Wo die Blicke tiefer schweifen

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Staunen, gucken, staunen: Barmann Mark führte Stadt-Anzeiger-Autor Christian Bos durch die schwule Nacht.

Staunen, gucken, staunen: Barmann Mark führte Stadt-Anzeiger-Autor Christian Bos durch die schwule Nacht.

Alle gucken CSD. Doch welcher heterosexuelle Kölner kennt schon das vielfältige schwule Nachtleben in seiner Stadt?

Schätzungsweise eine Million Menschen werden übers Wochenende zur Europride erwartet. Viele davon schwärmen durch Kölns vielfältiges schwules Nachtleben. Denn das ist in der ausgehwütigen schwulen Community weltberühmt. Doch während die heterosexuellen Kölner nur zu gerne den Paradeweg säumen, nehmen sie ihre allnächtliche schwule Umgebung kaum war. Höchste Zeit für eine Kneipensafari unterm Regenbogen. Aber nicht ohne fachkundigen Guide.

„Es ist einfach praktisch, you know, easy going“, meint Mark und grinst breit unter seinem markanten Bart. Ob ich die „Village People“ kenne, hatte Mark bei der Verabredung am Telefon gefragt. Er sehe ein wenig aus wie der Ledertyp der Disco-Truppe. Nur ohne Käppi. Nicht zu verfehlen. Mark ist Barmann im Transfert an der Hahnenstraße und im Lulu, Kölns großer, glamouröser Schwulendisco. Mark hat heute Nacht die undankbare Aufgabe, den heterosexuellen Journalisten durch Kölns schwule Clubszene zu führen. Vom Brauhaus bis zum Darkroom. In Cafés, in denen die „Hete“ sonst nur aus Versehen, in Bars, in denen sie sonst im Leben nicht landen würde.

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„Praktisch“, sagt Mark, sei das schwule Nachtleben, weil es für jeden Geschmack und jedes Alter die passgenaue Bar gibt, „easy going“ - weil Altersgrenzen und sexuelle Vorlieben nicht Gesetz sind. Sich die Szenen auch mal mischen können. „Ich mag dieses Nicht-Getrennte“, sagt Mark, „Ich möchte ein bisschen was von jeder Welt sehen. Das alles geht in der Szene, das ist es, was mich glücklich macht.“

Die traditionelle Zweiteilung der Kölner Schwulenszene bleibt dennoch bestehen: Im Bermuda-Dreieck - dem schwulen Epizentrum südlich des Rudolfplatz und der Kettengasse - ist es bunt, jung, szenig. „Die Fashion-Jungs“, kommentiert Mark. In der Altstadt, zwischen den Stricher-Bars am Alter Markt und den Leder- und Fetisch-Bars rund um den Mühlenbach, ist es dunkel, älter und bärtig.

Fühlt man sich denn nicht irgendwann zu alt fürs Nachtleben, zieht sich ins Private zurück? „Ein Hetero-Problem“, meint der Barmann bestimmt. „Du fühlst dich nie alt, egal, wie alt du bist. Es gibt junge Männer, die gerade auf alte Männer und deren Charme und deren Erfahrung stehen. Und natürlich hast du als älterer Mann ohne Familie mehr Geld fürs Ausgehen übrig.“

Wir beginnen unsere Tour. Vom „Transfert“ an der Hahnenstraße - einer hellen, netten Bar, mit Alien-Figuren dezent futuristisch aufgestylt - geht es in die benachbarte Brennerei Weiß, das Brauhaus, dessen Außengastronomie immer wieder durchs Hahnentor flanierende Touristen lockt. Denen fällt oft erst nach zehn Minuten auf, dass außer ihnen hier nur kurzgeschorene Kerle sitzen. „Es kommen auch viele Mädels mit ihren schwulen Freunden“, erzählt Mark, „Manchmal nervt das, dann sitzen hier schon mehr Mädchen als Männer.“

Nächste Station ist die Kettengasse, Kölns schwulste Meile. Sauna, Buchladen, Sex-Shop, Cafés. Das ganze Paket in einer Gasse. Man ist jung, man ist schön. Man spielt in Soaps mit - oder sieht wenigstens so aus. Draußen sitzen sie vorm „Café Barflo“ und werfen Blicke auf die nicht minder feschen Jungs im „Café Era“. Andersrum funktioniert das natürlich genauso gut.

Jetzt geht es ein, zwei Schritte weiter, ins eigentliche Bermuda-Dreieck und seinen unbestrittenen Mittelpunkt, das „Ex-Corner“. Die Eckkneipe ohne Tisch und Stuhl ist immer voll, aus den Boxen dröhnt alles, was sich mit einem Mann unter dem Arm mitsingen lässt. Kurz: Die Stimmung ist karnevalesk. Und niemand muss allein nach Haus.

Gleich um die Ecke trifft sich die schwule Jugend im „Café Huber“. „Unser Kindergarten“, lacht Mark. Wir wechseln in die Altstadt. Das „Zille“ in der Pipinstraße ist das krasse Gegenteil zu den hellen, aufgeräumten Läden im Bermuda-Dreieck. Die schummrige Nacht-Bar zieht ein gesetzteres Stammpublikum an. Schummrig, aber sauber, betont Mark: „Schwule Jungs sind immer pingelig. Die schrubben täglich den Kühlschrank.“

Man isst und trinkt deutsch, Frikadellen und Bier. „Die Mädels (Travestie-Künstler) vom Hotel Timp machen hier ihre Pause“, erzählt Mark. Ein bunter Farbklecks in der holzvertäfelten Landschaft.

Wir passieren den Stiefelknecht, die „letzte Station der Cruising-Tour“, wie der Szene-Guide des Kölner Schwulen-Magazins „Rik“ verrät. Mark drückt sich gegenüber seinem Schutzbefohlenen vorsichtig aus: „Das ist hier eben mehr unter der Gürtellinie.“

Im „Cox“ am Mühlenbach knubbeln sie sich um die runde Theke. Bären-, Bart- und Butchmänner. Kräftige, struppige bis zugewachsene Typen mit sehr behaarten Oberarmen. Über der Bar hängen gerahmte Zeichnungen von innig umschlungenen Bartmännern. Die Stimmung ist allemal bärig. Es wird geknutscht, geküsst, geknuddelt. Der Barmann zieht das enge T-Shirt aus und präsentiert seinen wohlbeleibten Oberkörper. Aus der Hinterwand ragen Teile der römischen Stadtmauer. Eine Bärenhöhle, urgemütlich - auch wenn der frisch rasierte Reporter verwunderte Blicke auf sich zieht. So schnell wächst da nichts.

Wir müssen sowieso weiter. Ins „Chains“, ein „Leder und Fetisch-Lokal für Gays ab 18 Jahre“, Kölns größtes. Es geht in den Keller. Bundeswehr-Tarnnetze unterteilen den schwarz gestrichenen Raum, auf dem Bildschirm hinter der vergitterten Bar läuft ein Piercing-Porno. Männer kommen und gehen, tauschen Blicke aus. „Und wo ist hier der Darkroom?“ fragt der unbedarfte Journalist: „Ich bin nicht zimperlich.“

Mark führt. Zwischen den Tarnnetzen, vorbei an Gestühl, das der Fantasie die Richtung vorweist. Ein schmaler, noch sehr viel dunklerer Gang wird rechts und links von Männern flankiert. Hier richten sich die Blicke in die tieferen Regionen. Und das war's. „So ist das meistens“, meint Mark, „alle warten, das was passiert. Niemand traut sich anzufangen.“ „Super, genau wie bei uns“, lacht die Hete.

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