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Kommentar

Radikale Botschaften
Putin zeigt sein wahres Gesicht – nun ganz ungeniert

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Lesezeit 5 Minuten
Eine Illustration, die Kremlchef Wladimir Putin als Totenkopf zeigt, hängt im März 2022 an einem Museum im lettischen Riga. (Archivbild)

Eine Illustration, die Kremlchef Wladimir Putin als Totenkopf zeigt, hängt im März 2022 an einem Museum im lettischen Riga. (Archivbild)

Während die Welt auf den Iran schaut, bringt Putin seine Weltsicht ungewohnt deutlich zum Ausdruck. Um Sicherheitsinteressen geht es nicht. 

Nach Russlands Überfall auf die Ukraine, der 2014 seinen Anfang nahm, seine Eskalation dann jedoch mit der Invasion im Februar 2022 fand, herrschte lange ein blinder Fleck hinsichtlich der Ziele und Motive, die Kremlchef Wladimir Putin zu seinem Feldzug verleitet haben könnten.

Schnell formierte sich nach Kriegsbeginn eine „Friedensbewegung“ um Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer, die mit einem „Manifest für den Frieden“ vorangingen – und seitdem zusammen mit Unterstützern wie Marin Sonneborn, Jürgen Todenhöfer und Oskar Lafontaine immer wieder von mindestens einer Mitschuld des Westens am Kriegsausbruch sprechen.

Moskau hat seine Propaganda in Europa unters Volk gebracht

Von „legitimen russischen Sicherheitsinteressen“ angesichts der „Nato-Osterweiterung“ war und ist bei dieser pro-russischen Gruppe, in der die verschiedensten Motive zusammenkommen, oftmals die Rede. Die Schuld an der Eskalation trägt der Kreml bei ihren Anhängern jedenfalls nie allein. Manchmal klingt es sogar, als wäre Moskau nichts anderes übriggeblieben, als die Ukraine mit einem mörderischen Krieg zu überziehen.

Dass die Nato-Beitritte ehemaliger Sowjetstaaten nur einer von vielen Faktoren, jedoch nicht die Triebfeder hinter Russlands Krieg waren, lag allerdings schon damals nicht im Verborgenen. Aber Moskau beherrscht es gut, die eigenen Propaganda-Narrative unters Volk zu bringen – nicht nur unter das eigene.

Nato als angebliche Bedrohung: Angst vor der „kugelsicheren Weste“?

Und so hält sich die Erzählung, der Westen habe den Kreml provoziert, bis heute vor allem in Kreisen, die traditionell viel Verständnis für russische Positionen aufbringen – in Teilen der SPD und CDU bis hin zur Wagenknecht-Partei und zur AfD. Dass die Ukrainer schlichtweg nicht mehr unter Putins indirekter Herrschaft leben wollten, scheint dort nur selten vorstellbar.

Einleuchtend war die Argumentation ohnehin noch nie: Die Nato ist ein Verteidigungsbündnis. „Jemand, der eine kugelsichere Weste trägt, ist für dich nur dann eine ‚berechtigte Sorge‘, wenn du vorhast, auf ihn zu schießen“, so brachte der ehemalige russische Schachweltmeister und nunmehrige Kremlkritiker Garri Kasparow die Ausgangslage jüngst noch einmal auf den Punkt.

Wenn Putin Klartext spricht, herrscht das große Schweigen

Die Kritik an Waffenlieferungen an die Ukraine oder harten Maßnahmen gegen den Kreml kommt dabei auffällig oft von jenen, die vor Moskaus Überfall stets versichert hatten, dass Russland bestimmt nicht militärisch gegen das Nachbarland vorgehen werde. Wagenknecht und Co. irrten sich eindrucksvoll – und hören seitdem auch nicht damit auf.

Beeindruckend war daher nun das dröhnende Schweigen, was angesichts der jüngsten Aussagen Putins in diesen Tagen herrschte. Im Schatten von Israels Krieg gegen den Iran, an dem sich nun auch die USA beteiligen, ließ Russlands Präsident zuletzt alle Masken fallen – und zeigte der Welt sein wahres, imperialistisch-faschistisches Gesicht ganz ungeniert.

Wladimir Putin: „In diesem Sinne gehört uns die gesamte Ukraine“

Sehen konnte das allerdings auch zuvor bereits jeder, der hingeschaut oder die Essays des Kremlchefs gelesen hat. Dass Wagenknecht das laut eigenen Angaben nie getan hat, passt da nur zu gut ins Bild. An der Deutlichkeit des Kremlchefs führt in den letzten Tagen jedoch auch für Russlands größte Apologeten kein Weg mehr vorbei, egal wie bemüht man auch sein mag.

„Ich habe bereits gesagt, dass ich das russische und das ukrainische Volk als ein Volk betrachte. In diesem Sinne gehört uns die gesamte Ukraine“, erklärte der Kremlchef gut gelaunt beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg Mitte Juni – und unterstrich sein krudes Weltbild dann noch deutlicher.

Keine neue Erkenntnis: „Russland ist ein faschistischer Staat“

„Wo der Fuß eines russischen Soldaten hintritt, das gehört uns“, deklamierte der Kremlchef – und war damit auch verbal nicht mehr von der Riege enthemmter imperialistischer Diktatoren zu unterscheiden, zu der er ohnehin schon immer gezählt hätte werden müssen.

Denn die Erkenntnisse sind nicht neu: „Russland ist ein faschistischer Staat“, hat der Historiker Ian Garner bereits vor zwei Jahren festgestellt. Das politische System in Russland sei bereits seit langer Zeit „immer stärker auf eine Person zugeschnitten“ worden, sagte 2023 auch der Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Das sei „ein wichtiges Moment des Faschismus“, fügte Jäger an.

Wladimir Putin als Alleinherrscher: „Jetzt ist er Zar und Gott“

Die russische Journalistin Anna Politkowskaja warnte noch viel früher vor dem Kremlchef: „Jetzt ist er Zar und Gott, den wir anbeten und fürchten sollen“, sagte sie bereits vor mehr als 20 Jahren über Putin, bevor sie 2006 vor ihrer Wohnung in Moskau erschossen wurde.

Die Erkenntnis, dass man es im Kreml mit bösartigen Ideologen und nicht mit bloß mit „Sicherheitsinteressen“ zu tun hat, wird hierzulande dennoch gerne vermieden. „Putin wiederholt nur das, was er in seinem ‚Essay‘ vom Juli 2021 ausführlich dargelegt hat: Die Ukraine habe kein Recht auf Souveränität und müsse ein Vasallenstaat Russlands sein“, stellte unterdessen der Historiker Matthäus Wehowski am Wochenende nüchtern erneut fest.

Höchste Zeit, die ewigen Putin-Versteher zu ignorieren

Es ist also höchste Zeit, die ewigen Putin-Versteher zu ignorieren – und den Kremlchef, seine Propagandisten und die imperialistischen Botschaften aus Moskau sowie die Warnungen vor Putins Plänen stattdessen endlich ernst zu nehmen.

ARCHIV - 04.06.2025, Ukraine, Kiew: Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine,  spricht zu Journalisten während einer Pressekonferenz. (zu dpa: «Selenskyj ernennt neuen Generalstaatsanwalt für Ukraine») Foto: Evgeniy Maloletka/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, spricht zu Journalisten während einer Pressekonferenz.

Denn Warnungen hat es in der Vergangenheit aus der Ukraine und dem Baltikum immer wieder gegeben – und es gibt sie auch in der Gegenwart. „Wir haben Beweise dafür, dass die russische Führung neue Militäroperationen in Europa vorbereitet“, verkündete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nach Tagen voller radikaler Botschaften aus Moskau am Montag.

Ukraine warnt vor Russlands Zukunftsplänen in Europa

Russland wolle keinen Frieden, warnt Kiew ohnehin regelmäßig. Moskaus Taten dienen dafür jeden Tag aufs Neue als Beleg. Auch am Montag gab es wieder Todesopfer in der ukrainischen Hauptstadt nach russischen Luftangriffen. Moskaus Worte – nicht nur die von Putin – lassen ebenfalls keinerlei Zweifel aufkommen.

„Der Dritte Weltkrieg hat begonnen“, verkündete am Sonntag etwa der populäre russische Faschist Alexander Dugin in einem Gastbeitrag für die staatliche Nachrichtenagentur RIA Novosti. Der Titel einer anderen Kolumne des Staatsmediums lautete: „Kapitulation plus Scham und Hunger: Die Ukraine wird auf Knien nach Russland kriechen“.

Auch das klingt mehr nach Imperialismus als nach Sicherheitsinteressen, mehr nach Faschismus als nach bedrohter Bedrängnis – und mehr nach Krieg als nach Frieden. Genauso, wie Putin es will.