Einsatz mit schlimmen Folgen

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Stefan N. starb nach seiner Verhaftung.

Stefan N. starb nach seiner Verhaftung.

Köln erschüttert einer der größten Polizeiskandale. Sechs Beamte sollen einen Gefangenen misshandelt haben. Der Mann fiel später ins Koma - die Ärzte haben kaum Hoffnung mehr.

Nach dem Tipp hatten es die Ermittler der Mordkommission furchtbar eilig. Am Dienstag berichteten ein Schutzpolizist der Wache in der Kölner Südstadt, dass Kollegen, die im Verdacht stehen, den 31-jährigen Kölner Stefan Neisius misshandelt zu haben, Stiefel und Teile der blutverschmierten Uniform beiseite schaffen wollten. Die vernehmenden Kripo-Leute reagierten sofort. Noch am Abend und in der Nacht zum Mittwoch durchsuchten sie die Wohnungen der Verdächtigen sowie Spinde in der Südstadt-Wache. Dabei stellten sie Teile der gesuchten Kleidungsstücke sicher.

Die Geschichte aus dem Polizeibericht am Mittwoch weckt längst vergessene Negativ-Klischees von Prügel-Polizisten, die mit Lügen und Intrigen versuchen, ihre Verfehlungen im Amt zu vertuschen. Schlimmer noch: Das mutmaßliche Opfer polizeilicher Schläge, der arbeitslose Schreiner, Stefan Neisius, liegt seither in der Kölner Universitätsklinik im Koma. Die Ärzte haben kaum noch Hoffnung. Wie es aus Polizeikreisen heißt, wird der Patient nur noch durch die Herz-Lungen-Maschine am Leben erhalten. Eine Untersuchung zur Frage des Hirntods soll nun darüber entscheiden, ob man sie nicht abschalten muss.

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Am Mittwoch lassen die inzwischen eingeschalteten Ermittlungsbehörden verlauten, dass Gerichtsmediziner auf der linken Stirnhälfte des Patienten „ein deutlich geformtes, frisches Hämatom (Bluterguss), nach Art eines Schuhsohlen-Abdrucks“ entdeckt haben. Der Skandal - er könnte nicht größer sein.

Polizeipräsident Klaus Steffenhagen spricht von einem sehr ernsten Vorfall. Einzig positiv sei, dass zwei Kollegen, die das Geschehen im Zellentrakt beobachtet hatten, sich tags darauf ihrem Vorgesetzten anvertraut hätten. Dies sei auch gut so, führte Steffenhagen aus, „denn falsch verstandenen Korpsgeist kann man bei der Polizei nicht gebrauchen“.

Bereits am Montag, kurz nach dem Erhalt der Nachricht war der Polizeichef in die Offensive gegangen. Er suspendierte die sechs Beamten, die Neisius in einer Zelle auf einer Innenstadtwache misshandelt haben sollen, vom Dienst. Bei einer Krisensitzung gab er die Parole aus: alles bis zum Letzten aufklären. Und: offene Medienpolitik, damit niemand denken könne, in Köln werde etwas vertuscht. Eine Ermittlungskommission wurde gebildet. Die Staatsanwaltschaft übernahm das Verfahren. Der Vorwurf: gefährliche Körperverletzung im Amt. Christoph Arnold, Anwalt eines der Beschuldigten, weist die Anschuldigungen zurück: „Die Zwangshandlungen der Beamten waren der Lage angemessen“.

Nach den bisherigen Ermittlungen hat sich an jenem 11. Mai folgendes abgespielt: Um 21.49 erhalten zwei Polizeibeamte der Innenstadtwache Eigelstein den Einsatzbefehl: Streitigkeiten. Stefan Neisius führt im fünften Stock der mütterlichen Wohnung in der Roonstraße einen lauten Disput mit seiner Mutter. Mit 31 Jahren wolle er nun eigene Wege gehen, erläutert der Sohn. Als seine Mutter ihm nicht zuhört, wird er lauter. Neisius ist so etwas wie das Sorgenkind der Familie. Psychische Probleme, Drogenkonsum. Ein Sprung aus dem 7. Stockwerk, weil er nicht mehr in die Landesklinik Mehrheim wollte, macht ihn arbeitsunfähig. Er hat Probleme mit den Beinen, leidet häufiger unter plötzlichen Blutungen. Ende April stellen die Ärzte bei ihm eine Thrombose (Blutverstopfung) fest und verschreiben das blutverdünnende Mittel Marcumar. Stefan Neisius hat an jenem Samstag Pläne für die Zukunft. Er will eine Band mit zwei Kollegen gründen. Das müsse die Mutter (67) doch verstehen.

Nach bisherigen Ermittlungen soll sich der Fall so abgespielt haben: Die Nachbarn rufen die Polizei wegen Ruhestörung. Als die Streife eintrifft, berichtet die Anruferin von dem Streit im Stockwerk über ihr. Von der Mutter habe man längere Zeit nichts gehört. Die Beamten klingeln nach eigenen Angaben. Sie rufen: „Polizei ! Bitte öffnen sie die Tür.“ Eine männliche Stimme brüllt, sie sollen verschwinden. Die Mütter läge im Bett.

Die Beamten haben Zweifel. Sie fordern Verstärkung an. Drinnen geht das Gebrüll weiter. Als die Kollegen eintreffen, treten zwei von ihnen die Wohnungstür ein. Stefan Neisius zieht sich in ein Zimmer zurück. Die Mutter, die bis dahin ahnungslos vor dem Fernseher saß, sucht, ihren Sohn zu beruhigen.

Das Licht geht aus. Urplötzlich geht eine Glasscheibe zu Bruch. Ein Beamter sprüht Pefferspray. Die Polizisten treten die Wohnzimmertür ein, Neisius läuft in den nächsten Raum. Ein Beamter versucht, den Zwei-Zentner schweren Mann an den Haaren auf den Boden zu ziehen. Drei weitere Kollegen stürzen sich nach Angaben der Polizei auf den wild um sich schlagenden Neisius. Das Quartett fesselt und fixiert den Mann. Zur „Brechung des Widerstands“, so die Ermittlungen, schlagen Polizisten Neisius ins Gesicht. Der übergewichtige Mann gerät nun vollends in Panik. Er fleht seine Mutter an: „Mutti, die bringen mich um“. Hilflos habe sie zusehen müssen, so Gertrud Neisius heute, wie die Beamten „meinen Jungen wie ein Paket verschnürten“.

Vier Polizisten tragen Neisius die Treppen herunter. Er wehrt sich. Und so kommt es, dass er bei einem Treppenabsatz den Polizisten aus den Händen fällt. Der randalierende Gefangene wird mit einem Transporter auf die Wache Eigelstein und in eine Zelle geschleift. Dort, so der Verdacht, wird der Gefesselte geschlagen und getreten. Später kommt Neisius ins Marienhospital. Eine Blutprobe soll etwaigen Alkohol- oder Drogenkonsum aufklären. Dabei bricht er zusammen.

Tags darauf melden sich zwei Polizeibeamte der Wache Eigelstein bei ihrem Dienstgruppenleiter. Sie berichten, dass sie gesehen haben wollen, wie Neisius von den Kollegen malträtiert wurde. Als die Zeugen zur Vernehmung erscheinen, wird ihnen eröffnet, dass gegen sie ebenfalls ermittelt wird: wegen unterlassener Hilfeleistung. Als Polizisten hätten sie es versäumt, die Schläge zu verhindern. Seither schweigen die Zeugen.

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