Die vornehme Tour lag ihm nicht

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Staatswanwalt Kurt Utermann war kein Paragraphenreiter.

Staatswanwalt Kurt Utermann war kein Paragraphenreiter.

Nach 22 Jahren Arbeit in der Kapitalabteilung ist Staatsanwalt Karl Utermann in den Ruhestand gegangen. Unzählige Tötungsdelikte hat er bearbeitet. Und es gibt bis heute genau einen ungelösten Fall, für den er seine Robe nochmal überstreifen würde.

Prozessbeobachter erinnern sich: „In einer Verhandlungspause stand Karl Utermann vor dem Gerichtssaal, die Hände in die Hüften gestemmt. Aus dem Hosenbund unter der Robe ragte seine Pistole, jeder konnte sie sehen.“ Die Waffe trug der Staatsanwalt zum Selbstschutz. Dreimal musste er nach Morddrohungen seine Familie in Sicherheit bringen. Ein Angeklagter schickte ihm mal eine Patronenhülse und schrieb dazu:„Wir bringen Sie um.“

Doch Karl Utermann weiß, wie Schwerkriminelle agieren, er war 22 Jahre lang Ermittler in der Abteilung für Kapitaldelikte: „Die wollten mich nur einschüchtern. Schäfers Nas hat mich mal vor einem Racheengel gewarnt. Ich habe zu ihm gesagt: Richte dem Mann aus, er soll vorher gut schießen lernen. Wenn er mich nicht sofort trifft, drehe ich mich um, und dann hat er es hinter sich. Von da an hatte ich meine Ruhe.“ Die Waffe musste er nie einsetzen.

Aufsehen erregende Mordfälle hat der Jurist, der beinahe Lehrer geworden wäre, in seiner Laufbahn bearbeitet. Zum Beispiel den eines Freiers, der Prostituierte am Ebertplatz angesprochen, sie ans Rheinufer gelockt und dort misshandelt und gequält hatte. Die Leichen der Frauen wurden später oft nur zufällig gefunden. Der Täter bekam lebenslänglich. Auch an seinen ersten Fall in der Kapitalabteilung erinnert Utermann sich genau: „Eine Apothekerin, die von ihrem Mann wie der letzte Dreck behandelt wurde, hatte mehrfach versucht, ihn mit Rattengift umzubringen. Er hat immer überlebt.“ Eine Frau, die auf ihren Liebhaber geschossen hatte und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war, schickte Utermann Jahre nach Verbüßung der Haftstrafe einen Brief. „Sie wollte heiraten und fragte mich, ob ich Trauzeuge werden will“, schmunzelt der pensionierte Todes-Ermittler noch heute. „Das habe ich allerdings abgelehnt. Da gehen Persönliches und Berufliches dann doch zu sehr ineinander über.“

Utermann war kein Paragraphenreiter, der nach Aktenlage entschied. „Ich wollte den Tatverdächtigen immer unmittelbar nach der Tat sehen. In der Verhandlung ist das ja ein ganz anderer Mensch. Das faszinierte mich auch an diesem Beruf: Man ist als Staatsanwalt von der Tat bis zur Verurteilung dabei, ein Vorteil gegenüber dem Richter und dem Verteidiger. Das gab mir zusätzlich Sicherheit für mein Plädoyer.“ Dabei wollte der Kunstliebhaber und Hobby-Fotograf alles werden - nur nie Staatsanwalt. „Das Negativimage hat mich immer gestört, dass die auf Leute drauf hauen und weisungsgebunden sind. Erst zwei meiner Ausbilder haben mir gezeigt, dass es auch anders geht.“

Bekannt war Utermann für seine flammenden Plädoyers, die nicht selten den Rahmen sachlicher Argumentation sprengten. „Sie haben das Gesicht einer wandelnden Leiche“, soll er einem Angeklagten entgegen geschleudert haben, der den Mörder seines Sohnes im Gerichtssaal erschossen hatte. Eine „Bestie mit krankem Hirn“ nannte der Staatsanwalt einen damals 24-jährigen Täter, der 1982 zwei Mädchen im Keller der Mülheimer Stadthalle stundenlang misshandelt und schließlich verbrannt hatte. „Ich bin nun mal impulsiv, die vornehme Tour ist nicht mein Ding. Ich habe Emotionen auch in die Hauptverhandlung mitgenommen. Es ist effektiver, wenn der Richter sieht, dass man persönlich von einer Sache überzeugt ist. Plädoyers vom Blatt abzulesen wirkt hölzern“, ist der Jurist überzeugt. Dennoch - nach Feierabend konnte er abschalten. „Wenn ich nach Hause kam, machte die Psyche automatisch Klick. Das geht auch nicht anders. Sonst dreht man durch.“ Aber Utermann schränkt ein: „Es strengt schon an, sich immer mit dem Tod zu beschäftigen.“

Im Ruhestand will er mit Juristerei erstmal nichts mehr zu tun haben. „Ich freue mich darauf, längere Reisen zu machen und ausgiebig zu lesen, am liebsten historische Darstellungen von der Antike bis zum Mittelalter.“ Nur für einen seit zehn Jahren ungelösten Fall würde er seine Robe noch einmal aus dem Schrank holen: Am 17. Oktober 1991 wurde nahe der KVB-Haltestelle Poll-Autobahn die Leiche der 16-jährigen Türkin Sekin Caglar gefunden. Das Mädchen war am Abend zuvor vergewaltigt und erwürgt worden. Alle Ermittlungen liefen ins Leere, der Täter wurde nie gefunden. „Aber den kriegen wir noch“, ist sich Utermann hundertprozentig sicher. „Wir haben so viele Spuren gesichert. Eines Tages wird der wieder auffällig und bleibt im Raster hängen.“ Und dann würde der Staatsanwalt nochmal mit anpacken: „Wenn ich gefragt werde - ja.“

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