Schwerer AtemwegsinfektNeue RSV-Impfstoffe sollen Babys schützen – doch nicht alle bekommen sie

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Ein Vater betreut seinen kleinen Sohn, der mit einem Atemwegsinfekt auf der Intensivstation einer Kinderklinik liegt und non-invasiv beatmet wird.

Ein Baby wird auf der Intensivstation wegen des RS-Virus behandelt.

Wer seinen ansonsten gesunden Säugling impfen lassen möchte, muss tief in die Tasche greifen. Das kostet der neue Impfstoff Beyfortus.

Die Bilder aus den Nachrichten haben viele noch vor Augen: Babys, die mit Sauerstoff beatmet werden, Gitterbettchen auf überfüllten Intensivstationen, Kinderärzte am Limit. Was da im vergangenen Winter unter Babys und Kleinkindern grassierte, war das RS-Virus. Doch nun scheint es Hoffnung zu geben: Zwei neue Impfstoffe, die Babys schützen sollen. Einer wird Müttern bereits während der Schwangerschaft gespritzt, der andere Säuglingen im ersten Jahr.

Was ist RSV überhaupt?

Das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) ist ein seit Jahren weltweit verbreiteter Erreger, der zu Erkrankungen der oberen und unteren Atemwege führen kann. Bei den meisten Menschen äußert er sich wie eine Erkältung, bei Älteren, Vorerkrankten und Säuglingen kann er allerdings zu Entzündungen der Bronchien und der Lunge führen und sogar tödlich enden. Das Robert Koch-Institut stuft das Virus als „einen der bedeutendsten Erreger von Atemwegsinfektionen bei Säuglingen“ ein. Und weiter: „Innerhalb des 1. Lebensjahres haben 50 – 70 Prozent und bis zum Ende des 2. Lebensjahres nahezu alle Kinder mindestens eine Infektion mit RSV durchgemacht.“

Im vergangenen Winter erreichten die Infektionen Höchstwerte. In einer Sonderanalyse fand die Krankenkasse DAK heraus, dass die Zahl der unter Einjährigen mit RSV im 4. Quartal 2022 fünfmal höher lag als im gleichen Zeitraum 2018. Der Anteil von Neugeborenen und Säuglingen, die deswegen auf Intensivstationen behandelt werden mussten, stieg um 350 Prozent. Seit diesem Jahr ist RSV – genau wie Grippe und Corona – meldepflichtig.

Wie kann man sich vor RSV schützen?

Kaum. RSV wird, wie viele Infekte der Atemwege, durch Tröpfcheninfektion übertragen, also durch Niesen, Husten und Schnupfen. Man vermutet, dass das Virus eine gewisse Zeit auf Händen, Gegenständen und Oberflächen überleben kann. Insofern sind die während Corona gelernten Hygienemaßnahmen ein guter Schutz. Bei einer Infektion können die – zumeist kleinen Patientinnen und Patienten – nur symptomatisch behandelt werden. In schlimmen Fällen wird ein Aufenthalt im Krankenhaus inklusive Sauerstoffgabe notwendig.

Gibt es eine Impfung gegen RSV?

Für Personen ab 60 Jahren hat die EU im Juni den RSV-Impfstoff Arexvy vom britischen Konzern GlaxoSmithKline zugelassen. Für Kinder gibt es bereits länger einen sogenannten Passiv-Impfstoff. Das sind fertige, künstlich hergestellte Abwehrstoffe, die den Kindern im Winter monatlich gespritzt werden – also vier bis fünf Mal pro Saison. Allerdings bekommen nur Hochrisikogruppen, zum Beispiel Frühchen oder Kinder mit Herzfehler, den Impfstoff namens „Synagis“. Der neue Impfstoff „Beyfortus“ weckte bei vielen zunächst die Erwartung, dass alle Babys damit geschützt werden sollen. Beyfortus ist zwar auch ein Passiv-Impfstoff, muss aber im Gegensatz zu Synagis nur einmal am Anfang der Saison gespritzt werden. Er ist seit September in den Apotheken erhältlich.

Wer kann mit Beyfortus geimpft werden?

„Doch auch mit Beyfortus sollen nur Kinder mit einem hohen Risiko für schwere Verläufe bei einer RSV-Infektion geimpft werden, so der aktuelle Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 2. November“, sagt Thomas Preis, Apotheker aus Köln und Vorsitzender des Apothekenverbandes Nordrhein. Wer sein ansonsten gesundes Kind trotzdem impfen lassen möchte, muss das mit dem Kinderarzt besprechen – und tief in die Tasche greifen: Rund 1350 Euro kostet die Spritze, so Preis. Immerhin: In einer Studie zur Wirksamkeit von Beyfortus mit 1490 gesunden Kindern entwickelten nur 1,2 Prozent eine durch RSV ausgelöste Lungenerkrankung, die ärztliche Hilfe erforderte, verglichen mit 5 Prozent in der Placebo-Grupp.

Wie funktioniert die Impfung bei Schwangeren?

Ende August hat die Europäische Kommission auf Anraten der Europäischen Arzneimittelagentur EMA den Impfstoff Abrysvo des US-Pharmakonzerns Pfizer zugelassen – allerdings nur für Schwangere und Menschen ab 60 Jahren. Schwangere können zwischen der 24. und 36. Schwangerschaftswoche einmal mit Abrysvo geimpft werden. Die Impfung wird in den Oberarm gespritzt. Die werdende Mutter bildet nach der Impfung Antikörper, die dann über die Plazenta direkt an das Baby weitergegeben werden. So ist der Säugling bis zu sechs Monate nach der Geburt geschützt.

In einer Studie wurde der Impfstoff mehr als 3500 Schwangeren verabreicht, eine gleich große Kontrollgruppe bekam ein Placebo. Nach der Geburt wurden die Kinder bei Atemwegserkrankungen untersucht und auf das RS-Virus getestet. Bei über 80 Prozent der Babys konnte ein schwerer Verlauf in den ersten drei Lebensmonaten verhindert werden, mehr als zwei Drittel waren auch noch bis zum Alter von sechs Monaten gut geschützt, so die Ergebnisse der Studie, die im „The New England Journal of Medicine“ veröffentlicht wurden.

Wie sind die Nebenwirkungen?

Generell wurden beim Impfstoff keine Sicherheitsbedenken festgestellt, schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im „The New England Journal of Medicine“. Laut Pfizer traten bei einigen Schwangeren nach der Impfung Schmerzen an der Einstichstelle, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen und Übelkeit auf. Also normale Impf-Nebenwirkungen.

Wie gefragt ist der Impfstoff?

Seit einigen Wochen ist der Impfstoff für Schwangere in den Apotheken verfügbar – allerdings entpuppt er sich bisher als Ladenhüter. Anders ist es in den USA, weiß Preis: „Dort ist die Nachfrage nach Beyfortus in diesem Winter schon so hoch, dass der Hersteller Sanofi nicht mehr mit der Produktion nachkommt. Die Gesundheitsbehörden in den USA empfehlen daher möglichst zunächst Babys mit besonders hohem Risiko zu impfen. Auch in den USA muss bei der Krankenkasse nachgefragt werden, ob die Kosten übernommen werden.“

Dass das Interesse in Deutschland so gering ist, liegt wohl auch daran, dass die Ständige Impfkommission (Stiko) bisher weder für Abrysvo noch für den Passiv-Impfstoff Beyfortus eine Empfehlung ausgesprochen hat. Und erst wenn es die gibt, ist auch damit zu rechnen, dass die Kosten für die Impfung von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Apotheker Preis rechnet persönlich nicht so schnell mit einer Empfehlung der Stiko. Das sei ein Bauchgefühl, sagt Preis. „Bisher ist auch die Sensibilisierung in der Bevölkerung noch nicht so groß. Und dadurch, dass RSV erst seit diesem Jahr meldepflichtig ist, wussten wir auch lange nichts genaues über die Verbreitung. Durch die aktuellen Zahlen, die es diesen Winter geben wird, wird man anders mit der Erkrankung umgehen können.“ Die Zahlen halten sich laut Robert-Koch-Institut bisher noch in Grenzen, auch bei den 0- bis 4-Jährigen. Aber der Gipfel der RSV-Saison liegt ja auch noch vor uns. Er erreiche uns, so das RKI, meist im Januar und Februar.

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