Gastbeitrag zum Missbrauch in der KircheWoelki unterlaufen viele Kardinalfehler

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Kölner Dom Wolken dpa

Das Kölner Erzbistum steht massiv in der Kritik.

  • Hans-Joachim Sander ist katholischer Theologe. Er lehrt als Professor für Dogmatik an der Universität Salzburg. Ein Gastbeitrag zum Umfang der Kirche mit Missbrauchsfällen.

Der Kölner Erzbischof, Kardinal Rainer Woelki, hat in der umstrittenen Frage eines von ihm nicht öffentlich gemachten Gutachtens der Münchener Rechtsanwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl um Geduld bis zur Veröffentlichung des Ersatzgutachtens einer Kölner Kanzlei im März gebeten und zugleich eingeräumt, selbst Fehler gemacht zu haben. Diese kennt die Öffentlichkeit noch nicht hinreichend und vollständig. Aber sie werden sich herausstellen.

Es geht in all dem um eine mögliche Unkultur der Vertuschung sexuellen Missbrauchs bei Verantwortlichen des Erzbistums in Vergangenheit und Gegenwart. Der Missbrauch ist weit mehr als eine Aktenlage, eine Gutachterfrage, eine Schlaglochpiste für Persönlichkeitsrechte. Für Überlebende bedeutet er eine häufig lebenslange Bedrohung, aus Scham vor den Übergriffen zerbrochen zu werden, an denen sie unschuldig sind. Für katholische Gläubige bedeutet er eine moderne Arena, die aber nicht wie die antiken Arenen von ihren Feinden gebaut worden ist, um sie zu verfolgen. Errichtet hat sie die selbst verschuldeten Unglaubwürdigkeit ihrer Kirche, als sie den sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen hinnahm und verheimlichte, und damit das Gegenteil davon aufbaute, wofür ihre Botschaft steht und eigentlich da ist. In dieser Arena stehen die Gläubigen jetzt und müssen sich fragen, wie sie glauben können und was sie bezeugen sollen.“

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Sie haben nichts damit zu tun, dass der Kölner Erzbischof Kardinal ist. So wie es Kardinaltugenden gibt, gibt es eben auch Kardinalfehler. Die einen sind nicht etwa der besonders ausgewiesene Habitus von Kardinälen, und die anderen bezeichnen nicht einfach persönliches Fehlverhalten oder Defizite bei Kardinälen. Es handelt sich vielmehr um strategische Fehler, die sich gravierend auf alle Ebenen auswirken. Der erste besteht darin, dem Vertrauensverlust der Kirche mit Missbrauchsgutachten entgegentreten zu wollen. Jedes seriöse Gutachten beschleunigt unweigerlich den Verfall der kirchlichen Glaubwürdigkeit. Das gilt – wie bei allen vorherigen – bereits jetzt für das öffentlich noch nicht bekannte Münchner Gutachten. Das wird auch für das künftige Kölner Gutachten gelten, das der Strafrechtler Björn Gercke im März vorlegen soll.

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Aufklärung und Aufarbeitung müssen vorangetrieben werden

Wer deshalb aber auf Aufklärung, Aufarbeitung oder auch auf Ausgleichszahlungen an die Betroffenen verzichten würde, handelte moralisch ruinös. All das gehört im Gegenteil entschlossen vorangetrieben, weil nur so das Ausmaß der Unglaubwürdigkeit zu erkennen ist, ohne sie damit schon verringern zu können. Die Bedeutung von Gutachten, Studien, Geldzahlungen liegt nicht im Nachweis guter Absichten oder im Beleg vermeintlicher Besserung, sondern in der Konfrontation mit der Wahrheit.

Daher besteht der zweite Kardinalfehler kirchlicherseits im Erschrecken über das Ausmaß des Missbrauchs, das wir immer noch mehr erahnen als wirklich klar erkennen. Es ist größer, als auch ein kirchlich identifizierter Mensch es sich je vorstellen mag. Aber in der Aufdeckung und Anerkennung der Realität geht es eben nicht um etwaige idealisierende Wünsche, sondern um die sich im Missbrauch realisierende Bosheit. Sie überragt auch alle etwaigen rechtlichen Bedenken gegen die Veröffentlichung von Gutachten. Diese sind zweitrangig. Wer über Bosheit in Furcht und Zittern verfällt, kann sie nicht bekämpfen.

Die Höhere Ebene kann die untere nicht freisprechen

Der dritte Kardinalfehler liegt darin, allfällige Konsequenzen aus den Verbrechen sexualisierter Gewalt und ihrer Vertuschung in der kirchlichen Hierarchie nach oben weiterzugeben. Das befeuert nur weiter einen Klerikalismus, der nach allen bisherigen Einsichten ein wesentlicher begünstigender Faktor für Missbrauch in der Kirche ist. Weder kann der Papst den sexuellen Missbrauch der Kirche sanieren noch kann irgendeine höhere Ebene die untere von Unglaubwürdigkeit freisprechen. Wer sich seiner möglichen Unglaubwürdigkeit als kirchlicher Amtsträger stellt, muss sich nach unten orientieren. Dort, an der Kirchenbasis, werden Menschen viel eher und härter von der Welle erfasst, die unglaubwürdiges Tun und Lassen auslöst, als auf dem hohen Sockel eines kirchlichen Amtes. Nichtin der römischen Kurie, sondern bei den Gläubigen im Erzbistum Köln entscheidet sich, ob ihr Erzbischof noch Autorität hat.

Demut und Demütigung

Der vierte Kardinalfehler liegt in der Trennung von Demut und Demütigung. Man kann keine Demut zeigen, wenn man die eigene Demütigung nicht hinnehmen will, die damit einhergeht. Die selbst verschuldete Unglaubwürdigkeit ist eine Demütigung der Kirche und ihrer Verantwortlichen. Sie müssen dies auch an sich selbst als demütigend erfahren. Sonst werden sie die Energie und den Mut nicht aufbringen, in aller Demut einen anderen als den bisherigen Weg einzuschlagen, auf dem die Bosheit nicht nur von weitem droht, sondern schon längst triumphiert hat.

Mit Aufklärung ist – laut Immanuel Kant – ein Ausgang aus selbst verschuldeter Unmündigkeit zu finden. Das genügt bei der Aufklärung des Missbrauchsskandals nicht mehr. Erst radikale, also an die Wurzel gehende Selbstkritik und Selbstrelativierung öffnen Ausgänge aus selbst verschuldeter Unglaubwürdigkeit. Ob Kardinal Woelki solche Ausgänge zu finden in der Lage ist, muss er noch zeigen.

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