„Ich habe schlaflose Nächte“Kölner beklagen teilweise viermal so hohe Gaspreise

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Gaszähler

Der Gaspreis pro Kilowattstunde hat sich enorm erhöht.

Köln – Kirsten Harig ist alleinerziehende Mutter und wohnt mit ihrem Sohn in einem kleinen Haus in Burscheid. Die erste Preissteigerung wurde ihr zu Beginn des Jahres mitgeteilt. Im April hat sich der monatliche Abschlag für Gas von 77 auf 197 Euro erhöht. Für die 48-Jährige ein Schock: „Für mich bedeutet das seit April: Gürtel enger schnallen.“ Jetzt wartet sie bang auf die nächste Erhöhung, die viele Bekannte längst bekommen haben. Harig fragt sich, was sich so viele gerade fragen: „Wie soll man das allein alles stemmen?“

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Kirsten Harig

Um wie viel der Gaspreis gestiegen ist, hängt entscheidend vom Anbieter ab: Unternehmen, die früher besonders günstig waren, weil sie eher risikoreich und kurzfristig Strom und Gas an der Energiebörse eingekauft haben, müssen jetzt am stärksten erhöhen. Bei Anbietern, die langfristiger Gas eingekauft haben, fallen die Erhöhungen etwas moderater aus.

2000 Euro mehr für 15.000 Kilowattstunden

Beim regional größten Anbieter Rheinenergie zahlen Kunden ab November im Schnitt etwa 150 Prozent mehr als aktuell. Für viele Haushalte bedeutet das mindestens 1400 Euro zusätzlich im Jahr. Wer in einem kleinen Haus lebt und rund 15.000 Kilowattstunden pro Jahr verbraucht, zahlt statt bislang 1353 Euro künftig 3456 Euro pro Jahr.

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Die Rheinenergie will sowohl die neu eingeführte Gasumlage von drei Cent wie die geplante Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent an ihre Kunden weiterreichen – sofern die Gasumlage nicht wieder gekippt wird.

Abschlag stieg von 68 auf 205 Euro seit Januar

Bei Dennis Fischer (40), der bei einem Öko-Energie-Anbieter unter Vertrag ist, haben sich die Gaskosten im Januar zunächst von 68 auf 102 Euro erhöht – vor drei Wochen erhielt er die Nachricht, dass er künftig 205 Euro zu zahlen habe. „Ich war ein bisschen geschockt und habe mich auf die Suche nach einem anderen Anbieter gemacht – das billigste Angebot lag allerdings da bei 330 Euro.“

Ihn träfen die stark erhöhten Preise nicht empfindlich, sagt der Kölner Unternehmer. „Ich habe alles was ich brauche, und verzichte halt erstmal auf das nächste Tattoo“, sagt er. Seine Freundin, mit der er in einer Altbauwohnung im Agnesviertel lebt, habe größere Sorgen, zumal sie ihre Stundenzahl bei der Arbeit gerade reduziert habe. „Vorläufig übernehme ich ein paar Kosten für sie mit und wir kommen gut klar.“ 

Nicht mehr jeden Tag duschen

Monika Wilke, Frührentnerin und alleinerziehende Mutter, weiß seit langem, was es heißt, „jeden Cent zweimal umdrehen zu müssen“. Sie weiß, was es bedeutet, in den Supermärkten nach Sonderangeboten zu fahnden, sich selbst die Haare zu schneiden und nicht jeden Tag zu duschen, weil es „waschen manchmal ja auch tut“. Wenn die 53-jährige Kölnerin an die rapide gestiegenen Strom- und Gaspreise denkt, denkt sie eher an andere.

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Monika Wilke

„In den nächsten Monaten werden sehr viele Menschen erfahren, was es heißt, Wohlstand zu verlieren. Mental wird es für diese Leute schwerer, sich ans Sparen zu gewöhnen, als für mich.“

Wilke hat im vergangenen Jahr 300 Euro von ihren Abschlägen für Nebenkosten zurückbekommen, weil sie sparsam war. Dieses Jahr hat sie 385 Euro draufgezahlt. Ihr Vermieter hat die Nebenkosten mit Verweis auf gestiegene Energiekosten um 50 Euro angehoben. „Das ist für mich mit meiner winzigen Rente extrem viel – aber angesichts der Lage trotzdem natürlich noch wenig“, sagt sie. 

Alle Sparmöglichkeiten ausgeschöpft

Das Problem sei, dass sie schon alle Sparmöglichkeiten ausgeschöpft habe: Den Wasserverbrauch habe sie auf ein Minimum reduziert, leiste sich keine Cafébesuche oder neue Anziehsachen. „Alle Tipps zum Sparen, von denen in den vergangenen Wochen zu hören war, habe ich längst umgesetzt.“ 

Wilke hat 28 Jahre als Raumausstatterin gearbeitet, bevor sie arbeitsunfähig wurde. Wenn der Vermieter am Ende des Jahres den gestiegenen Gaspreis auf die Vermieter umlege, „weiß ich nicht, wie ich das bezahlen soll. Aber so wird es sehr vielen gehen. Rentnern wie mir, aber auch Mittelständlern mit eigenem Häuschen, die statt 1000 plötzlich 4500 Euro pro Jahr zahlen sollen“.

Viele haben echte Existenzangst

Zu negativ in die Zukunft schauen wolle sie nicht. „Wir müssen auch dankbar sein: Deutschland ist ein reiches Land. Wir werden nicht verhungern und wohl auch nicht erfrieren“, sagt sie. Sie kenne aber immer mehr Menschen, auch über ihre Arbeit für den Bürgertreff Z in Rodenkirchen, „die davor inzwischen tatsächlich Angst haben“.

Anders geartete Schwierigkeiten kommen auf Immobilienbesitzer durch die steigenden Gaspreise zu. Er müsse hochgerechnet auf seine drei Mehrfamilienhäuser „eine Vorauszahlung von 10.000 bis 12.000 Euro“ leisten, sagt ein Immobilienverwalter aus der Kölner Region. Von der Politik geforderte energetische Sanierungen der Häuser würden durch die enormen Vorschüsse auf der Strecke bleiben.

Auch Eigentümer stehen vor Problemen

Für Vermieter wie ihn, der anders als der Kölner Verein Haus & Grund keinen längerfristigen Rahmenvertrag mit einem Gasanbieter abgeschlossen hat, gerieten die erhöhten Energiekosten zu „einem Teufelskreis“, sagt der Eigentümer. „Wir haben im Sommer um eine freiwillige Anpassung der Nebenkosten seitens der Mieter gefragt – nur einer von 50 war spontan dazu bereit, viele haben auf ihre bereits hohen Kosten verwiesen.“ Das sei verständlich – „andererseits müssen wir unsere höheren Kosten auch an die Mieter weiterreichen, weil wir uns dauerhaft sonst nicht finanzieren können“.

Schon in der Corona-Krise sei es bei einigen Mietern zu Zahlungsengpässen gekommen. „Auch jetzt werden wir bei Bedarf wieder einvernehmliche Lösungen finden, falls ein Mieter seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann.“

Mit Lösungsansätzen „aus der Politik im Zusammenspiel mit Mietern und privaten Vermietern ist wohl leider nicht zu rechnen“, so der Immobilienverwalter.

Verunsicherung bei Mietern und Eigentümern

Aktuell herrsche große Verunsicherung: Was wird mit der von der Bundesregierung festgelegten und jetzt vom Wirtschaftsminister infrage gestellten Gasumlage? Um wie viel steigt der Gaspreis bei welchem Anbieter? Wann weiß ich als Vermieter und als Mieter verlässlich, wie viel ich mehr zahlen muss? Wie werden sich die Preise entwickeln?

Als privater Vermieter zahle er sämtliche Versorgungskosten im Voraus, sagt der Hausverwalter. Finanzielle Schutzmechanismen des Gesetzgebers stützten vor allem die Position der Mieter. „Die Interessen und Möglichkeiten privater Vermieter fallen leider durchs Raster.“

Spätestens zum Jahresende „werden wir gewaltige Probleme bekommen“, so der Vermieter, der namentlich lieber ungenannt bleiben möchte, um keine Wut von Menschen auf sich zu ziehen, deren Sorgen existenzieller sind.

Preise im Großhandel sinken leicht

Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) gibt vorsichtig Entwarnung. Es seien „Preissignale im Großhandel“ zu erkennen, die „tendenziell auf eine Entspannung hindeuten“, heißt es dort. Das Niveau sei aber nach wie vor „sehr hoch“.

Eine weitere Preissteigerung sei nach dem jüngsten Gas-Lieferstopp aus Russland ausgeblieben. Grund dafür könnte nach Angaben des Stadtwerkeverbandes sein, dass der Gasgroßhandelsmarkt diesen Lieferstopp bereits im Vorhinein einkalkuliert und weitergegeben haben könnte. Sollte der kommende Winter früh beginnen oder besonders kalt werden, könnte sich die Preisspirale aber wieder in Gang setzen, weil der Gasverbrauch schlicht steigen würde.

„Längerfristig werden die Energiepreise vor allem durch mehr erneuerbare Energien, beispielsweise grüner Gase profitieren“, prognostiziert ein VKU-Sprecher.

Haus & Grund mit langfristigen Gasverträgen

In einer vergleichsweise komfortablen Lage befinden sich momentan Eigentümer, die den Hausverwaltungsservice eines Tochterunternehmens des Kölner Haus- und Grundbesitzervereins nutzen. Die Immobilien GmbH hat langfristige Gaslieferverträge zu Vorkrisenkonditionen abgeschlossen – Gaspreiserhöhungen fallen vorläufig nicht an.

Wie lange die Versorgungsunternehmen die Rahmenverträge mit den niedrigen Gaspreisen einhalten können, hängt entscheidend von der Entwicklung der geopolitischen Lage ab – vor allem dem Fortgang des russischen Kriegs in der Ukraine. „Für Eigentümer, die keine Festpreisverträge abgeschlossen haben, sieht die Situation wesentlich bedrohlicher aus“, sagt Thomas Tewes, Hauptgeschäftsführer des Haus- und Grundbesitzervereins.

Dass die hohen Gaspreise sehr vielen Menschen Sorgen bereiten, zeigt auch eine Umfrage des  „Kölner Stadt-Anzeiger“ in Sozialen Medien, auf die sich binnen weniger Stunden dutzende Leserinnen und Leser meldeten.

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„Leute mein Konto ist wegen den Gaspreisen im Dispo“, schreibt ein User mit Nicknamen „Cng_297“ auf Instagram. „Von 161 auf 369 Euro“, berichtet „Maleko 69“. „Wir zahlen ab 1. Oktober im Monat 500 Euro mehr“, schreibt „CarlaSantos123“. „P. Kalsch“ berichtet: „Unser Gaspreis ist nun mehr als viermal so teuer wie noch im Juli. Leider lief der Vertrag aus. Aber es hätte uns auch nicht gerettet und es zählt auch nicht, dass wir 26 Jahre beim regionalen Anbieter waren, ohne je gewechselt zu haben.“ Bei ihr sei der Preis von 54 Euro im April zunächst auf 91 und jetzt auf 294 Euro gestiegen, berichtet „nella227“.

„Von 154 Euro auf 240 Euro und zukünftig sollen wir 850 bis 900 Euro zahlen. Pro Monat! Wie soll das funktionieren?“, fragt Dajana Eich. Hartmut Fröhlich schreibt sarkastisch: „Die höheren Kosten fängt man nur auf, indem man keine Steuern mehr zahlt.“ Einer anderen Userin fällt nur ein: „Ich habe schlaflose Nächte.“

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