CSDVon Polit-Trienen bis Pornovideos

Lesezeit 6 Minuten
Der ehemalige „Pimpernel“-Betreiber Jochen Saurenbach. (Bild Hennes)

Der ehemalige „Pimpernel“-Betreiber Jochen Saurenbach. (Bild Hennes)

Köln – Reinhard mimte den wartenden Kinobesucher. Er stand am Eingang des „Theater am Rudolfplatz“ und sah verstohlen hinüber zur Diskothek Pimpernel, einem kastenförmigen Bau mit ausgefallener Fassade. Im unteren Drittel, schlicht und schwarz, sprang ein vitrinenartiges Schaufenster vor; links befand sich die metallene Clubtür mit einem kleinem, quadratischen Klappenfenster. Die Front darüber wurde gebildet von einer Struktur, die an zerknüllten Stoff erinnerte und deren Wülste mit einer silbrigen Schicht überzogen waren; sie fasste unregelmäßig ein breites Blumenfenster ein. „Die ersten drei Abende habe ich vor dem Kino gestanden und beobachtet, wer drüben reingeht“, erzählt Reinhard. „Die Männer klingelten, die Klappe ging auf, jemand guckte raus, dann wurden sie reingelassen.“

Sommer 1980. Zum Jura-Studium war Reinhard, heute 53, aus Pirmasens nach Köln gekommen. Auch deshalb, weil die Stadt den Ruf hatte, eine besonders lebendige Schwulenszene zu haben. „An einem Abend habe ich wieder gewartet, fast eine Stunde lang, dann bin ich hingegangen.“

Aus dem schüchternen Anfänger wurde ein Stammgast. „Zum Schluss war ich an vier Abenden in der Woche da. Es war mein Wohnzimmer.“„Viele haben hier ihr Coming-out begonnen und in Kaschmir oder Leder gehüllt beendet“, heißt es im Stadtführer „Köln von hinten“ aus dem Jahr 1983. Geblieben ist davon nichts, räumlich zumindest. Die legendäre Diskothek, deren Anziehungskraft weit über die Stadtgrenzen hinaus reichte, schloss 1989. Die Stadtsparkasse Köln ließ dass Haus und die angrenzenden Gebäude abreißen.

Alles zum Thema Christopher Street Day

Mit Jochen Saurenbach lassen sich die alten Zeiten leicht vergegenwärtigen. Dem 68-Jährigen gehörte das Pimpernel, das viele nur Nel nannten. Er stammt aus Gummersbach und kam nach dem Abitur nach Köln, um Volkswirtschaftslehre zu studieren. Nebenher arbeitete er im Blumenladen seines damaligen Freundes mit und stieg nach ein paar, wie er sagt, „verbummelten Semestern“ ganz ins Geschäft ein.

Behörden beäugten das Lokal argwöhnisch

1968 wechselte das Paar die Branche: In einem Gebäude aus den 1950er Jahren, das ein Eiscafé beherbergt hatte, eröffneten sie 1969 das „Kreml“, ein Lokal für Jugendliche, in dem Musik von Janis Joplin zu hören war und Gerüchten zufolge Haschisch geraucht wurde. 1972 gründeten die Freunde und Geschäftspartner am selben Ort das Pimpernel. Es war die Zeit, als der Paragraf 175 reformiert wurde; seitdem waren nur noch „homosexuelle Handlungen“ mit männlichen Jugendlichen unter 18 Jahren strafbar. Trotzdem wurde das Pimpernel von den Behörden anfangs wie ein anrüchiges Lokal des Rotlichtmilieus beargwöhnt.

Doch „vom ersten Jahr an lief es gut“, erzählt Saurenbach. Das Pimpernel suchte in seiner Art und Größe im weiten Umkreis seinesgleichen. Den vorderen Teil des Parterres, hinter dem Eingangsbereich gelegen, hatten die Geschäftsinhaber rustikal umgestalten lassen, mit uraltem Gebälk aus einem Bauernhaus des Bergischen Landes; Wände und niedrige Decke wirken wie im Rohzustand belassen mit ihrem groben, grauweißen Verputz. Der langgestreckte Tresen, auf dem weiße Kerzen standen, reichte bis an die Ecke, wo der Discjockey Platten auflegte und die Projektoren für die Lichteffekte auf der Tanzfläche steuerte.

Während hier die gängige Popmusik lief, herrschte im ersten Stock eine Atmosphäre, die von Klassik und Filmmelodien geprägt war. „Leute, die sich unten näher gekommen waren, konnten oben Kaffee trinken und sich unterhalten“, so Saurenbach. Sie saßen auf Sofas oder in der Mitte auf einer Art Podium. „Das war wie eine große Liege, auf der ein Flokati lag. Es regte die Fantasie der Gäste an, manche vermuteten Sexorgien.“ Orgien fanden allerdings keine statt. Dafür gab es im Keller eine Leder-Bar mit Darkroom und Pornovideo-Ecke.

So erfüllte das Pimpernel, dessen Namen Saurenbach „wegen der Lautmalerei“ gewählt hatte, unterschiedliche Wünsche. Und die Leute kamen in Strömen, auch dank der Werbung in Zeitschriften wie „Du & Ich“ und „Don“. „Es war der absolute Hit. Ich hatte Stammgäste, die kamen viermal die Woche aus Dortmund“, erinnert sich der 68-Jährige.

Konkurrenz? Kaum. Einige Jahre gab es die Disco Coconut in der Pfeilstraße, doch die war viel kleiner und hatte nicht jeden Abend geöffnet. Das Geschäft lief also bestens, und der Chef arbeitete unermüdlich. In der Regel fing er um 17 Uhr an, und „um fünf Uhr war ich der Letzte, der ging“. Längst hatte er sich von seinem Kompagnon getrennt und führte das Geschäft alleine weiter.

Das Pimpernel spielte auch politisch eine Rolle

Er lud zu den ersten schwulen Karnevalsveranstaltungen in Köln ein. Wohl der berühmteste Besucher war Freddy Mercury. „Wenn er in Köln zu tun hatte“, sagt Saurenbach, „dann kam er zu uns“, meist zusammen mit Barbara Valentin. „Sehr schüchtern und zurückhaltend“ habe sich der „Queen“-Frontmann verhalten. Auch Guido Westerwelle, 1980 Mitbegründer der Jungen Liberalen, habe sich blicken lassen. „Er sagte, er sei studienhalber hier. Sie können sich nicht vorstellen, wie verklemmt er war.“

Das Pimpernel war nicht nur ein fast unumgänglicher Ort der „Sub“, wie die nächtliche Szene in Verkürzung des Wortes „Subkultur“ häufig genannt wurde, sondern spielte auch politisch eine Rolle. „Ich wollte die Bewegung reinholen“, sagt Saurenbach. Er spricht von der „Verfeindung zwischen unbedarften Konsumenten und Polit-Trienen“, die er habe überwinden wollen, und erinnert an Gruppierungen wie die Gay Liberation Front, deren deutscher Ableger 1972 in Köln gegründet wurde. Man traf sich am Sonntagnachmittag im ersten Stock und politisierte. 1979 organisierte Saurenbach die erste CSD-Feier mit.

„Ich war so kaputt, dass ich ein Dreivierteljahr nicht sprechen konnte“, sagt er zur Zeit nach der Schließung des Pimpernel. Bald nahm er neue Aktivitäten auf. Er trat der Initiative „Act Up“ bei, die gegen die Stigmatisierung von Aids-Kranken kämpft, stellte 1990 mit wenigen Mitstreitern die erste Kölner CSD-Parade auf die Beine, gründete 1993 zusammen mit Michael Zgonjanin das Monatsmagazin „Box“ und engagiert sich bis heute in mehreren Organisationen. Nur wenige Fotos vom Pimpernel hat er aufbewahrt. Zur Verklärung jener Zeit neigt er nicht: „Es war viel Arbeit.“

Straßenfest im Dtreieck

Von der Anziehungskraft des Pimpernel lebten auch die Bars Schampanja (vormals Stechuhr) und Spinnrad (heute IX-Bar) am Mauritiuswall. Beide bildeten die Keimzelle für das, was heute als Bermudadreieck bekannt ist: das Viertel südlich des Rudolfplatzes, in dem sich einschlägige Bars und Kneipen finden, vom Ex-Corner über das Iron und das Mumu bis zum Exile on Mainstreet.

An den Anfang der Entwicklung mit dem Pimpernel erinnern die Stadtführungen des Centrums Schwule Geschichte Köln. Die nächsten beginnen am 2. und 10. Juli um 15 Uhr am Hahnentor. Am Samstag, 25., und Sonntag, 26. Juni, wird im Bermudadreieck von 15 Uhr an das traditionelle Sommerfest gefeiert, das auf den Kölner CSD einstimmt.

KStA abonnieren