BüttenrednerinEine Tussi mit Herz und Schnüss

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Das "Vingströschen" in Aktion (Bild: Holger Wagner)

Das "Vingströschen" in Aktion (Bild: Holger Wagner)

Bergisch Gladbach – „Shakira, komm endlich bei die Mama.“ Lautstark sucht die junge Frau namens Rosi ihren Schoßhund. In neon-pinken Leggins, einem schwarzen Minirock, pinkfarbenem Leoparden-T-Shirt und mit blonder Föhnfrisur steht sie nicht etwa in einem Kölner Park, sondern auf der Bühne einer Karnevalssitzung. Denn „Rosi aus Vingst“, auch „Vingströschen“ genannt, ist der Bühnencharakter von Büttenrednerin Sabine Matscheroth.

„Rosi ist ein Underdog: Sie kommt von unten nach oben und presst alle an ihr Herz“, erklärt die 33-Jährige. „Sie hat einen guten Charakter, sie will geliebt werden.“ Man merkt: Das „Vingströschen“ ist für Sabine Matscheroth weit mehr als nur eine „Tussi“, mehr als eine Witzfigur. Mit ihr legte die Bankkauffrau einen Raketenstart in der Kölner Karnevalssession 2010 hin.

Nach einem erfolgreichen Vorstellungsgespräch war Sabine Matscheroth im Juni 2009 an der „Nachwuchsredner Akademie“ des „Festkomitee Kölner Karneval“ aufgenommen worden: Drei Jahre Ausbildung im Büttenreden hatte sie sich somit gesichert.

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Das nächste wichtige Ereignis fand am 3. Oktober statt: Matscheroth nahm als „Vingströschen“ am Auswahlabend für Akademiestudenten im Kölner Karnevalsmuseum teil, es war gerade mal der dritte Auftritt mit ihrer selbstgeschriebenen Rede. Bei der Veranstaltung wählen jedes Jahr Fachleute die besten Büttenredner für den Vorstellabend in den Sartory Sälen aus: „Im Sartory sind dann rund 900 wichtige Personen, die dich für einen Auftritt buchen könnten.“ Sabine Matscheroth überzeugte die Juroren und durfte zum Vorstellabend: „Das war ein Schock“, sagt sie lachend. „Ich hätte nicht gedacht, dass das alles in dieser kurzen Zeit so möglich ist.“ Das „Vingströschen“ wurde nach dem Auftritt in den Sartory Sälen für 18 Sitzungen gebucht. Matscheroth: „Wenn man das macht, was man gerne tut, dann gehen plötzlich die Türen von selber auf.“

Und das nicht nur für weibliche Büttenredner, die es, laut Matscheroth, „kaum gibt“, sondern auch für eine Figur, die man nicht unbedingt auf Karnevalssitzungen erwarten würde: eine arbeitslose Friseuse, deren Freund Achmed und deren beste Freundin Pamela-Vanessa heißt, die „nicht die Hellste ist“ und trotzdem eine „Schnüss am Kopp“ hat. „Rosi denkt, dass die anderen Menschen auch so leben“, erklärt Matscheroth. „Wenn sie in ihrem Outfit ankommt, meint sie, besonders schön angezogen zu sein. Sie weiß nicht, dass sie assihaft aussieht.“

Die Büttenrednerin verleiht ihrer Figur eine sympathische Selbstverständlichkeit, die sie trotz ihrer aufgedonnerten Erscheinung nicht nur liebenswert, sondern auch authentisch macht. Schließlich weiß Matscheroth aus eigener Erfahrung, wie das Leben am Stadtrand sein kann: „Ich komme aus Stammheim, und da nicht aus der besten Ecke“, erzählt sie. „Ich bin in einem Viertel groß geworden, das sich mit der Zeit auch verschlechtert hat. Das Klima ist rauer geworden.“

Sabine Matscheroths „Vingströschen“ unterhält nicht nur das Publikum, son dern bringt auch ein Stück sozialen Brennpunkt auf die Bühne - wenn auch mit überzogenen Klischees und viel Humor. „Ich merke schon, wie ich angeguckt werde, wenn ich nur in dem Kostüm komme und die Leute noch nicht begriffen haben, dass ich eine Büttenrednerin bin“, sagt sie. Den Blicken - von abfällig bis neugierig - folgen manch mal auch beleidigende Kommentare. Persönlich nimmt Matscheroth diese nicht: „Auf der Bühne, das bin nicht ich, sondern Rosi. Die hat eine gewisse Unverletzbarkeit“, stellt sie fest. „Und je mehr ich in die Figur falle und Sabine Matscheroth ausblende, desto besser wird auch die Rosi.“

Leistet sie mit ihrem „Vingströschen“ Toleranzarbeit? „Eine dicke Frau im Tussikostüm ist auch schon schwere Toleranzarbeit“, antwortet Matscheroth lachend. „Der Respekt kommt dadurch, dass die Leute begreifen, dass mehr hinter der Figur steckt. Und wenn ich dann noch merke, dass die Leute Freude an Rosi haben, ist das ein super Kompliment.“ Unterstützung bekommt Matscheroth auch von prominenter Seite: Ihr „Mentor“ ist kein geringerer als „Weltenbummler“ Gerd Rück, der in Bensberg lebt. Matscheroth: „Der hat Spaß an der Rosi gefunden und hilft mir etwas mit seinem Wissen und seiner Erfahrung.“

Vor gut einem halben Jahr zog die 33-Jährige von Holweide nach Bergisch Gladbach und mit ihrem Lebensgefährten zusammen. Hier machte Matscheroth auch gleich eine ungewöhnliche Erfahrung: „Einmal hab ich beim Bürgerbüro wegen Infos zu meinem neuen Personalausweis angerufen, es ging aber niemand an den Apparat.“ Fünf Minuten später habe ihr Telefon geklingelt: „Hallo hier Bürgerbüro Bergisch Gladbach, Sie hatten angerufen?“, so die freundliche Stimme am anderen Ende. Sabine Matscheroth war perplex: „Ich dachte nur: Was, die rufen zurück? So etwas wäre in Köln nie passiert“, erzählt sie lachend.

Auch wenn Matscheroth nun Bergisch Gladbacherin ist, Rosi wird erst mal Vingsterin bleiben. Aber der genaue Ort ist gar nicht so wichtig, denn, so Matscheroth, „die Richtung ist immer noch klar: Rosi kommt nicht aus der City, sie kommt von der »falschen Seite«.“

Ihre Auftritte hat die Büttenrednerin in der Session 2010 hinter sich gebracht, nun heißt es für sie: „Möglichst schnell eine neue Rede schreiben und dann geht auch die Akademie wieder weiter.“

Und das „Vingströschen“ hat bis zur nächsten Session erst mal Bühnenurlaub. Doch 2011 wird sie wohl wieder die rheinischen Karnevalssitzungen auf der Suche nach „Shakira“ stürmen und dabei süffisant feststellen: „Der Kölner an sich denkt ja, er kommt vom Nabel der Welt. Vingst - liegt etwas tiefer.“

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