Wetterstation in UdenbrethMeteorologe kritisiert „Warn-Orgie” bei jüngsten Stürmen

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Als bei Tagesanbruch am 15. Juli das Wasser langsam abfloss, wurde das ganze Ausmaß der Flutkatastrophe, wie hier in Schleiden, sichtbar. 

Kreis Euskirchen/Udenbreth – Es ist die Kurve, die für Zerstörung und den Tod vieler Menschen steht und eindrücklich zeigt, wie die Regenmengen am 14. Juli 2021 vom Himmel stürzten. Erst steigt sie kaum an, um zur Mittagszeit massiv in die Höhe zu schnellen. Immer weiter geht sie dann den Tag über hoch, bis sie etwa gegen 19 Uhr jäh und teilweise fast senkrecht ansteigt. Gegen 21.30 Uhr bricht die Aufzeichnung dann plötzlich ab.

„Da fiel bei uns der Strom aus“, erläutert Karsten Brandt. Bis zu diesem Zeitpunkt hat die Elektronik seiner Wetterstation „Donnerwetter“ am Weißen Stein in Udenbreth aber den genauen Verlauf des Tages festgehalten, der das Leben vieler Menschen in der Eifel veränderte. Bei 125 Millimetern Niederschlag endet die Kurve des Schreckens. „Unsere analogen Geräte haben dann noch weiter funktioniert“, erklärt der Klimatologe und Meteorologe.

Insgesamt seien es an diesem Tag 144 Millimeter Niederschlag gewesen, mit dem Vortag zusammengenommen rund 200 Millimeter. Alleine in den 90 Minuten von 20 Uhr bis 21.30 Uhr fielen an der Wetterstation in Udenbreth 45 Liter Niederschlag.

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Denkmal für die Flut-Opfer im Garten der Wetterstation

„Ich war in Berlin und habe diese Daten gesehen und gedacht: Was geht da ab?“, erinnert er sich. Natürlich sagt diese Kurve nichts über die Folgen für die Menschen in der Eifel aus. Es sind Daten, verzeichnet als kumulierte Regenmenge, also die aufaddierten Messwerte. Welche Konsequenzen das Wetter aber hatte, zeigt das Denkmal, das Brandt im Garten an seiner Wetterstation aufgebaut hat.

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Das Denkmal für die Opfer von Wetterextremen in der Donnerwetter-Station in Udenbreth hat Karsten Brandt mit einer Gedenktafel für die Flutopfer in der Eifel versehen.

Mit dem Denkmal wolle er verdeutlichen, welche Bedeutung und Konsequenzen das Wetter für das Leben der Menschen habe, sagt er. Eigentlich sei es ursprünglich den Opfern der Flut in Hamburg 1962 gewidmet gewesen. Doch nun erinnert eine neue Messingplatte an die Menschen, die in der Unwetternacht im Sommer 2021 gestorben sind.

„Die Ereignisse in der Flutnacht sind uns viel näher“, habe er sich überlegt, so Brandt. „Mindestens 223 Todesopfer und Vermisste“, so steht es auf der Tafel. 26 Menschen sind im Kreis Euskirchen gestorben, 134 im Ahrtal. „Auch in Belgien sind 40 Menschen gestorben, manche werden noch immer vermisst“, sagt er.

Brandt: „Niederschläge taugen nicht für Statistiken“

„Niederschläge taugen nicht für Statistiken“, betont Brandt entschieden. Solche Extremereignisse wie die Flut vom 14. Juli verstecken sich stattdessen in den Mittelwerten und Regenmengen. „Wir sind hier nicht in der Statistik, wir sind in Extremistan“, sagt er. Bei Niederschlag gebe es keinen Mittelwert. „Wenn ich einen Zeitraum von 30 Jahren betrachte, kann es sein, dass ich genau diese Ereignisse einfach nicht wahrnehme“, erläutert er.

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Er arbeite nie mit den in den vergangenen Monaten so häufig bemühten Jährlichkeiten. „Einzelne Ereignisse dominieren, da kommt man mit Jährlichkeiten nicht hin“, erläutert er. Das sei nur etwas für Politik und Verwaltungen, die mit solchen Werten kalkulieren. Der Begriff des „hundertjährigen Hochwassers“, der etwa für die Berechnung der Dimensionen von Kanalisationen oder Hochwasserschutzmaßnahmen verwendet wird, sei nicht sinnvoll für die meteorologische Betrachtung.

„Wir sind hier nicht in der Statistik, wir sind in Extremistan” (Karsten Brandt)

Ein Beispiel seien die Rheinhochwasser 1993 und 1995, nach denen in Köln viele Schutzmaßnahmen ergriffen worden seien. „Doch seitdem ist dort nichts mehr passiert“, sagt Brandt.

Die Stürme der vergangenen Wochen

Weniger folgenreich für die Eifelregion waren die drei Stürme, die in den vergangenen beiden Wochen über Deutschland hinwegzogen. „Eine solche Folge von Stürmen ist nicht ungewöhnlich“, sagt Brandt. In der Ausstellung zu Wetterphänomenen in der Udenbrether Wetterstation zeigt er einen Messstreifen aus dem Jahr 1990, auf dem eine ähnliche Wetterlage festgehalten ist. „Damals hatten wir auch einen milden Winter“, erinnert er sich.

Stürme seien normal und nicht unbedingt eine Folge des Klimawandels. „Langfristige Zahlenreihen zur Häufigkeit von Stürmen zeigen, dass sie eher seltener werden“, hat er festgestellt. Es sei selbstverständlich, bei solch einem Wetter nicht in Wälder zu gehen. „Wenn der Rhythmus der Böen mit der Eigenfrequenz des Waldes übereinstimmt, können die Bäume fallen“, erläutert der Meteorologe. Welche das seien, sei nicht vorhersagbar.

Kritik an Wetterwarnungen – Seminare zur Interpretation

Streng geht Brandt mit dem System der Wetterwarnungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) ins Gericht. „Diese Warnhinweise bei jedem Pipi – das verstehen selbst Experten nicht“, beklagt er. Es komme ständig eine regelrechte Orgie von Warnungen. „Wenn sie aber soviel warnen, gehen die wirklich wichtigen Dinge den Bach runter“, stellt Brandt klar.

Nur wenige Ereignisse seien wirklich gefährlich – und die müssten herausgefiltert werden. Darüber hinaus seien die Warnungen für Laien nicht verständlich. An diesem Punkt setzt er nun an: „Ich biete jetzt Seminare für Leitstellen und Einsatzkräfte an, wie die Warnmeldungen interpretiert werden müssen. Ich hätte nie gedacht, dass das eine Marktlücke wird.“

Nicht eindeutig genug vor der Flut gewarnt

Auch moniert er, dass nicht alle Meteorologen entschieden genug vor der Flut gewarnt hätten. „Wenn man so etwas übersieht, hat man seinen Beruf verfehlt“, sagt er unmissverständlich. Die Modelle seien eindeutig gewesen.

Bereits um 16 Uhr am 14. Juli habe er auf Radio Rhein-Sieg vor Lebensgefahr gewarnt. „Wenn ich das Ding verpennt hätte, würde ich heute hier nicht sitzen“, so Brandt.

Katastrophenbewältigung: mehr Simulation gefordert

„Es muss digital simuliert werden, wie Katastrophen verlaufen. Was hilft bei Extremen? Da muss auch Geld in die Hand genommen werden“, fordert Brandt. Mit Geländemodellen könnten noch größere Niederschläge als der aus dem Sommer 2021 simuliert und deren Folgen studiert werden.

„Was passiert bei 200 Litern in zwölf Stunden? Das nächste große Ding kann aber wieder was anderes sein.“ Zum Beispiel sei man in Deutschland auf einen großen Waldbrand nicht vorbereitet.

Dürregefahr durch Trockenheit und Wind

Spannend sei, was im Augenblick passiere, erläutert Brandt. Denn aktuell stelle sich die Wetterlage um und Hochdruck setze sich über Deutschland fest. Dann aber könne der Boden schnell austrocknen. „Dürre ist auch extrem. Es ist möglich, dass wir in drei Wochen Waldbrandgefahr haben“, so Brandt. Jeden Tag fresse sich die Feuchtigkeit weg, besonders, wenn es wie in der Eifel und im Hohen Venn auch noch Wind gebe.

„Dürre ist auch extrem. Es ist möglich, dass wir in drei Wochen Waldbrandgefahr haben“ (Karsten Brandt)

Große Waldbrände seien zumeist Frühjahrsbrände, wenn noch das trockene Gras und Gestrüpp aus dem Vorjahr in den Wäldern stehe. Im Herbst und im Sommer sei die Gefahr dagegen nicht so groß, da es dann viel Grün gebe. Doch die Politik solle sich auf diese Gefahr einstellen – und das auch in der Region Köln-Bonn.

Klimawandel Einfluss auf Hochwasser vom 14. Juli 2021

„Der Klimawandel ist da. Aber was seine Folgen sind – da gibt es viele Fragezeichen“, sagt Brandt. Immer noch stehe nicht fest, ob es durch die zunehmende Erderwärmung mehr Stürme geben wird oder weniger oder ob die Jetstreams abnehmen.

Dass die Flut vom 14. Juli durch den Klimawandel beeinflusst worden ist, steht für Karsten Brandt dagegen außer Frage. 20 bis 30 Prozent habe die Erderwärmung seiner Einschätzung nach zu der Flut beigetragen. „Durch die höheren Temperaturen ist einfach mehr Feuchtigkeit in der Luft, weswegen auch die Niederschlagsmengen höher ausfallen“, ist Brandt überzeugt.

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