Alexander Lacey„Nie aus dem Löwenkäfig raus“

Lesezeit 9 Minuten
Alexander Lacey mit sdeinem jüngsten Tiger Max. (Bild: Rühmekorf)

Alexander Lacey mit sdeinem jüngsten Tiger Max. (Bild: Rühmekorf)

Herr Lacey, sagt Ihnen die Redensart „sich in die Höhle des Löwen begeben“ etwas?

ALEXANDER LACEY: I'm sorry, gar nichts.

Nun, sie geht auf eine griechische Fabel zurück, in der ein alter hungriger Löwe einen Fuchs fragt, ob er ihn nicht besuchen wolle. Der Fuchs lehnt ab mit der Bemerkung, er sehe zwar viele Spuren in die Höhle hin-, aber wenige, die hinausführen.

LACEY: Schöne Geschichte ...

... die natürlich für etwas steht, nämlich die Gefährlichkeit der Löwen. Etwas weniger philosophisch: Ist Ihre Arbeit gefährlich?

LACEY: Ich verbringe unglaublich viele Zeit mit meinen Tieren. Das fängt um 7.30 Uhr an und hört kurz vor Mitternacht auf. Wenn der Zirkus weiterzieht, kann es sogar schon mal vier Uhr morgens werden. Das heißt: Ich bin Vater, Mutter, Bruder, Lehrer und Freund der Tiere. Und ich bin ein Profi. Wenn du kein Profi bist, kannst du den Job nicht machen. Ansonsten gilt: Ich lebe genauso gefährlich wie Michael Schumacher. Am Ende geht es darum, Risiken zu minimieren.

Das hört sich sehr vernünftig an und ist nachvollziehbar. Aber wie „minimiert man Risiken“?

LACEY: Wie schon gesagt. Ich bin seit Jahren jeden Tag mit meinen Raubkatzen zusammen. Ich weiß, wann sie hungrig oder durstig sind, ob sie Kopfschmerzen haben oder krank sind, ob sie arbeiten oder Ruhe haben wollen, ob sie müde sind. Und wenn „Massai“, mein ältester männlicher Löwe, irgendwie schräg drauf ist, keinen Bock auf Arbeit hat, dann muss er auch nicht in die Manege.

Nun sagt „Massai“ ja nicht: Hey Chef, Arbeit geht gar nicht.

LACEY: So natürlich nicht. Man sieht's an der Körperhaltung, wie sie sich bewegen. Und oberste Regel: nie etwas gegen den Willen der Tiere.

Kennen Sie Angst?

LACEY:

Mit zwölf stand ich das erste Mal im Käfig - zusammen mit meinem Vater. Er machte eine Übung mit sechs männlichen Löwen, ich half ihm, die Podeste wegzuräumen. Es war das erste Mal, dass zwischen mir und den Kameraden keine Gitterstäbe waren. Da waren die Tiere plötzlich doppelt so groß. Ich hatte dermaßen die Hosen voll ...

... und dachten: Nichts wie weg, ich will aus dem Käfig raus!

LACEY: Natürlich nicht. Ich musste doch beweisen, was ich für ein Kerl bin. Nur zur Ehrenrettung meines Vaters: Er hatte mich in eine relativ sichere Position hingestellt, er stand zwischen mir und den Tieren. Richtig gefährlich wird es heute eigentlich nur, wenn die Tiere untereinander streiten und kämpfen. Zum Beispiel, wenn die Weibchen heiß sind, drehen sie ein bisschen durch. Und die männlichen Tiere, die das natürlich riechen, können auch untereinander Stress kriegen. Kennt man ja vom Menschen.

Und bringen Sie sich dann in Sicherheit?

LACEY: Also in keinem Fall aus dem Löwenkäfig raus. Das ist ein Zeichen für die Tiere, dass der Chef die Kontrolle verloren hat. Ein Autoritätsverlust, den man nur schwer wieder wettmachen kann. Wenn ich Angst vor einem Tier habe, dann entferne ich den Unruhestifter. Sie müssen wie der Kapitän einer Fußballmannschaft sein, wie der Führer. Und Sie müssen wissen, wie man das Team motiviert.

Gab es in Vorstellungen selbst schon mal brenzlige Situationen?

LACEY: Zwischen den Tieren nie. Einmal steckte so ein besoffener Typ seinen Arm durch die Gitter, um „Massai“ zu streicheln. Man muss wissen: Wenn ein Löwe sich auf eine Beute stürzt, stürzen alle anderen Löwen hinterher. Ich habe dann schnell „Massai“ gebrüllt, um ihn abzulenken. Der Mann wurde dann entfernt.

Wir haben hier in Deutschland immer den Unfall von Roy vom Duo Siegfried und Roy vor Augen. Was, glauben Sie, ist da falsch gelaufen?

LACEY: Meine Mutter hat in den USA 15 Jahre lang als Raubtierlehrerin gearbeitet und kennt die beiden ganz gut. Es gibt viele Spekulationen. So weit ich weiß, arbeitete Roy mit einem Tiger, der, auf seinen Hinterbeinen stehend, seine Vorderpfoten auf Roys Schultern legte. Ich glaube, dass, als der 300-Kilo-Kerl seine Pranken auf Roys Schultern legte, Roy ausgerutscht und gefallen ist. Und es ist ein Reflex, ein Instinkt bei Raubkatzen, Tiere oder Menschen, die vor ihnen auf dem Boden liegen, sofort zu greifen und wegzutragen. Da nun Roy auch seine 80 Kilo wiegt, musste der Tiger ziemlich Kraft aufwenden, um ihn wegzutragen, was eben zu den Verletzungen führte. Er wollte ihn sicher nicht töten.

Kommen wir mal zum Positiven. Was fasziniert Sie bei der Arbeit mit den Raubkatzen?

LACEY: Jeder Tag bringt was Neues, eine neue Herausforderung. Im Moment freue ich mich an einer neuen Generation von Tigern. Vergangenes Jahr wurde unsere zehnte Löwen-Generation geboren, zwei sind acht Mo nate, zwei ein Jahr alt. Und in diesem Jahr kam die achte Tiger-Generation. Der jüngste ist Max, heute 52 Tage alt. Das ist wundervoll, diese Kleinen fit für die Show zu machen. Obwohl: Es sind diese ganzen Tage mit allen Tieren, die Vorführung dauert ja nur 20 Minuten.

Wie machen Sie die Kleinen „fit für die Show“?

LACEY: Sie werden sehr behutsam herangeführt, die Musik nicht zu laut, nicht zu viel Licht, leise klatschen. Die wissen am Anfang ja gar nichts. Also, erste Lektion: der Tunnel, der von ihrem „Wohnbereich“ zu der Manege führt. Die ersten zwei Wochen rennen die nur in dem Tunnel hin und her, sollen sich an die Ausmaße gewöhnen, sich nicht ängstigen oder ablenken lassen. Danach geht es in den Ring, in dem die Podeste stehen, sie springen rauf und runter. Sie glauben ja gar nicht, was das für eine Herausforderung ist, die Tiere auf die Podeste zu bekommen. In einem nächsten Schritt wird das Licht angemacht, dann kommt die Musik dazu. Wir haben zwei Stöcke mit Fleisch dran, und die Löwen folgen diesen Stöcken wie ein Esel hinter einer Möhre.

Wie lang dauerte die Ausbildung bis zur Manegen-Reife?

LACEY: Wir fangen mit acht Monaten an, im Durchschnitt geht es dann mit zweieinhalb Jahren zum ersten Mal in die Manege vor Publikum.

Wie sind Sie denn in die Manege gekommen?

LACEY: Mein Vater hatte schon eine private Raubtierschule, wir kommen nicht vom Zirkus. Wir hatten zunächst zwei Zoos in England. Aber obwohl die Anlagen sehr schön waren, haben die Tiere sich gelangweilt. Wissen Sie, in der Freiheit jagen die Lö wen und Tiger, im Zirkus arbeiten sie. Also begann mein Vater, die Tiere zu trainieren. Am Ende landeten wir dann im Zirkus, ich war damals sechs Jahre alt. Mein Vater arbeitete mit männlichen Löwen. Einer von denen wurde übrigens für den Trailer der Filmfirma MGM engagiert. Da brüllt so ein Löwe doch immer vor dem Film. Seit 1950 gab es 15 verschiedene Löwen, die dafür eingesetzt wurden. Einer davon war der Großvater von „Massai“.

Gab es eigentlich nie eine Zeit als Teenager, in der Sie gegen Ihren Vater revoltiert haben? Sie hätten doch auch Beamter oder Lehrer werden können.

LACEY: Beamter, Lehrer? Oh Gott, nein. Obwohl, eigentlich bin ich ja ein Tierlehrer. Nein, ich wollte immer Löwentrainer werden. Also, bevor ich das erste Mal im Ring stand, so mit zwölf, habe ich bis dahin immer meiner Mutter in den Käfigen geholfen. Ich habe schon damals immer meinen Daddy genervt: Ich will Löwentrainer werden! Der aber sagte: Schule zu Ende machen. Nach meiner Schulzeit sagte er: Fünf Jahre bring ich dir gar nichts bei. Du machst die Ställe sauber, fütterst die Tiere. Nur wer diese die Maloche ohne Scheinwerferlicht durchhält, will auch wirklich in die Manege, der liebt die Tiere.

Braucht man diese Art Liebe auch für die Lebensweise: Zirkus heißt viel unterwegs, nirgendwo richtig zu Hause?

LACEY: Das fragen die Leute immer wieder: Willst du dich nicht mal irgendwo niederlassen. Mir geht es so: Wenn wir irgendwo länger als eine Woche Station machen, will ich schon in der zweiten Woche weiter. Ich finde dieses „normale“ Leben langweilig, eintönig, es wiederholt sich zu sehr.

Aber Trott haben Sie doch auch beim Zirkus. Sie haben doch gerade erzählt von Ihrem harten Job von morgens bis in die Nacht, jeden Tag.

LACEY: Mit Tieren ist das etwas völlig anderes. Ich bin einfach gerne bei den Tieren. Und selbst für die Tiere ist der Wechsel gut. Mal mitten in der Stadt mit Motorgeräusch, an einem See mit Wassergeräusch, in der Nähe eines Waldes & Auch die Tiere mögen diesen Wechsel, die Gerüche, Geräusche, Geschmäcke. Dann werden die Löwen und Tiger auch alt. Mein Bruder, der ebenfalls Löwentrainer ist, hat letztens einen Löwen im Alter von 26 Jahren verloren. 26 Jahre! Bis zuletzt aktiv. Und dann friedlich im Schlaf gestorben.

Und Sie, werden Sie auch aktiv bis zum Ende in der Manege stehen?

LACEY: Das wäre schön.

Wie ist das eigentlich im Zirkus: Entsprechen die Typen ihrer Kunst?

LACEY: Also, Sie meinen: Der Clown macht immer Witze, die Artisten nur Handstand? Ich weiß nicht. Ich kann nur so viel sagen: Wer mit Tieren arbeitet, sollte nicht faul sein, sollte aber auch gewisse Führungsqualitäten haben. Und vielleicht sind sie außerdem ein bisschen... Na ja, unsozial ist vielleicht der falsche Ausdruck. Vielleicht nicht ganz so gesellig wie andere Artisten.

Apropos gesellig: Sind Sie verheiratet?

LACEY: Ja, meine Frau ist Irin, aus einer irischen Zirkusfamilie. Sie arbeitet am Schwungseil.

Und wie haben Sie sich kennengelernt?

LACEY: Als ich das erste Mal eine Anstellung bei einem anderen Zirkus hatte. Ohne meinen Vater im Rücken.

Wir haben ja am Anfang über die „Höhle des Löwen“ gesprochen. Ich würde jetzt gerne noch etwas über den „Rachen des Löwen“ erfahren. Haben Sie schon einmal Ihren Kopf ins Maul eines Löwen gesteckt?

LACEY: Ich habe diesen Trick mit „Massai“ gemacht. Bis vor einem Jahr. Jetzt hat er keine Lust mehr, und man sollte ihn nicht zwingen.

Was nachvollziehbar ist ...

LACEY: ... und Sie würden sein Maul überhaupt nicht aufkriegen. Nein, „Massai“ ist jetzt 16 Jahre alt. Er hat darauf keine Lust mehr. Es war wirklich lustig. Ganz am Anfang habe ich ihm eine Flasche ins Maul gesteckt, mit der Zeit machte er immer mehr auf, dann habe ich ihm auf die Zunge gepustet, das kitzelt, und er mochte das. Und am Ende machte er so weit auf, dass mein Kopf reinpasste.

Zum Schluss eine abwegige Frage: Haben Löwen Mundgeruch?

LACEY: Wenn sie sich nicht gerade kurz vorher übergeben haben, kein bisschen.

Das Gespräch führte Thomas Geisen

Nachtmodus
KStA abonnieren