„Gefährlicher Wahnsinn“Breites Entsetzen über Macron-Äußerungen – „Dann haben wir den 3. Weltkrieg“

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Der französische Präsident Emmanuel Macron, neben dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz (L), hält eine Rede zur Eröffnung einer Konferenz zur Unterstützung der Ukraine mit europäischen Staats- und Regierungschefs im Pariser Präsidentenpalast Elysee.

Der französische Präsident Emmanuel Macron, neben dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz (L), hält eine Rede zur Eröffnung einer Konferenz zur Unterstützung der Ukraine mit europäischen Staats- und Regierungschefs im Pariser Präsidentenpalast Elysee.

Während Macron offenbar in Erwägung zieht, Truppen in die Ukraine zu schicken, zögert Olaf Scholz bei Taurus-Lieferungen. Beide ernten Kritik.

Um die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland zu unterstützen, schließt der französische Präsident Emmanuel Macron auch den Einsatz von Bodentruppen durch sein Land nicht mehr aus. Nichts sei ausgeschlossen, um einen russischen Sieg in der Ukraine zu verhindern, sagte Macron nach Abschluss einer Ukraine-Hilfskonferenz am Montagabend in Paris. Bei dem Treffen von über 20 Staats- und Regierungschefs habe es zwar keine Einigkeit zum Einsatz von Bodentruppen gegeben, aber im künftigen Kriegsverlauf sei das grundsätzlich eine Option.

„Es gibt heute keinen Konsens darüber, offiziell Bodentruppen zu entsenden“, meinte Macron. „Aber in der Dynamik darf nichts ausgeschlossen werden. Wir werden alles tun, was nötig ist, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann.“

Emmanuel Macron will Truppeneinsatz in der Ukraine nicht ausschließen

Viele Menschen, die heute „nie, nie“, sagten, seien dieselben, die vor zwei Jahren sagten, „nie, nie Panzer, nie, nie Flugzeuge, nie, nie Raketen mit längerer Reichweite“. Heute drehe sich die Diskussion darum, bei der Lieferung von Panzern und Raketen schneller und stärker zu werden. „Lassen Sie uns die Demut haben, festzustellen, dass wir oft sechs bis zwölf Monate zu spät waren. Das war das Ziel der Diskussion heute Abend: Alles ist möglich, wenn es nützlich ist, um unser Ziel zu erreichen“, sagte der französische Präsident.

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Der französische Präsident Emmanuel Macron hat sich während einer Pressekonferenz zum Abschluss der internationalen Konferenz zur Stärkung der westlichen Unterstützung für die Ukraine ausgesprochen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat sich während einer Pressekonferenz zum Abschluss der internationalen Konferenz zur Stärkung der westlichen Unterstützung für die Ukraine ausgesprochen.

Die Aussagen kamen durchaus überraschend, war Frankreich zuletzt in die Kritik geraten, weil es im Vergleich zu Deutschland erheblich weniger Militärhilfe für die Ukraine geleistet hat. Premierminister Gabriel Attal pflichtete Macron am Dienstag zu. „Man kann nichts ausschließen in einem Krieg (...) im Herzen Europas“, sagte Attal im Radiosender RTL.

Reaktionen auf Aussagen von Emmanuel Macron: „Verbale Eskalation“

Vor zwei Jahren hätten viele Länder ausgeschlossen, Waffen an die Ukraine zu liefern, fuhr er fort. „Heute sind wir dabei, Raketen mit hoher Reichweite zu schicken, um die Ukrainer gegen diese Aggression zu unterstützen.“ Macron habe also daran erinnert, dass „man nichts ausschließen kann in einem Krieg, der wieder einmal im Herzen Europas und vor den Toren der Europäischen Union“ stattfinde.

In Frankreich und Deutschland ließen die Reaktionen auf Macrons Vorstoß nicht lange auf sich warten. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon nannte Macrons Aussagen eine „verbale Eskalation“.

„Der Krieg gegen Russland wäre eine Torheit“, schrieb der Vorsitzende der Partei La France insoumise (LFI) in der Nacht von Montag auf Dienstag auf X und bezeichnete die Äußerungen von Emmanuel Macron als „unverantwortlich“. Die Entsendung von Truppen in die Ukraine würde Frankreich zu einer Kriegspartei machen.

Der nationale Koordinator der LFI, Manuel Bompard, kritisierte laut „Le Monde“ die Ankündigungen des Staatschefs ebenfalls scharf und meinte, „die Entsendung französischer Truppen in den Kampf gegen Russland in Betracht zu ziehen, ist ein völliger Wahnsinn“.

Moskau hatte die Nato-Mitglieder in der Vergangenheit immer wieder davor gewarnt, zur Kriegspartei zu werden. Im Falle einer Einmischung werde es eine „Apokalypse“ geben, sagte etwa jüngst der ehemalige russische Präsident und nunmehrige Vizechef des russischen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew.

Breite Kritik an Idee zum Einsatz westlicher Bodentruppen

Auch in Deutschland löste Macron mit seinen Aussagen Aufsehen aus. Seine Äußerungen zur möglichen Entsendung westlicher Bodentruppen in die Ukraine stießen parteiübergreifend auf Ablehnung. Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil sagte am Dienstag im NDR, er sei strikt gegen ein entsprechendes Mandat für die Bundeswehr. Kritik kam auch von CDU, Grünen, AfD und Linkspartei. Die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagte, Deutschland müsse Macrons Einschätzung nicht teilen; sie lobte den Präsidenten aber als „Antreiber“, während Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ein „Bremser“ sei.

Der SPD-Außenexperte Michael Roth nannte den möglichen Einsatz westlicher Bodentruppen „eine Phantomdebatte“. „Ich kenne niemanden, der das ernsthaft will, auch nicht in der Ukraine“, schrieb Roth auf X, vormals Twitter. „Die brauchen vor allem Munition, Luftverteidigung, Drohnen, Langstreckenwaffen.“

Auch die Grünen-Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger kritisierte die Äußerungen Macrons. Damit überschreite Frankreich eine Linie, die Deutschland, aber auch andere Länder wie die USA, klar gezogen hätten, sagte Brugger im Deutschlandfunk. Wichtig sei stattdessen, bei der Unterstützung der Ukraine geschlossen aufzutreten.

Scharfe Kritik kam aus der Linkspartei. „Macron ist offenkundig nicht mehr zu retten. Wenn ein Nato-Staat oder gar mehrere Nato-Staaten Bodentruppen in die Ukraine entsenden, haben wir den 3. Weltkrieg. Das ist völlig indiskutabel“, warnte Gregor Gysi, außenpolitischer Sprecher der Linken-Gruppe im Bundestag. Der Linken-Politiker Dietmar Bartsch nannte „die Wichtigtuerei von Macron“ einen „gefährlichen Wahnsinn, der Europa anzünden würde“.

Olaf Scholz erklärt Taurus-Lieferungen an die Ukraine Absage

Scholz hatte indes der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt am Montag eine klare Absage erteilt und das mit dem Risiko einer Verwicklung Deutschlands in den Krieg begründet. „Wir dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein“, sagte der SPD-Politiker. Koalitionspolitiker von FDP und Grünen kritisierten den Kanzler für seine Haltung.

CDU-Politiker und Oberst a. D. der Bundeswehr, Roderich Kieswetter, unterstellte dem Kanzler „unterlassene Hilfeleistung“. „Das Lavieren mit längst widerlegten Pseudo-Argumenten bestätigt nur, dass Scholz mit voller Absicht der Ukraine diese effektive Waffe vorenthält“, so sein Urteil.

Norbert Röttgen kritisierte das Zögern des Kanzlers ebenfalls: „Die Behauptung, mit der Lieferung von Taurus würde Deutschland zur Kriegspartei, ist rechtlich schlicht falsch und politisch infam.“

Vor allem die Diskrepanz zwischen Macrons Vorstoß und der abermaligen Absage von Kanzler Olaf Scholz in Bezug auf Taurus-Raketen für die Ukraine sorgt für Irritation.

Deutschland und Frankreich zeigen sich uneinig

„Macron schließt Einsatz von französischen Bodentruppen in der Ukraine nicht aus, Scholz will keine Soldaten in die Ukraine schicken. Ist Europa noch einig?“, fragte der ehemalige Leiter des ARD-Hauptstadt-Studios, Ulrich Deppendorf. Auch RND-Redakteur Felix Huesmann sieht die „deutsch-französische Achse [...] stark ramponiert“. Das sei „womöglich der schwerwiegendste Fehler in der Kanzlerschaft von Bundeskanzler Olaf Scholz und der Präsidentschaft von Emmanuel Macron.“

Dass deutsche Truppen in die Ukraine ziehen könnten, sei indes kein Thema machten Politikerinnen und Politiker verschiedener Parteien am Dienstag klar. Das stehe nicht zur Debatte, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer, Thorsten Frei, am Dienstag im rbb24 Inforadio.

Der Einsatz westlicher Bodentruppen in der Ukraine steht Grünen-Chef Omid Nouripour zufolge nicht zur Debatte. „Es ist überhaupt kein Thema. Es ist kein Thema in der Diskussion in Deutschland und auch nicht in einem Bündnis“, sagte Nouripour am Dienstag bei ntv. Über Äußerungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron vom Vortag sagte Nouripour: „Ich habe einen launigen Macron erlebt, der einfach sagen wollte: Ich will nichts ausschließen.“ (mit dpa/afp)

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