Die Kugel braucht den richtigen Drall

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Max Ern vor einer Laufziehmaschine

Max Ern vor einer Laufziehmaschine

Schlebusch - Nur noch ganz selten gibt es den Beruf des Büchsenmachers. Max Ern behauptet sich in Schlebusch. Und sein Sohn Max macht ihm alle Ehre.

Max Ern ist ein mutiger Mann. Auf den ersten Blick in sein gediegenes Geschäft mit den beleuchteten Gewehrschränken mag das als Selbstverständlichkeit erscheinen. Als Büchsenmacher ist der Schlebuscher mit vielen Dingen befasst, die schon seit Urzeiten in die Domäne der Männer fallen. Das Jagen, der Umgang mit Werkzeug und schließlich sein altes Handwerk. Mindestens 530 Stunden benötigt er, um aus Eisen und Holz in so präzisen wie unterschiedlichen Arbeitsschritten ein Gewehr zu fertigen. Gibt er es aus der Hand, ist er nicht selten traurig. Es fehlt ihm ein lieb gewordenes Unikat. Bei guter Pflege wird es auch bei regem Gebrauch über Generationen standhalten.

Aber mutig ist Max Ern vor allem deswegen, weil er sich in einer Branche behauptet, in der der nackte Überlebenskampf ausgebrochen ist. Arbeit an andere abgeben, kann er allein schon deswegen nicht, weil es viele Fachbetriebe gar nicht mehr gibt. Aus der Not hat er aber eine Tugend gemacht und beherzt einfach alle Fertigungsschritte unter seinem Dach vereint. Das ganze Gewehr wird im Familienbetrieb gebaut. Dort stimmen die Erns den Holzschaft auf die Körpermaße des Kunden ab. Es folgen diverse Behandlungen mit Ölen nach eigenem Rezept. Denn niemals soll das Holz quellen, keine böse Überraschung auftreten, weil womöglich die Mechanik blockiert.

Auch die Rohteile aus Eisen werden selbst hergestellt; eine „Spezialität des Hauses“ ist das Bunthärten. Wenn der heiße Stahl ins Wasser getaucht wird, entsteht eine bizarre Marmorierung. Doch so kunstvoll es wirkt, ist es der beste Schutz gegen Verschleiß. Die Krönung ist das Ziehen eines - natürlich selbst gefertigten - Laufs. Dafür hat Max Ern eine Laufziehmaschine im ostdeutschen Suhl aufgekauft, die noch aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts stammt. Diese 5,30 Meter lange Mischung aus Dampflok und Uhrwerk steht nun in einer Scheune im Bergischen - obwohl viele in Suhl sie lieber bei sich im Museum gesehen hätten. „Dafür ist sie aber viel zu schade“, meint Ern. Für sein Handwerk gebe es nichts Vergleichbares.

Ein Ingenieur von Ford habe anerkennend festgestellt, dass die deutsche Stahlindustrie durch solche Geräte an die Spitze gekommen sei. Die Maschine schnurrt, als sei Verschleiß ein Wort, dass sie unbedingt übertönen wollte. Beim Ziehen hobelt eine an eine große Nadel erinnernde „Reibaale“ den Gewehrlauf aus. Bei jedem Zug wird ein dreitausendstel Millimeter von der Innenwand abgezogen - Voraussetzung für einen hochpräzisen Drallwinkel. Denn die Technik für die Kugel, die sich im Lauf drehen muss, ist unendlich viel feiner als im Blasrohr.

Es gibt nur noch drei, vielleicht vier Büchsenmacher in Deutschland, die in der Manufaktur herstellen. Immer häufiger gibt es Gewehre von der Stange - eine Entwicklung, in der ein Büchsenmacher nur noch bedingt auf den Einzelnen eingehen kann. Ein Gewehr definiert Ern indes weniger als Waffe denn als Werkzeug. Und ein gutes Werkzeug müsse nun einmal auf die Erfordernisse seines Nutzers abgestimmt sein. Von seiner Arbeit spricht Max Ern mit einer Begeisterung, die nur der hat, der seinen Beruf wirklich mag. Kleine Rambos, die Spaß am Ballern haben, sind in seinem Geschäft schon deswegen an der falschen Adresse, weil sie in der Regel nicht über das nötige Kleingeld verfügen. 35 000 Euro und aufwärts kostet ein handgefertigtes Gewehr. Auch 70 000 Euro könne ein Stück bei ihm kosten. In der Branche gebe es sogar Gewehre, die um eine halbe Million kosten. Von Liebhabern, die bereit sind, so viel Geld zu zahlen, leben Büchsenmacher wie Max Ern. Manche Prominente seien unter den Kunden, von denen er aber nicht den Namen ausplaudert. Das wäre schlechter Stil. Ern bleibt bescheiden, obwohl sich sein guter Ruf in Russland wie den USA verbreitet. Ern und seine Evelyn reisen von Messe zu Messe. In Moskau haben sie schon den Konstrukteur Michail Timofejewitsch Kalaschnikow getroffen, in Reno George Bush Senior und General Norman Schwarzkopf. Ehefrau Evelyn ist vor allem die Begegnung mit Frauenschwarm Tom Selleck in Erinnerung.

Seine Frau hat der Schlebuscher nach der Lehre (im Kölner Haus Eduard Kettner) im österreichischen Ferlach kennen gelernt. Dort war sie seine Kollegin in der Firma Franz Sodia, arbeitete als Graveurin. 1986 machten sich die beiden selbstständig und vertreiben heute handgefertigte Jagdgewehre in der ganzen Welt. Der Radius sei größer geworden - zwangsläufig, denn durch Mundpropaganda allein liefe das Geschäft nicht mehr. Der Mittelstand hat Erns Einschätzung nach in vielen Fällen nicht mehr das finanzielle Polster für so teure Hobbys wie das Jagen. Es gebe zudem auch immer weniger Jagdreviere.

Also reisen die Erns auf Messen in die weite Welt. Zumal in Amerika landen sie manchen Verkaufsschlager, der vor allem auf Evelyn Erns Gespür für ihr Kunsthandwerk zurückzuführen sein dürfte. In der Zeitschrift „National Geographic“ stieß sie auf einen Artikel über den Monarchfalter, den sie in der Manier des Jugendstils in feiner Handarbeit auf ein Gewehr eingravierte. „Die Amerikaner waren begeistert. Viele kannten die Geschichte des Falters“, erklärt sie. Der Falter, der in Mexiko überwintert und in Montana brütet, ist bedroht. Holzabbau in Mexiko und Klimawandel in Montana machen ihm das Leben schwer. Natur und Mensch verändern sich. Trotzdem sind die Erns zuversichtlich. Die Söhne Max und Bernhard steigen in den Betrieb ein. Max (21) hat den Titel des Landessiegers unter den Büchsenmachern gewonnen.

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