Heimisches Fracking? Nein danke!Warum Deutschland nicht mit eigenem Gas heizt

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Die Fläche vor dem Industriepark Stade ist Teil der zukünftigen Hafenerweiterung für das geplante Import-Terminal für Flüssigerdgas.

Münsterland – Das Gespenst, sagen die Leute im Münsterland, stehe wieder auf. Es sei nicht totzukriegen. Notfalls müsse man noch mal aktiv werden, sich zusammenschließen, Widerstand leisten.

Es geht ums Fracking. Schon vor zehn Jahren hat die Bürgerinitiative gegen Gasbohren (BIGG) gegen den Konzern Exxon mobil gemacht, als der sich in der Gegend um Drensteinfurt nach Bohrstellen fürs Fracking umsehen wollte.

„Keine Chemie in unserer Erde“

„Keine Chemie in unserer Erde“, hieß die Losung. BIGG-Aktivisten klebten Plakate, auf denen eine schwarzen Hand eine rotes Schild zeigte: „Stop Fracking“. Auf Abwehrmechanismen dieser Art ist bis heute Verlass. Daran ändere auch die Aussicht auf eine Gaskrise im kommenden Winter nichts. „Falls es wirklich wieder losgehen sollte, bin ich sicher, dass die Leute bei uns in der Region genauso mobil machen würden wie beim letzten Mal“, sagt Carsten Grawunder, Bürgermeister von Drensteinfurt.

Grawunder ist parteilos und, wie die Mehrheit der Menschen in Münsterland, konservativ und grün zugleich. Sein 88-Prozent-Ergebnis bei der letzten Kommunalwahl verdankt er nicht zuletzt der Tatsache, dass er selbst einst zu den Gründern der BIGG gehörte.

Experten tippen sich an die Stirn

Das Beispiel Drensteinfurt zeigt die Komplexitäten der Debatte. In den Fernsehtalkshows verkünden schneidige CDU-Politiker, man könne schon viel weiter sein mit der heimischen Gasförderung, wenn man nur endlich die „rot-grüne Technikfeindlichkeit“ überwinden könne, die dem Fracking entgegenstehe. Die Wirklichkeit, kontert Bürgermeister Grawunder, sehe ganz anders aus: „Die Fracking-Gegner kommen aus der Mitte der Gesellschaft.“

Das ist nicht nur im Münsterland so. Ob im Nordwesten Niedersachsens oder am Oberreinraben: Wo auch immer Erkundungen durch Probebohrungen stattfinden sollten, rüsten rasch geschmiedete politisch bunte Bündnisse zu rustikaler Gegenwehr. Oft marschieren Landwirte vorneweg, gefolgt von Umweltgruppen. Mal fürchtet eine Brauerei ums Grundwasser, mal machen sich Hotelbesitzer Sorgen ums Image der Gegend. Oft geht einfach auch Angst um vor einer Talfahrt der Grundstückpreise.

Bedenken haben in Deutschland hohes Gewicht

Bedenken dieser Art haben in Deutschland mehr Gewicht als das Interesse an einer vom Ausland unabhängigen Energieversorgung – russischer Angriffskrieg hin oder her. Im Sauerland etwa hielt der CDU-Landrat Karl Schneider jüngst noch einmal ausdrücklich fest, dass auch die neue Weltlage nichts ändere an seinem alten Nein zum Fracking. Im sauerländischen Arnsberg hatte das Bergamt bereits im Jahr 2017 dem Gaskonzern Wintershall Probebohrungen untersagt.

Schon damals tippten sich im In- und Ausland Fachleute aus der Energiebranche an die Stirn: Nein zur Förderung von heimischem Gas? Wie lange wollen die Deutschen das durchhalten – die ja auch mit Kernkraft und Kohle schon nichts mehr zu tun haben wollen?

„Die dümmste Energiepolitik der Welt“

Im Jahr 2019 spottete das „Wall Street Journal“ mit Blick auf Berlin über „die dümmste Energiepolitik der Welt“. Jetzt, im Jahr 2022, entpuppt sich tatsächlich vieles als verkorkst. Falsch war es nicht nur, wie sich schmerzhaft zeigt, die Abhängigkeit von russischem Gas wachsen zu lassen. Falsch war es schon, den Ausstieg aus der Kernkraft vor den Ausstieg aus der Kohle zu legen: Deutschland steigert deshalb aktuell den Kohlendioxidausstoß in makabrer Weise.

Auch die Geschichte des Frackings in Deutschland entpuppt sich mittlerweile als ein Gespinst aus alten Vorurteilen und neuen Widersprüchen. Der aktuelle Stand der Dinge läuft sogar hinaus auf einen wahren Schildbürgerstreich.

Beide Prozesse rauben Energie

Weil die Deutschen ihr eigenes Schiefergas nicht fördern wollten, importieren sie es jetzt eilends aus den USA und Kanada. Dort aber wird es mit derselben Technik gefördert, die man hier ablehnt. Der einzige Unterschied: Importiertes Schiefergas muss vor dem Schiffstransport verflüssigt und dann an LNG-Terminals wieder in den gasförmigen Zustand zurückversetzt werden. Beide Prozesse rauben Energie, hinzu kommt die Fahrt übers Meer. Die CO2-Bilanz von heimischem Schiefergas wäre günstiger gewesen.

Deutschland zahlt jetzt einen hohen Preis dafür, dass Politik und Gesellschaft in den vergangenen Jahren stets nur den aktuell bequemsten Weg gesucht haben. Der Gedanke an nationale Resilienz in Krisenzeiten, gar an Geopolitik in einer feindseliger werdenden Welt, blieb in Berlin ausgeklammert.

Berlin hätte auf eigene Experten hören sollen

Dabei hätten die Ministerien in Berlin einfach nur auf ihre eigenen Experten hören müssen. Schon im Jahr 2016 veröffentlichte die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover, die dem Berliner Wirtschaftsressort zugeordnet ist, eine Studie zu „Schieferöl und Schiefergas in Deutschland – Potenziale und Umweltaspekte“. Darin ist von „insgesamt förderbaren Schiefergasmengen“ im Umfang von bis zu 2340 Milliarden Kubikmetern die Rede.

Die Untersuchung, koordiniert von dem Geologen Stefan Ladage, erregte Aufsehen – aber nur in Fachkreisen. Teilt man das vom BGR beschriebene Potenzial durch den jährlichen deutschen Gesamtgasverbrauch (derzeit rund 90 Milliarden Kubikmeter), wäre rein rechnerisch eine Versorgung durch heimisches Gas für 26 Jahre möglich.

Ein Schatz unter der Erde

Die BGR-Experten verweisen allerdings auf einige Unwägbarkeiten. In der Praxis lasse sich nicht jedes Potenzial technisch ausbeuten, zudem müsse man differenzieren zwischen wirtschaftlich sinnvoller und zu aufwendiger Förderung. Doch selbst wenn man pessimistischerweise nur zehn Jahre Komplettversorgung durch deutsches Schiefergas unterstellen würde, bliebe es bei einem politisch bedeutsamen Befund: Unter der Erde liegt ein Schatz, den Deutschland zumindest mal genau erkunden müsste.

Doch wer traut sich das? Und wer nimmt das nötige Geld in die Hand? Voraussetzung wäre nach Ansicht von Mario Mehren, Vorstandsvorsitzender von Wintershall Dea, ein breites Umdenken in Bund und Ländern. „Dafür brauchen wir Politikerinnen und Politiker, die mit klaren Beschlüssen den notwendigen Rahmen schaffen“, sagte Mehren am Donnerstag dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Erst dann kann und wird es umfassende Investitionen geben.“ Angesichts der internationalen Krisen müssten Gesellschaft, Industrie und Politik in Deutschland klug handeln. „Uns sollte jeder zusätzliche Barrel Öl und jede zusätzliche Kilowattstunde Gas aus Deutschland willkommen sein. Nichts sollte jetzt unversucht bleiben.“

Gaskrise im Winter bleibt unvermeidbar

Jahrelang schien es, als sei Wintershall aufgrund der Rechtslage und der Fracking-feindlichen Grundstimmung in Deutschland schon gar nicht mehr interessiert an Bohrungen im eigenen Land. Doch jetzt betont Mehren, an seinem Unternehmen werde es jedenfalls nicht scheitern: „Wir sind bereit, alles uns Mögliche zu tun, um die deutsche Energieversorgung unabhängiger zu machen. Dafür haben wir das Know-how.“

Zur Wahrheit gehört allerdings, dass das Fracking den Deutschen nicht mehr an der Gaskrise im Winter 2022/23 vorbeihelfen wird. Selbst wenn Politik und Industrie sich beeilen, würde es mehrere Jahre dauern, bis das erste Schiefergas aus deutschen Gesteinen gepresst wird. Die Industrie hat die nötigen Bohrvorrichtungen schon gar nicht mehr zur Hand, die Geschäfte sind, samt Mitarbeitern und Support-Firmen, ins Ausland abgewandert.

Der brennende Wasserhahn

Zudem bleibt zweifelhaft, ob es wirklich zu der vom Wintershall-CEO verlangten breiten politischen Umbewertung kommt. Lohnen würde sich das Fracking nur, wenn man der Ukraine-Krise womöglich noch weitere Krisen folgen. Eine strategische Debatte über diese Frage aber gibt s nicht in Deutschland.

Zu sehen sind stattdessen parteipolitische Rempeleien. So fuhr Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) den Niedersachsen Stephan Weil (SPD) an, der doch per Fracking für mehr Gas sorgen könne. „Geht“s noch?“, konterte Weil und schrieb auf Twitter: „Lieber Markus Söder, wie wär„s endlich mit Windkraft in Bayern?“ Eine nationale Energiestrategie für Deutschland, ahnt man, wird aus einem solchen Pingpong nicht erwachsen.

Beliebtes Festhalten an Klischees

Zum politischen Kästchendenken kommt das in Deutschland beliebte Festhalten an Klischees. So wird die Frackingdebatte noch immer dominiert von Assoziationen mit brennenden Wasserhähnen. Vor zehn Jahren gingen entsprechende Bilder um die Welt sie halfen, den US-Dokumentarfilm „Gasland“ populär zu machen. Inzwischen ist längst klargestellt, dass das seinerzeit per Feuerzeug entzündete Gas aus dem Hahn Biogas aus oberflächennahen Schichten war – und mit dem Thema Fracking nichts zu tun hat.

Insider aus der Gasbranche sagen, die Debatte in Deutschland sei „schlicht und einfach nicht auf dem aktuellen Stand“. Nach wie vor werde etwa vor einer hässlichen Zersiedelung der Landschaft gewarnt, mit Bohrungen alle paar hundert Meter. Tatsächlich aber genüge inzwischen eine einzige Tiefenbohrung, um mit ferngelenkten Systemen auch zur Seite hin riesige Potenziale zu erreichen.

Werden die Gefahren des Frackings überschätzt?

Die anfangs gefürchteten Fracking-Flüssigkeiten (frac fluids) seien mittlerweile in ihrer Schädlichkeit für die Umwelt deutlich reduziert worden. Hinzu komme, dass in Deutschland jede Bohrstelle wie eine Tankstelle durch Auffangsysteme gegen den Rücklauf schädlicher Stoffe ins Grundwasser gesichert werden müsse.

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Werden also die Gefahren des Frackings seit vielen Jahren überschätzt? Der damalige Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe äußerte exakt diesen Eindruck schon bei der Vorstellung der Schiefergas-Studie im Jahr 2016. Und im Jahr 2021 kam eine vom Bund eingesetzte Expertenkommission zu einem ähnlichen Ergebnis. Beteiligt waren ökologische Sachverständige etwa vom Umweltbundesamt und vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung.

Zwar hielten die Experten fest, ein Restrisiko lasse sich nie ganz ausschließen. Die Gefahr für das Grundwasser sei jedoch bei Anwendung neuester Techniken „gering“, das Risiko von Erdbeben sogar „äußerst gering“. In Berlin hatte und hat aber niemand Lust, darüber zu debattieren. Die Ampelkoalition, hört man, habe schon Konfliktthemen genug. (rnd)

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