Mit einem Stich zum VegetarierKönnen Zecken eine Fleischallergie auslösen?

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Eine Illustration zeigt eine Zecke, die auf einem Menschen sitzt.

Eine Illustration zeigt eine Zecke, die auf einem Menschen sitzt.

Die US-Gesundheitsbehörde CDC hat Hinweise für eine Fleischallergie nach einem Zeckenbiss gefunden: das Alpha-Gal-Syndrom. Die Krankheit ist keineswegs neu.

Dass Zecken gefährliche Krankheiten übertragen können, ist bekannt. Aber dass sie eine Fleischallergie auslösen? Das klingt im ersten Moment weit hergeholt. Genau das zeichnet sich jedoch immer deutlicher in den USA ab: Die US-Gesundheitsbehörde CDC hat zwischen 2010 und 2022 mehr als 110.000 Verdachtsfälle des sogenannten Alpha-Gal-Syndroms (AGS) identifiziert, ausgelöst vermutlich durch einen Stich der Lone-Star-Zecke (Amblyomma americanum).

„Das Alpha-Gal-Syndrom ist ein wichtiges sich ausbreitendes Gesundheitsproblem“, sagte die CDC-Wissenschaftlerin Ann Carpenter. Die Behörde schließt nicht aus, dass nicht sogar noch deutlich mehr Menschen von dem Syndrom betroffen sind. Die Dunkelziffer reicht bis 450.000. Denn die Krankheit sei vermutlich vielen Mitarbeitenden der Gesundheitsversorgung und Patientinnen und Patienten nicht bekannt, deswegen werde häufig nicht darauf getestet.

Zecken als Verursacher des Alpha-Gal-Syndroms? Das ist für Parasitologin Ute Mackenstedt von der Universität Hohenheim keine Überraschung. Schon mehrere Studien konnten nachweisen, dass Zecken das Zuckermolekül Alpha-Gal (Galactose-a-1,3-Galactose) übertragen können, das die Allergie hervorruft. Dennoch gibt die Expertin Entwarnung: „Das sind zwar große Fallzahlen, die die CDC melden, aber sie müssen mit der Bevölkerungszahl in Relation gesetzt werden.“ Bei einer Bevölkerungsgröße von mehr als 330 Millionen Menschen würden die maximalen 450.000 AGS-Fälle in den USA weniger als ein Prozent ausmachen.

Mensch fehlt Zuckermolekül

Dennoch ist das Alpha-Gal-Syndrom nicht zu unterschätzen. Es ist eine schwere, potenziell lebensbedrohliche allergische Erkrankung. Auslöser ist das sogenannte spezifische Immunglobulin E, ein Antikörper, der sich gegen das Zuckermolekül Alpha-Gal richtet. Das Molekül kommt weder bei Fischen, Reptilien, Vögeln noch beim Menschen vor, dafür aber in den meisten anderen Säugetierarten. Es ist deshalb im Fleisch von Schwein, Rind, Kaninchen, Lamm oder Wild zu finden, genauso wie in Gelatine, Kuhmilch und anderen Milchprodukten. Selbst in Medikamenten, darunter das Krebsmedikament Cetuximab, findet sich das Alpha-Gal.

Sticht nun eine Zecke zum Beispiel ein Reh, das Alpha-Gal im Blut hat, nimmt sie das Zuckermolekül mit dem Blut auf. Das ist nicht ungewöhnlich: „Die Zecken nehmen immer Substanzen von einem Wirt auf und können sie auf einen anderen übertragen“, erklärt Mackenstedt. Das können Krankheitserreger sein wie FSME-Viren, die beim Menschen die Frühsommer-Meningoenzephalitis, eine Gehirnentzündung, auslösen können, oder eben Blutbestandteile wie das Alpha-Gal. Zecken können das Zuckermolekül sogar selbst produzieren. Jedoch: „Allein das Alpha-Gal macht noch keine Allergie.“

Jeder kann am Alpha-Gal-Syndrom erkranken

Beim Alpha-Gal-Syndrom spielen neben dem Alpha-Gal noch andere Faktoren eine Rolle. Dazu gehören Alkohol, Medikamente, Vorerkrankungen oder das Alter, wie verschiedene Studien zeigen konnten. Sie entscheiden darüber, wie stark die allergische Reaktion ausfällt.

„Hierbei ist wichtig zu wissen: Nicht jeder Mensch entwickelt eine Allergie, wie auch nicht jeder Mensch eine Allergie auf beispielsweise Blütenpollen entwickelt“, schreibt Toxikologe Carsten Schleh beim Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter. In den USA wurde eine allergische Reaktion auf Alpha-Gal vor allem bei Menschen, die im Süden, Osten und in der Mitte der Vereinigten Staaten leben, diagnostiziert, teilten die CDC mit. Die Mehrzahl von ihnen waren Erwachsene. Vermutlich haben nicht alle Betroffenen durch einen Zeckenbiss das AGS entwickelt, sondern auch durch entsprechende Nahrungsmittel.

Symptome treten mit Verzögerung auf

„Es gibt Personen, die haben diese Allergie und die müssen bis zu einem gewissen Grad aufpassen“, mahnt Mackenstedt. Denn AGS kann harmlos, aber auch schwer verlaufen. Zu den häufigsten Symptomen zählen Nesselsucht oder juckenden Hautausschlag, Übelkeit, Erbrechen, Sodbrennen, Durchfall, Atembeschwerden wie Kurzatmigkeit, Schwindel, starke Magenschmerzen oder Schwellungen im Rachenraum. Die Beschwerden treten in der Regel zwei bis sechs Stunden nach dem Essen auf – warum, ist noch nicht genau verstanden. Wie alle Allergien kann auch das Alpha-Gal-Syndrom schlimmstenfalls lebensgefährlich sein.

Ob eine Allergie gegen das Alpha-Gal besteht, kann ein Allergologe oder eine Allergologin mithilfe eines Blut- oder Hauttests feststellen, erklären die CDC. Die Fachärzte sind auch die richtigen Ansprechpartner, wenn eine Allergie besteht und das AGS auftritt. Im Akutfallen können sie antiallergische Medikamente verordnen, um die Reaktion abzuschwächen.

Um dem AGS vorzubeugen, sollten Allergikerinnen und Allergiker keine Alpha-Gal-haltigen Lebensmittel zu sich nehmen. Auch Zeckenstiche gilt es zu vermeiden, raten die CDC. Lange Kleidung und Zeckensprays können gegen die Blutsauger helfen.

AGS-Risiko gibt es auch in Deutschland

Die Lone-Star-Zecke, die mit den AGS-Fällen in Verbindung gebracht wird, ist vor allem im Osten Nordamerikas und im Süden der USA verbreitet. In Mitteleuropa, also auch in Deutschland, ist sie noch nicht zu finden. Das heißt jedoch nicht, dass es das AGS hierzulande überhaupt nicht gibt. Genaue Fallzahlen sind dem Robert-Koch-Institut zwar nicht bekannt. „Es ist jedoch anzunehmen, dass es diese Fälle auch in Deutschland gibt“, sagt Schleh.

Denn auch von anderen Zeckenarten, darunter der Gemeine Holzbock, ist bekannt, dass sie das Alpha-Gal produzieren können. „Den Gemeinen Holzbock gibt es milliardenfach in Deutschland. Dann müsste das Syndrom auch hierzulande durch die Decke gehen“, schlussfolgert Mackenstedt. Doch das ist nicht der Fall.

Dass das Risiko, in Deutschland am AGS zu erkranken, sehr gering ist, beschrieb ein Forscherteam um den Dermatologen Jörg Fischer von der Universität Tübingen 2017 in einer Studie. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten Blutproben von rund 300 Mitarbeitenden in der Forstwirtschaft und Jägerinnen und Jägern aus Südwestdeutschland untersucht. Da sie ständig in der Natur unterwegs sind, haben sie ein erhöhtes Risiko für Zeckenstiche. Bei mehr als der Hälfte der Freiwilligen ließen sich Antikörper gegen das Alpha-Gal in unterschiedlichen Konzentrationen nachweisen. Eine akute lebensbedrohliche allergische Reaktion trat jedoch nur bei weniger als neun Prozent von ihnen auf.

„Die Menschen müssen jetzt nicht panisch werden“, beschwichtigt Parasitologin Mackenstedt. „Sie müssen nicht Wälder und Wiesen meiden, aus Angst von einer Alpha-Gal-übertragenden Zecke gestochen zu werden.“ Ein Zeckenstich macht einen nicht automatisch zum Vegetarier.


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