US-PräsidentschaftGelassenheit ist der große Unterschied zwischen Biden und Trump

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Biden Arm

Staatsmännisch: Joe Biden, 46. Präsident der USA

Washington – Vielleicht liegt es an dem beruhigenden Blick vom Wohnzimmer seines Hauses auf einen kleinen See mit herbstlichem Laub. Vielleicht auch an der räumlichen Entfernung des Heimatorts Wilmington in Delaware von der amerikanischen Hauptstadt. Wahrscheinlich aber vor allem an seiner 48-jährigen Erfahrung in der Washingtoner Politik: Während Präsident Donald Trump in diesen Tagen immer wilder um sich schlägt und seinen Stuhl nicht räumen will, wirkt sein gewählter Nachfolger Joe Biden auf fast befremdliche Weise gelassen.

„Was sagen Sie den Amerikanern, die besorgt sind, weil Präsident Trump seine Niederlage immer noch nicht eingeräumt hat?", will am Dienstag eine Reporterin von ihm wissen. Der 77-Jährige streicht sich kurz über den Mund: „Also, ich finde, dass das peinlich." Kurze Pause, dann: "Wie kann ich das taktvoll sagen?" Biden atmet durch: „Ich glaube, das wird dem Vermächtnis des Präsidenten nicht helfen." Kein scharfer Ton. Kein Angriff auf Trump. Nur die Zuversicht: „Das alles wird am 20. Januar seine Früchte tragen." Der 20. Januar ist der Tag seiner Inauguration. 

Trump wütet – Biden bleibt gelassen

So geht das seit Tagen: Trump setzt eine Armada von Juristen in Bewegung, feuert alle Mitarbeiter, die ihm nicht bedingungslos folgen und hetzt seine Basis auf, für seinen Verbleib im Amt zu kämpfen. Und Biden macht business as usual. In Wilmington trifft er Berater, führt Telefongespräche und zeigt sich jeden Tag kurz in der Öffentlichkeit. Aber er vermeidet jeden persönlichen Angriff auf seinen Kontrahenten und jede Eskalation der angespannten Lage. Den Regeln folgen, die Temperatur der politischen Debatte senken, das Land wieder zusammenführen – das waren schon im Wahlkampf die Leitlinien des Demokraten. Auf keinen Fall will er sich hinabbegeben in die Verschwörungswelt des Amtsinhabers und auf eine Schlammschlacht mit ihm einlassen.

Trump Golfen

Donald Trump zeigt seinen Unterstützern zwei Daumen nach oben kurz nach der Golfrunde, die er nach der Nachricht der Niederlage eingelegt hat.

So bietet sich der amerikanioschen Öfentlichkeit gerade ein bemerkenswerter Kontrast: Während der Amtsinhaber seit Donnerstag nicht mehr vor die Kameras getreten ist und stattdessen wie ein durchgeknallter Twitter-Troll seinen Frust herausbrüllt, tritt sein Nachfolger in Wilmington an ein Rednerpult mit Wappen und dem Schriftzug „Büro des gewählten Präsidenten" und redet wie ein klassischer Staatsmann.

Auch sonst könnte der Unterschied kaum größer sein. Am Sonntag fährt Trump auf den Golfplatz. Der Katholik Biden geht mit seiner Familie in die Kirche St. Joseph on the Brandywine und besucht den Friedhof, auf dem seiner erste Frau Neilia, seine Tochter Naomi und sein Sohn Beau begraben liegen. Am Montag stellt Biden seine 13-köpfige Corona-Expertengruppe vor und präsentiert einen Aktionsplan zur Bekämpfung der Pandemie. Am Dienstag telefoniert er mit vier europäischen Regierungschefs und spricht über die Zukunfrt der Krankenversicherung Obamacare.

Viel Arbeit hinter verschlossenen Türen

Viel Arbeit findet auch hinter verschlossenen Türen statt: Die Trump-Regierung verweigert Biden weiterhin die Anerkennung als Wahlsieger. Sein Team erhält daher keinen Zugang zu den Ministerien, um den Übergang vorzubereiten. Auch bleibt dem künftigen Präsidenten das tägliche Briefing der Geheimdienste verwehrt, und er kann nicht auf die Infrastruktur des State Departments für Telefongespräche mit ausländischen Staats- und Regierungschefs zurückgreifen.

Dessen ungeachtet hat der gewählte Präsident mehrere hundert Freiwillige bestimmt, die die Übergabe der Geschäfte auf den verschiedenen Politikfeldern vorbereiten sollen. Auch will er noch vor dem Thanksgiving-Fest Ende des Monats erste Personalentscheidungen für wichtige Posten im Weißen Haus und im Kabinett treffen.

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Das alles findet naturgemäß im Verborgenen statt. Für die Öffentlichkeit sichtbar ist Biden nur wenige Minuten am Tag. Nämlich dann, wenn er vor seinem Haus in eine schwarze SUV-Limousine steigt und zum schick restaurierten Queen-Theater in der Innenstadt von Wilmington fährt. Dort steigt er auf die Bühne und redet – selten länger als eine Viertelstunde. 

Die Zurückgezogenheit provoziert auch Kritik. So stellt sich Biden selten den Fragen von Journalisten. Ohnehin hat wegen der Covid-Ansteckungsgefahr nur eine Handvoll Berichterstatter Zugang zu seinen Auftritten. Virtuelle Pressekonferenzen hat es bislang nicht gegeben. Nicht einmal wann genau Biden beispielsweise mit Kanzlerin Angela Merkel telefoniert hat, macht das Biden-Team publik. Etwas mehr Transparenz, mahnt der renommierte Politico-Korrespondent Ryan Lizza, könne schon sein: Wer mit ausländischen Staatsführern rede und eine Regierung aufbaue, der müsse "auch für die Presse zugänglich sein". (doe/RND)

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