„hart aber fair“ korrigiert FaktencheckWagenknecht poltert, „Klamroth lügt“ trendet – das steckt dahinter

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Louis Klamroth moderiert die WDR-Talkshow „Hart aber fair“. Zu Wochenbeginn wies er Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht zurecht. (Archivbild)

Louis Klamroth moderiert die WDR-Talkshow „Hart aber fair“. Zu Wochenbeginn wies er Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht zurecht. (Archivbild)

Aufregung um Sahra Wagenknecht und Louis Klamroth. Hatte der WDR-Moderator bei einer Zurechtweisung der Linken-Politikerin inhaltlich unrecht? Eine Einordnung.

Am Donnerstag ging auf Twitter das Hashtag „Klamroth lügt“ durch die Decke. Der Grund: Sahra Wagenknecht hatte sich zu Wort gemeldet – drei Tage, nachdem sie zu Gast bei „hart aber fair“ mit Louis Klamroth gewesen war.

Die Linken-Politikerin hatte sich in der WDR-Sendung über Kriegsverbrechen ausgelassen und fühlte sich vom Moderator zu Unrecht der Falschaussage bezichtigt – ihre Unterstützerinnen und Unterstützer schufen das Hashtag. Mehr als 25.000 Tweets zum Thema wurden mittlerweile abgesetzt – und der WDR überarbeitete seinen Faktencheck zur Sendung. Was ist passiert?

Disput zwischen Louis Klamroth und Sahra Wagenknecht bei „hart aber fair“ 

Zum Hintergrund: Sahra Wagenknecht setzt sich mit der Publizistin Alice Schwarzer für eine Verhandlungslösung des Kriegs in der Ukraine ein und fordert das Ende von Waffenlieferungen an Kiew.

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Die Runde diskutiert hitzig das Leid ukrainischer Frauen, die von sexualisierter Gewalt, insbesondere von Vergewaltigungen durch russische Streitkräfte systematisch betroffen sind. Wagenknecht nennt die Vergewaltigungen „Übergriffe“, die „schauerlich und grässlich“ seien und fügt an: „Das ist doch Teil des Krieges“.

„Das ist Gewalt, das ist sexualisierte Gewalt, das ist nicht irgendein Übergriff“, erzürnt sich Katrin Göring-Eckhart daraufhin. Trotz der Kritik der Grünen-Politikerin, erklärt Wagenknecht schließlich: „Die UN-Menschenrechtskommissarin hat immer wieder darauf hingewiesen, auch in diesem Krieg: Kriegsverbrechen werden von beiden Seiten begangen, und wenn man sie beenden will, dann muss man diesen Krieg beenden.“

„Frau Wagenknecht, das kann ich in dieser Sendung so nicht stehen lassen“, grätscht Moderator Klamroth dazwischen. Es sei explizit um Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe gegangen, argumentiert der WDR-Journalist. Die anderen Gäste der Talkrunde sehen das augenscheinlich ähnlich. Belege für derartige Taten von ukrainischen Soldaten gebe es nicht, führt Klamroth aus. Die Regie zeigt einen Beitrag – auch dort heißt es, dass ausschließlich russische Truppen für die Vergewaltigungen verantwortlich seien.

Debatte um Kriegsverbrechen: Warum empört sich Sahra Wagenknecht?

Wagenknecht bleibt offenbar dennoch bei ihrer Haltung – und teilt am Donnerstag auf Twitter als Beleg für ihre These den Screenshot eines Auszugs aus einem Faktencheck, den die WDR-Redaktion zur „hart aber fair“-Sendung veröffentlicht – und dann noch einmal überarbeitete hatte.

Sahra Wagenknecht bei „Hart aber Fair“ (Archivbild)

Sahra Wagenknecht bei „Hart aber Fair“ (Archivbild)

So wie in der Folge viele ihrer Unterstützerinnen und Unterstützer suchte sich Wagenknecht für ihr Zitat einen kleinen Ausschnitt aus dem ausführlichen Bericht heraus – und schreibt dazu: „Inzwischen hat #HartAberFair seinen Fehler eingestanden.“ Es sei nicht zu viel verlangt, dass die Redaktion „vorher(!) sauber recherchiert, ehe mir der Moderator vor Millionen zu Unrecht Falschinformation vorwirft“, empört sich die Linken-Politikerin.

WDR überarbeitet seinen Faktencheck zur Sendung „hart aber fair“ mit Sahra Wagenknecht

Nach der Aktualisierung des Faktenchecks durch den WDR liest man dort: „Wagenknecht bezog sich an dieser Stelle aber auf Kriegsverbrechen. Wir texten in unserem Einspielfilm: ‚Die Vereinten Nationen sammeln seit Beginn des Krieges Informationen zu Vergewaltigungen: Es gibt dazu verschiedene Aussagen, Stellungnahmen, Berichte. Belege für Vergewaltigungen durch ukrainische Soldaten liegen der UN demnach nicht vor.‘ Mittlerweile ist uns ein Bericht der UN-Menschenrechtskommissarin aus dem Juli 2022 bekannt, in dem auch über sexualisierte Gewalt auf ukrainisch kontrolliertem Gebiet berichtet wird.“

Mehr als das zitiert Wagenknecht nicht – und damit fehlen Informationen: Sie stehen genau in den UN-Berichten, die Wagenknecht dem Moderator nun vorhält. Der Sender zitiert schon im nächsten Satz die damalige UN-Menschenrechtskommissarin: Das Team habe 28 Fälle verifiziert, heißt es. „Die meisten Fälle wurden in den von den russischen Streitkräften kontrollierten Gebieten begangen, aber es gab auch Fälle, die in von der Regierung kontrollierten Gebieten begangen wurden.“

UN: Mehrheit der Vergewaltigungsfälle auf russischer Seite

Über die Täterschaft sagt das zunächst wenig aus, es impliziert jedoch, dass es vereinzelt auch Fälle auf ukrainischer Seite gegeben haben könnte. Ein Beleg für Vergewaltigungen ist das nicht. Die Vereinten Nationen sehen selbst in dem Bericht, den Wagenknecht als Beleg für ihre These heranzieht, die absolute Mehrheit der Fälle auf russischer Seite.

Weiter steht darin: Ein Bericht aus dem letzten September erwähnt zwei Fälle von sexualisierter Gewalt, die ukrainischen Streitkräften angelastet werden. Ihnen gegenüber stehen 30, die von russischen Soldaten begangen worden seien. Es gibt also vereinzelte Fälle auf ukrainischer Seite – um Vergewaltigungen handelt es sich dabei jedoch nicht. Bei den beiden Fällen auf ukrainischer Seite geht es um „erzwungene Nacktheit und Androhung sexueller Gewalt“, heißt es dazu in einem RND-Bericht.

Faktencheck von „hart aber fair“ liefert alle Informationen – wenn man ihn liest

Der nächste UN-Bericht zeichnet ein noch eindeutigeres Bild: Von 86 Fällen ist die Rede – alle seien russischen Tätern zuzuordnen. Ein weiterer Bericht der Vereinten Nationen kommt zu dem Schluss, dass ukrainische Kriegsgefangene „systematisch“ von russischen Truppen misshandelt werden. Eine „systematische“ Misshandlung russischer Soldaten durch ukrainische Truppen konnte nicht festgestellt werden.

Die Worte einer UN-Sonderbeauftragen unterstreichen den Eindruck: „Wenn Sie sehen, wenn Sie die Zeugenaussagen dieser Frauen hören, die über russische Soldaten sprechen, die mit Viagra ausgerüstet sind. Das ist eindeutig eine militärische Strategie.“

Kann man Louis Klamroth trotzdem etwas vorwerfen?

Was kann man Klamroth und seiner Redaktion also noch vorwerfen? Nicht viel, außer dass ihr Faktencheck nicht sofort so umfangreich ausgefallen war, sondern überarbeitet werden musste. Klamroths Aussage „Belege für Vergewaltigungen durch ukrainische Soldaten liegen der UN demnach nicht vor“, ist jedoch nach wie vor richtig. Die verfügbaren Informationen deuten zudem eindeutig daraufhin, dass nur auf russischer Seite sexualisierte Gewalt, die mehr als Vergewaltigungen umfasst, systematisch als Waffe zum Einsatz kommt. Ukrainische Einzelfälle ändern daran nichts.

Fakenews-Vorwurf hochgejubelt

Auch Wagenknechts Argument, sie habe generell über Kriegsverbrechen gesprochen, das sie noch in der Sendung angebracht hatte, verfängt nicht. Die anderen Gäste der Talkrunde sprachen eben nicht generell über Kriegsverbrechen, sondern über sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe, systematisch eingesetzt, insbesondere über Vergewaltigungen. Das wussten auch alle – ob im Studio oder am Empfangsgerät.

Louis Klamroth lag also nicht inhaltlich falsch, sondern Wagenknecht hat Informationen weggelassen – und ihre Anhängerinnen und Anhänger sind auf die Strategie in den sozialen Netzwerken angesprungen.

Ukraine verurteilte Verbrechen öffentlich, Putin verlieh Tapferkeits-Orden

Belege für systematische Kriegsverbrechen, die von russischen Streitkräften in der Ukraine begangen wurden, finden sich nach mehr als einem Jahr zur Genüge. Auch die Ukraine hat höchstwahrscheinlich in deutlich geringerer Zahl, so der aktuelle Kenntnisstand, Kriegsverbrechen begangen – und die bekannt gewordenen Taten öffentlich verurteilt und harte Strafen angekündigt. Wladimir Putin hat den Streitkräften, die in Butscha zum Einsatz kamen, Orden für „Tapferkeit“ verleihen lassen. Über Anklagen gegen russische Soldaten wegen mutmaßlichen Kriegsverbrechen ist nichts bekannt.

Die Behauptung, Kriegsverbrechen würden von beiden Seiten begangen, mag formell zwar nicht falsch sein, verwerflich ist sie in diesen Kontext allerdings trotzdem. Wagenknechts Worte werden der Realität nicht gerecht, verschleiern die numerische Schieflage zu Ungunsten der Ukraine und nutzen in ihrer politischen Wirkung nur dem Kreml.

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