Prager FrühlingDie gerettete Melone

Lesezeit 5 Minuten
Otto Simánek als Zauberer Pan Tau (Bild: Archiv)

Otto Simánek als Zauberer Pan Tau (Bild: Archiv)

„Da hätten wir dann noch eine Rarität“, sagte der freundliche Herr Moravec, der den staatlichen TV-Handel in Prag leitete. „Eine Geschichte mit einem stummen Zauberer und einer Melone.“ - Das war 1965 im „Russischen Club“ an der Karlsbrücke. Pan Tau stellte sich vor:

In einer offenen Spielzeug- Rakete landete da ein Herr im Frack mit Hut auf der Prager Kleinseite. Eine Puppe stieg aus, klopfte an seine Melone, wurde groß und spazierte als Mensch davon - mit der Rakete in der Jackentasche. Ota Hofmann (Autor) und Jindrich Polak (Regie) waren mit ihren Geschichten also in der Gegenwart angekommen. Das war allemal einfallsreicher als die Geschichte vom dicken, fetten Pfannekuchen oder Kinderballett - das Kinderfernsehen der 60er Jahre.

Ein Politikum

Alles zum Thema Ford

Ich war in Prag und sichtete ein Programm, das ein anderer zurückgelassen hatte: Carlo Ponti, italienischer Filmproduzent, auch bekannt als Mann von Sophia Loren, wollte Märchen in Prag drehen. Er hatte Geld und freien Lauf der Ideen gegeben. Herausgekommen war der Pilotfilm „Pan Tau und die Klavierstunde“. Eine freche Kinderkomödie mit mehr Gags als in einem ganzen Jahr des damaligen europäischen Kinderfilmschaffens. Ponti aber sagte „Macht damit, was ihr wollt“. Die Tschechen kauften die Rechte und legten sie ins Archiv - bis das Staatsfernsehen Prag und der WDR den böhmischen Herrn mit der Melone wieder hervorholten. Die Koproduktion - mit den besten Gesichtern des tschechischen Theaters und Films - war eine Premiere und ein Politikum. Es gab westdeutsche Bedenkenträger: Viel Geld für Kommunisten, und man wisse ja nie. Und ostdeutsche Aufregung: Kooperation mit dem kapitalistischen Fernsehen.

Im Sommer 68 war die Stimmung in Prag angespannt. Die Monate zuvor hatten irritierende Erlebnisse beschert. So hatte ich John Fords „Cheyenne“ im Kino „Alpha“ gesehen. Es gab Buhrufe im Saal. Das Publikum reagierte stellvertretend auf die Unterdrückung der Indianer. Ich saß mit Polak im berühmten Café Slavia, der Hradschin leuchtete herüber und Polak sagte: „Pass mal auf, das wird Budapest hier.“ Polak hatte in Ungarn den Einmarsch fürs Aktuelle gedreht. Er ahnte, was kommen sollte.

Am 21. August dann die Nachricht: Die Russen sind in Prag einmarschiert. Adieu, Pan Tau, dachte ich. Zwei Jahre Dramaturgie, Anlaufkosten, 212 verzehrte Obstknödel - alles umsonst. Dazu der Spott „Ich hab es ja gleich gesagt. Kommunisten!“ - Das Telefon blieb stumm. Die Nachrichten im Fernsehen, die Bilder vom Widerstand, ich sah schwarz. Doch dann ein Telegramm: „dreharbeiten planmäßig begonnen... stop... erwarten baldigen besuch. polak, prag“.

Verblüffend schnell kam das Arbeitsvisum. Ende September saß ich im fast leeren Flugzeug nach Prag. In den Straßen viele russische Mannschaftswagen, doch kaum Soldaten - irgendwie schien es so, als wäre fast gar nichts geschehen. „Ja, die Russen sind gekommen“, sagte einer. „Warum auch nicht . . .“ Im Fernsehgebäude ließen sich einige Fenster schlecht schließen - dicht an dicht waren da Einschüsse. Polak ging mit mir durch die Straßen: „Da sind vor zwei Wochen Demonstranten zusammengeschossen worden.“ Im Studio, im Vorführraum herrschte - wie verordnet - Arbeitslaune. Über die Ereignisse wurde nur privat gesprochen. Die Biertische blieben leer, auch die Kinos, denen ein neuer Spielplan verordnet war. Es dauerte nicht lange, bis sich Regisseur Polak Nachreden ausgesetzt sah. „Er hat ein großes Devisenkonto im Westen.“ Auch die Herren aus den Chefetagen des Fernsehens stellten später am Abend schon mal einschlägige Fragen. „Gibt es bei euch einen Eisbecher Pan Tau?“ Irgendwann war mir das zu viel. „Ja, es gibt den Eisbecher im Operncafé. Ja, Polak hat ein privates Devisenkonto. Wenn er kommt, schleppt er einen Tag lang nur Luxusgüter an. Zum Beispiel Schrauben für die Hinterachse eines Fiats, Baujahr 1949, oder irgendeinen Bremsschlauch, den ich eine Woche vorher bestellen musste. Und dann geht er mit langen Listen der Mitarbeiter in die Apotheken und kauft Kreislaufmittel und Schmerztabletten . . .“ Danach war eine Zeit lang Ruhe.

„Die roten Brüder“

Aber dieser Neid, diese kontrollierende Missgunst, die sich quälend aufbauten und auf die normalen Dinge des Lebens richteten, machte das Leben in Prag mit Pan Tau und anderen Serien nicht leichter. Als „Pan Tau“ fertig war, wurden die Filme auf dem nationalen CSSR-Festival in Zlin (Gottwaldov) versteckt und nie mit Preisen bedacht. Es gab eine Ost- und eine West-Fassung. Wenn beim Indianerspiel ein Protagonist einen Knebel ausspuckte und ausrief: „Das vergessene ich meinen roten Brüdern nie“ - wurde der Satz im Osten gekürzt. Dass „Pan Tau“ im Westfernsehen lief, blieb im Osten ein Politikum. Die Frage, ob wir „Pan Tau“ überhaupt noch zeigen sollten, weil da Alltagsnormalität vorgegaukelt würde, die es in der CSSR so nicht mehr gab, sie stellte sich im WDR nicht. Nur die 68er meckerten. Ihnen war Pan Tau zu kleinbürgerlich. Da hatten sie recht. Aber war Schweiyk das nicht auch?

All die Jahre hat die Melone unbeschadet überstanden. Sie hängt heute bei Polaks zu Hause, gleich neben der Tür.

Unser Autor war von 1963 bis zu seinem Abschied 1999 Leiter des WDR-Kinderfernsehens. Er gilt als „Vater“ der „Sendung mit der Maus“ .

KStA abonnieren