Mit Down-Syndrom im ersten ArbeitsmarktHerr Meurer kann das! – Wie ein Kölner mit Behinderung in einer Arztpraxis ankommt

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Dennis Meurer in einer Kölner Zahnarztpraxis.
Im Bild im Hintergrund seine Patin Yvonne Gülden.

Dennis Meurer hat das Down-Syndrom. Er arbeitet in einer Kölner Zahnarztpraxis und ist damit die Ausnahme. Denn Menschen mit Behinderung finden kaum Jobs.

Dennis Meurer hat einen Job bei Zahnärzten in Köln-Deutz – und ist als beeinträchtigter Mensch damit immer noch eine Seltenheit. Der Fachkräftemangel erhöht die Chance für Menschen mit Schwerbehinderung, im ersten Arbeitsmarkt unterzukommen, nicht.

Dennis Meurer ist 25 Jahre alt, ging bis zu seinem Abschluss 13 Jahre zur Schule, treibt Sport auf Wettkampfniveau und ist beruflich gerade noch recht frisch gestartet. Seit vergangenem Oktober hat er eine neue Stelle, es ist seine vierte seit dem Schulabschluss. Mit dieser Arbeit in einer Zahnarztpraxis ist Meurer glücklich, viel glücklicher als mit den drei Stellen davor. Er sagt: „Ich bin wirklich gespannt, wie es mit meiner Zukunft weitergeht.“ In seiner Stimme schlägt die Vorfreude, diese jugendliche Lust auf alles, was da kommen mag, Purzelbäume.

Ein junger Mann auf dem Sprung in die große, weite Welt, energiegeladen, neugierig, arbeitswillig. Klingt gut, aber nicht weiter erwähnenswert? Erleben ja schließlich tagtäglich unzählige junge Menschen in Meurers Alter so oder so ähnlich? Stimmt. Und doch ist es besonders, dass Dennis Meurer diese Erfahrungen machen darf. Er hat das Down-Syndrom. Und Menschen mit einer Schwerbehinderung, zumal mit einer geistigen Beeinträchtigung, ist der Weg in unseren Arbeitsmarkt oft verbaut.

Aktion Mensch: „Menschen mit Behinderung werden strukturell diskriminiert“

Die Sozialorganisation „Aktion Mensch“ konnte auch Ende des vergangenen Jahres keinen Positivtrend vermelden und betonte in einer Mitteilung zum Inklusionsbarometer Arbeit 2023: „Menschen mit einer Behinderung werden auf dem Arbeitsmarkt weiterhin strukturell diskriminiert.“ Vor allem die unzureichende Einstellungsbereitschaft von Unternehmen stehe einer wirklichen Verbesserung der Inklusionslage entgegen. Mehr als ein Viertel der dazu verpflichteten Betriebe in Deutschland beschäftigten keine Menschen mit Behinderung.

„Die haben keinen Bock, in einer Behindertenwerkstatt Kugelschreiber zusammenzuschrauben“, sagt Christian Schneider, Chef eines Bonner Getränke-Services. Das aber ist die berufliche Alternative für Menschen wie Dennis Meurer, wenn sie keinen Zugang zum sogenannten „ersten“ oder „allgemeinen“ Arbeitsmarkt finden. Zu Schneiders Angestellten gehört auch ein junger Mann mit geistiger Beeinträchtigung, er hilft beim Ausliefern der Bestellungen. „Dankbar, zuverlässig und loyal“ sei dieser Kollege, betont Schneider. Und damit kein purer Quotenerfüller, sondern eine Bereicherung für das Team.

Die Mitarbeitenden in der Zahnarzt-Praxis Dietsche und Wichary nehmen eine Veränderung durch Meurer wahr

Auch Dennis Meurer wird von seinen Kolleginnen und Kollegen in der Deutzer Zahnarzt-Praxis Dietsche und Wichary als bereichernd empfunden. Er hilft, wo er kann: Bedient den Sterilisator zum Säubern der Instrumente, bereitet die Behandlungszimmer vor, räumt auf, packt an, schreddert Akten und sorgt für gute Laune.

„So oft geht es um immer höher, schneller, weiter, aber durch Dennis rückt bei uns das Zwischenmenschliche in den Vordergrund“, sagt Praxis-Managerin Sanela Isic: „Wir werden durch ihn zurück zur Liebe gebracht.“ Der sichtbare Beweis: Im Eingangsbereich wurde ganz frisch der Schriftzug „Liebe“ in Buchstaben aus Moos aufgehängt.

Dennis Meurer hat das Down-Syndrom und arbeitet in einer Kölner Zahnarztpraxis.
Im Bild ist er mit den Kolleginnen Sanela Isic und  Yvonne Gülden zu sehen.

Sanela Isic (l.) ist die Managerin der Praxis, in der Dennis Meurer (M.) arbeitet. Sie sagt: „Durch Dennis rückt bei uns das Zwischenmenschliche in den Vordergrund.“ Rechts im Bild: Meurers Kollegin und Patin Yvonne Gülden.

Betriebe mit 20 bis 39 Angestellten sind dazu verpflichtet, eine Schwerbehinderte oder einen Schwerbehinderten einzustellen. Hat das Unternehmen 40 bis 59 Angestellte, müssen darunter zwei Schwerbehinderte sein. Bei Unternehmen mit 60 und mehr Angestellten, sollten fünf Prozent der Belegschaft durch Menschen mit einer Schwerbehinderung gestellt werden. Erfüllens sie diese Quoten nicht müssen die Unternehmen eine Ausgleichsabgabe zahlen. Diese liegt zwischen 140 und 360 Euro monatlich.

Mit Beginn des Jahres 2024 wurde diese Auflage sogar noch verschärft. Wer nicht einen einzigen Schwerbehinderten beschäftigt, obwohl er müsste, zahlt pro unbesetztem Pflichtarbeitsplatz 720 Euro monatlich.

„Wir können seit elf Jahren keine deutliche Verbesserung feststellen“, sagt Christina Marx, Sprecherin der Aktion Mensch. So lange wird das Inklusionsbarometer Arbeit schon erstellt, immer in der Hoffnung, Fortschritte zu sehen – mehr Menschen mit Behinderung auf dem deutschen Arbeitsmarkt. „Aber nach wie vor haben Menschen ohne Behinderung eine mehr als doppelt so hohe Chance, einen neuen Arbeitsplatz zu finden als Menschen mit Behinderung“, erklärt Marx.

Im Rheinland sind rund 19.500 Unternehmen verpflichtet, Schwerbehinderte einzustellen – sie tun es aber nicht

Fast 175.000 Unternehmen in Deutschland müssten mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze an Menschen mit Behinderung vergeben. Doch der Anteil jener, die all ihre Pflichtarbeitsplätze besetzen, fiel 2022 auf 39 Prozent, den niedrigsten Wert in elf Jahren Inklusionsbarometer. Jedes vierte Unternehmen, das eigentlich müsste, beschäftigt gar keinen Menschen mit Behinderung, sondern zahlt die Ausgleichsabgabe. Der aktuelle Fachkräftemangel erhöht die Chance für Menschen mit Schwerbehinderung also nicht.

Mit der höheren Ausgleichsabgabe für Einstellungsquote Null und mit seit Anfang 2022 eingerichteten Einheitlichen Ansprechstellen (EAA) wird nun versucht, Schwung in die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt zu bekommen. Die EAAs sind bei den Integrationsämtern untergebracht, in NRW sind dafür der Landschaftsverband (LVR) Rheinland und der LVR Westfalen/Lippe zuständig.

Im Rheinland sind rund 19.500 Unternehmen verpflichtet, Menschen mit einer Schwerbehinderung einzustellen. Die Ausgleichsabgaben beliefen sich jährlich auf 90 bis 95 Millionen Euro, sagt Christoph Beyer. Das ist viel Geld, macht den Chef des Inklusionsamtes beim LVR Rheinland aber nicht glücklich. „Unser Ziel ist ja nicht, dass wir Geld scheffeln, sondern dass wir Menschen mit Behinderung in Arbeit bringen“, sagt er. Für harte Fakten ist es noch zu früh, aber die Einrichtung der EAAs scheint sich auszuzahlen: Es gebe reichlich Anfragen von Arbeitgebern, sagt Beyer. Viele würden gern einstellen, wüssten aber nicht so recht, wie sie geeignete Kandidaten finden sollen.

Michael Bader, Geschäftsführer „Router“: „Es geht darum, dort zu arbeiten, wo andere arbeiten, und nicht in der Sonderwelt Werkstatt“

Mit den Einnahmen aus den Ausgleichsabgaben werden Arbeitsplätze von Menschen mit Schwerbehinderung gefördert. Oder auch Einrichtungen, die dabei helfen, Arbeitgeber und Arbeitssuchende zusammenzubringen. Zum Beispiel das Projekt Router, über das auch Dennis Meurer seinen Job in der Kölner Zahnarzt-Praxis gefunden hat. Formal ist er noch über eine Behindertenwerkstatt angestellt, arbeitet allerdings auf einem sogenannten „Außenarbeitsplatz“. Das Ziel bei solchen Stellen sei, so erklärt es Meurers Inklusionscoach Josefine Donhauser: „Wir sind bestrebt, dass die Teilnehmer irgendwann den Werkstatt-Rahmen verlassen können und eine entsprechende und gerechte Entlohnung erhalten.“

Häufig geht das nicht von Anfang an, da Menschen mit einer Schwerbehinderung nicht immer so leistungsfähig sind, dass es für den Arbeitgeber wirtschaftlich rentabel wäre, ihnen eine „echte“ Stelle zu geben. „Berufliche Inklusion beginnt nicht erst da, wo Menschen es schaffen, einen sozialversicherungspflichtigen Job zu bekommen und auszufüllen“, sagt Michael Bader, Geschäftsführer von Projekt Router: „Es geht darum, dort zu arbeiten, wo andere arbeiten, und nicht in der Sonderwelt Werkstatt.“

Über Dennis Meurer sagt Josefine Donhauser: „Seine Fähigkeiten sind weit größer als es für die Arbeiten nötig ist, die in einer Behindertenwerkstatt angeboten werden.“ Meurer selbst wollte unbedingt einen inklusiven Arbeitsplatz finden. „In den Werkstätten unterhalte ich mich nicht so gern“, erklärt er. Und sagt über die Zahnarztpraxis: „Mir ist es wichtig, hier angestellt zu werden. Dann kann ich auch besser verdienen.“ Seine Kollegin Yvonne Gülden, die in der Praxis als Meurers Patin fungiert, erzählt: „Ich war am Anfang ein bisschen nervös, aber ich fand die Idee toll, jemanden in einen normalen Beruf zu holen.“ Der Umgang mit Meurer habe sich dann als absolut unkompliziert herausgestellt.

„Ich habe alles gut im Griff. Ich bin sehr motiviert und immer topfit. Ich fühle mich hier sehr wohl“, sagt Meurer. Und: „Es ist mir wichtig, eine gute Leistung zu bringen und besser zu werden.“ Seine Patin Yvonne Gülden erklärt schlicht: „Er kann das.“

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