgang sei aber kein Grund zur Entwarnung. „Der Rechtsextremismus ist mit seiner menschenverachtenden Ideologie die größte extremistische Bedrohung für unsere Demokratie“, betonte Reul. Besonders im Fokus des Verfassungsschutzes steht die Reichsbürger-Szene. Dort hatte eine mutmaßlich terroristische Vereinigung um den sogenannten Prinz Reuß im Dezember vergangenen Jahres einen gewaltsamen Staatsumsturz geplant. Insgesamt gibt es in NRW aktuell rund 3400 Reichsbürger.

Auch Linksextremisten hätten versucht, „das Protestgeschehen für sich zu kapern“, so der Innenminister. Sie hätten zivildemokratische Bündnisse als Vehikel genutzt, um ihre Inhalte zu verbreiten. Die Zahl der Straftaten ging auf 824 zurück – die Delikte im Zusammenhang mit der Räumung des Braunkohledorfes Lützerath schlagen sich erst in der nächsten Statistik nieder. „Bürgerinnen und Bürger, die ein berechtigtes Anliegen wie den Klimaschutz haben, werden von linksextremistischen Straftätern instrumentalisiert. Die Klimaschutzbewegung muss sich endlich laut und deutlich von Linksextremisten abgrenzen“, forderte Reul.

Islamisten bleiben brandgefährlich

Die Zahl der Islamisten in NRW ist im vergangenen Jahr um 11,7 Prozent auf 4070 zurückgegangen. Die Zahl der gewaltbereiten Islamisten sank von 780 auf 600 Personen. Die Szene bleibe aber  weiterhin brandgefährlich, warnte Reul. „Die jihadistische Ideologie ist nach wie vor Nährboden für terroristische Gewalt. Dadurch besteht weiterhin eine große Gefahr für terroristische Anschläge in Deutschland von islamistisch motivierten Extremisten“, heißt es im Verfassungsschutzbericht. Der Islamische Staat (IS) wie auch al-Qaida setze heute mehr auf Einzeltäter oder Kleinstgruppen, die sie zu Angriffen mit ganz einfachen Tatmitteln anstiften wollten. Zum Teil würden Spendensammlungen für Erdbebenopfer von Extremisten für eigene Zwecke genutzt.

Im Bereich Antisemitismus registrierten die Sicherheitsbehörden im vergangenen Jahr 331 Straftaten, das waren 106 weniger als 2021. In den meisten Fällen ging es um Volksverhetzung, um Propagandadelikte und Sachbeschädigung. Die Qualität der Straftaten sei erschreckend, sagte Reul. Im November 2022 wurde auf die Alte Synagoge in Essen geschossen, im September 2021 konnten Anschlagspläne auf eine Synagoge in Hagen vereitelt werden. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht gibt es erstmalig ein eigenes Kapitel zum Thema Antisemitismus.

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