Vier Szenarien für den Krieg in NahostWelche Optionen es für den Gazastreifen gibt – und wie wahrscheinlich sie sind

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Palästinenser inspizieren die Trümmer Gaza-Stadt nach einem israelischen Angriff.

Palästinenser inspizieren die Trümmer in Gaza-Stadt nach einem israelischen Angriff.

Tausende sind im Krieg zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas bereits ums Leben gekommen. Wie könnte ein Plan für die Zukunft aussehen?

Von drei Phasen des Krieges sprach der israelische Verteidigungsminister Joav Galant, als er im Auswärtigen Ausschuss der Knesset seine Pläne für den Kampf gegen die Terrormiliz Hamas vor einigen Tagen vorstellte. Die erste Phase, in der sich Israel gerade befinde, sei die große Militäroperation. Anschließend folge die zweite Phase mit Kämpfen auf niedrigem Level, um letzte Terrornester der Hamas zu beseitigen. Schließlich wolle man in der dritten Phase eine „neue Sicherheitsrealität“ schaffen. Eine neue Sicherheitsrealität, für die Israel keine Verantwortung übernehmen will, betonte Galant.

Die israelische Armee hatte angekündigt, den Nahostkonflikt nach dem Hamas-Angriff mit Tausenden Toten neu aufrollen zu wollen. Die Macht im Gazastreifen werde neu aufgeteilt, ein Zurück zum Status vom 7. Oktober sei ausgeschlossen. Die Hamas, so das Versprechen des israelischen Militärs, werde in Zukunft nicht mehr im Gazastreifen regieren. Doch was das konkret bedeutet, ist noch völlig unklar. Auch Verteidigungsminister Galant erläuterte mögliche Pläne bisher nicht. Wohl auch, weil es sehr unterschiedliche Szenarien gibt und sich keines von ihnen leicht umsetzen lässt.

Erstes Szenario: Vorkriegsstatus mit größerem Sicherheitspuffer

Sollte es Israel nicht gelingen, die Hamas-Organisation und ihre Anführer militärisch zu besiegen, könnte es eine Rückkehr zum Vorkriegsstatus geben, jedoch mit einigen schärferen Sicherheitsvorkehrungen. Dieses Szenario wäre wohl vergleichsweise einfach umzusetzen. Die Sperrzone zwischen den ersten Dörfern im Gazastreifen und denen auf israelischer Seite, ein gigantischer Sicherheitspuffer, würde man ausweiten, die Grenzen vollständig abriegeln.

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Die anhaltenden Bombardements des Grenzgebietes machen das Gebiet wohl ohnehin schon bald unbewohnbar und die Landwirtschaft unmöglich. Aus Israel würden keine Lebensmittel, Baumaterialien und Medikamente in den Gazastreifen gehen. Strom und Trinkwasser würde aus Ägypten und nicht mehr aus Israel zu den Menschen in das abgeriegelte Gebiet gelangen.

„Dieses Szenario wäre eine Niederlage für die israelische Regierung, die die Hamas zerschlagen will“, sagt Peter Lintl, Israel-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Es würde die Rückkehr zur Strategie bedeuten, die am 7. Oktober so brutal gescheitert sei. Er hält dieses Szenario für unwahrscheinlich. „Doch es kann nicht ausgeschlossen werden, da nicht sicher ist, dass die Hamas auch wirklich vollständig besiegt werden kann.“

Zweites Szenario: Israelische Militärbesatzung

Wenn die israelischen Verteidigungskräfte den Gazastreifen vollständig erobert haben und besetzt halten, könnte diese Militärbesatzung für längere Zeit anhalten. Dieses Szenario ist ebenfalls am leichtesten zu realisieren, wurde aber bereits von mehreren Seiten ausgeschlossen. „Eine längere Militärbesatzung durch Israel ist unwahrscheinlich, weil die USA dies nicht unterstützen“, sagt Lintl. Präsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Galant haben ebenfalls erklärt, dass sie keine erneute Besetzung des Gazastreifens anstreben. Von 1967 bis 2005 hatte Israel den Gazastreifen kontrolliert und mehr als 20 Siedlungen errichtet, in denen Israelis wohnten.

Abhängig vom Ausgang der Militäroffensive ist auch eine Teilbesetzung möglich, sagt Steven Höfner, der das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung für die palästinensischen Gebiete in Ramallah leitet. „Die israelische Armee könnte zunächst den Norden des Gazastreifens besetzen und Ägypten im Süden eine humanitäre Rolle übernehmen.“ Da die Regierung in Jerusalem die Verantwortung für das Leben im Gazastreifen aber an die Palästinenser übergeben will, ist dieses Szenario langfristig unwahrscheinlich.

Drittes Szenario: Internationale Truppen und Verwaltung

Frieden und Stabilität in Gaza könnten womöglich auch durch die internationale Gemeinschaft erreicht werden. Steven Simon, Professor für Nahoststudien an der Universität von Washington, schlägt in „Foreign Affairs“ vor, die Kontrolle des Gazastreifens an eine temporäre Treuhänderschaft durch die Vereinten Nationen, gestützt durch ein starkes Mandat des UN-Sicherheitsrates, zu übergeben. Später könnte dann die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) übernehmen.

Experte Höfner hält dieses Szenario jedoch für unrealistisch. „Internationale Friedenstruppen sind kaum vorstellbar, da es viele Stimmen in den palästinensischen Gebieten gibt, die eine Einmischung von außen ablehnen.“ Selbst die Zustimmung für Blauhelmtruppen der UN sei eher gering. Und in Israel, die diese Lösung mittragen müssten, haben die UN jegliche Glaubwürdigkeit verspielt. Als die UN im Süden des Libanons 1978 für Sicherheit und Stabilität sorgen sollten, schauten die Truppen nur zu, wie die Hisbollah Israel angriffen. Das UN-Hilfswerk für Palästinenser (UNRWA) soll häufig mit der Hamas zusammengearbeitet haben, und zuletzt sorgte UN-Generalsekretär António Guterres für einen Eklat, als er Israel eine „beispiellose Eskalation“ vorwarf.

Hinzu kommt, dass ein Mandat des UN-Sicherheitsrates für dieses Szenario notwendig ist, was sehr schwer werden dürfte. Beobachter halten es für fraglich, ob sich die USA, Russland und China auf eine gemeinsame Linie einigen können.

Viertes Szenario: Arabische Akteure und die PA

In Israel und anderen Ländern des Nahen Ostens wird derzeit intensiv die Idee diskutiert, arabische Truppen zur Friedenssicherung zu entsenden und einen arabischen Rat zu gründen. Dort könnten Vertreter Ägyptens, Marokkos, Jordaniens, Saudi-Arabiens und aus Gaza und der PA sitzen. Lintl bewertet dieses Szenario als das derzeit wahrscheinlichste. Die arabischen Staaten würden auf diese Weise vorübergehend den Gazastreifen kontrollieren, bis die PA übernimmt. Für dieses Szenario sei aber ebenfalls ein Mandat des UN-Sicherheitsrates nötig sowie die Zustimmung der Israelis. Beides ist ungewiss.

Was fehle, sei auch eine politische Vision für den Gazastreifen, sagt SWP-Experte Lintl. Sonst würde nur ein anderer Akteur anstelle Israels den Gazastreifen besetzen, der Konflikt nicht gelöst, und die arabischen Staaten würden sich auf dieses Szenario nicht einlassen.

Dass nach einiger Zeit tatsächlich die PA die Kontrolle übernehmen kann, ist für Höfner aber kaum vorstellbar. „Es ist fraglich, ob die PA einen Wiederaufbau bewerkstelligen kann, wo sie schon im Westjordanland kaum für Recht und Ordnung sorgen kann.“ In den palästinensischen Gebieten würden PA und Palästinenser-Präsident Abbas zudem kaum über Rückhalt in der Bevölkerung verfügen.

Der Regierungschef der PA, Mohammad Schtajjeh, hatte sich auch selbst dagegen ausgesprochen, dass die PA in absehbarer Zukunft Gaza regiert. Solange es keine politische Lösung für das Westjordanland und einen eigenen palästinensischen Staat gebe, werde man nicht zusammenarbeiten, sagte er am Wochenende dem britischen „Guardian“. „Was wir brauchen, ist eine umfassende, friedliche Vision.“

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