Kunst des SchweigensJoe Biden setzt auf Zusammenhalt statt Zynismus

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Joe Biden gedachte der Tausenden Corona-Toten in seinem Land.

Was soll man tun, was soll man sagen am Ende dieser vier irren und wirren Jahre mit Donald Trump?

Joe Biden hat in der vergangenen Nacht eine kluge und menschlich beeindruckende Antwort gegeben: Jetzt ist einfach mal Schweigen angesagt. Stille. Seinen heillos überdrehten Amerikanern hat Biden einen Moment der Besinnung verordnet.

Am Vorabend des historischen Machtwechsels in Washington wurde der rund 400.000 Corona-Toten in den USA gedacht, mit nächtlichen Illuminationen und Glockengeläut, in großen und in kleinen Städten, von New York bis Seattle. Land und Leute reiben sich jetzt verwundert die Augen. Wie kommt es, dass Biden plötzlich so viel Einfluss ausübt aufs ganze Land, vor allem emotional?

Ins Weiße Haus zieht ein idealistischer alter Mann ein, der sich allen Ernstes etwas ganz Altmodisches zutraut: eine moralisch begründete politische Führung. Biden hält seinen Amerikanern einen Spiegel vor, er erinnert sie an eigene Grundsätze. Waren sie nicht immer ein hilfsbereites Volk? Sind sie nicht Heimat von 40 Prozent aller Nobelpreisträger? Warum eigentlich sollte eine solche Nation nicht mit der Corona-Krise fertig werden?

Zusammenhalt statt Zynismus, Patriotismus statt Nationalismus: Biden zeigt, wie das alles gehen kann – schon vor seiner Vereidigung.

Im Umgang der USA mit der Viruskrise liegt der Schlüssel zur Lösung vieler weiterer Probleme. Biden, das hat er oft gesagt, will eine sachliche Zusammenarbeit im Kongress über Parteigrenzen hinweg. Was liegt näher, als damit beim 1,9-Billionen-Dollar-Programm zur Abfederung der Pandemie-Folgen zu beginnen? Zweiflern könnte auf diesem Feld schon bald vorgeführt werden, wie hilfreich es sein kann, den ideologischen Pulverdampf mal wegzublasen und gemeinsam neue Wege zu finden.

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Auch international legt die Pandemie Kooperation statt Konfrontation nahe. Die Welt hat nicht vergessen, dass amerikanische Gesundheitsexperten schon sehr viel Gutes getan haben, zuletzt vor allem im Kampf gegen das Ebola-Virus. Im Augenblick wäre eine amerikanische Mitfinanzierung der globalen Impfinitiativen gegen das Coronavirus besonders wichtig.

Erst jetzt geht vielen Amerikanern auf: Trump hat, indem er auf internationaler Bühne die Arme verschränkte und nur immer wieder den heiseren Schlachtruf „America first“ hervorstieß, Amerika schwach gemacht. Dies gilt besonders im Vergleich zu China, das sich vielen Ländern gegenüber großzügig zeigte – und damit rund um den Globus seinen Einfluss mehrte.

Eigene Inkompetenz überwinden

Ein gewinnender neuer Auftritt Amerikas in der Welt setzt voraus, dass die USA in der Coronakrise im ersten Schritt zunächst den Eindruck ihrer eigenen Inkompetenz überwinden. Auf diesen Zusammenhang macht Samantha Power aufmerksam, Barack Obamas frühere UN-Botschafterin, die von Biden als künftige Chefin der Entwicklungshilfeagentur USAid vorgesehen ist. Tatsächlich erwiesen sich die USA zuletzt als ein Land, das zu Hilfe für andere weder bereit noch in der Lage war.

Biden muss das drehen, und zwar schnell. Er selbst hatte schon in anderen Zusammenhängen den Satz geprägt, Amerika erlange seine weltweite Führungsrolle „nicht durch ein Beispiel für seine Macht, sondern durch die Macht seines Beispiels“.

Am Tag der Amtseinführung darf man wohl festhalten: Das ist ein wunderbarer Satz, Mr. President. Auf ein solches Amerika, das sich neu einfügt in die Gemeinschaft der Staaten, hilfsbereit, weltoffen, auf der Suche nach der besten Lösung, freut sich die ganze Welt.

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