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Aus für Gerichtstage?Pläne des Justizministeriums bereiten Euskirchener Anwälten Sorgen

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Das Symbolbild zeigt ein Buch mit den Arbeitsgesetzen.

Für Verhandlungen des Arbeitsgerichts Bonn müssen Beteiligte aus dem Kreis Euskirchen nicht nach Bonn fahren. 

Regelmäßig tagt das Arbeitsgericht Bonn in Euskirchen. Prozessbeteiligten erspart dies weite Wege. Doch das könnte sich bald ändern.     

Für Firmenleitungen und Arbeitnehmer aus dem Kreis Euskirchen, die sich juristisch in die Haare geraten sind, gibt es immer noch einen Trost: Sie können ihren Streit vor dem Arbeitsgericht Bonn austragen, ohne dafür nach Bonn fahren zu müssen.

Dafür wurden vor vielen Jahren die sogenannten Gerichtstage in Euskirchen eingerichtet. Etwa zwei Mal wöchentlich kommen die Richter aus Bonn in die Kreisstadt, um in einem Saal des Euskirchener Amtsgerichts die lokalen Verfahren zu leiten, im besten Fall gütliche Einigungen herbeizuführen oder ein Urteil zu sprechen.

Rund 660 Arbeitsrechtsverfahren im Jahr finden in Euskirchen statt

Rund 660 Verfahren werden jährlich auf diese Weise in Euskirchen geführt, das sind 27 Prozent aller Verfahren des Arbeitsgerichts Bonn. Doch wie lange noch? Wie lange noch können Prozessbeteiligte etwa von Losheim 56 Kilometer nach Euskirchen fahren statt rund 100 Kilometer nach Bonn – inklusive Staus und nerviger Parkplatzsuche beziehungsweise eines nicht immer gut funktionierenden Bahnverkehrs?

Das Gebäude des Amtsgerichts Euskirchen von außen.

Im Gebäude des Amtsgerichts Euskirchen tagt auch das Arbeitsgericht Bonn.

So haben die Gerichtstage viele Vorteile: Neben den kurzen Wegen für die streitenden Parteien und ihren juristischen Beistand zeigt die Justiz Präsenz und Bürgernähe in der Fläche. Daher sorgt sich eine Reihe von Anwälten aus dem Kreis Euskirchen, dass die Gerichtstage abgeschafft werden könnten. Grund dafür sind Überlegungen im Landesjustizministerium, die unter dem Titel „Arbeitsgerichtsbarkeit der Zukunft in NRW“ zusammengefasst sind. Hier wird die Frage gestellt, ob es der Gerichtstage noch bedarf.

Immer seltener müssten Beteiligte zu den Kammerterminen persönlich erscheinen, Videoverhandlungen und Homeoffice seien auf dem Vormarsch und die Außentermine forderten einen hohen Organisationsaufwand – und das bei Personalmangel. Vertretungen etwa seien besser an einem Standort zu organisieren, heißt es.

Bad Münstereifeler Anwalt sieht in den Plänen große Nachteile

„Es ist insbesondere schwierig, bei schwankenden Eingangszahlen eine gleichmäßige Belastung der Vorsitzenden im Geschäftsverteilungsplan abzubilden und bei geteilten Kammern mit der Zuständigkeit am Stammgericht und am Gerichtstag ausreichend Sitzungstage am jeweiligen Ort sicherzustellen.“

Noch sei nichts entschieden, sagt Rechtsanwalt Reinold Nelles. Der Bad Münstereifeler ist einer von sieben Juristen, die in einem Schreiben an die Leitung des Landesarbeitsgerichts Köln eindringlich um die Beibehaltung der Gerichtstage bitten.

Die Einführung von Videoterminen sei zwar vorangetrieben worden, schreiben sie: „In der Praxis bleibt aber die Zahl rein virtueller Termine deutlich hinter den Erwartungen zurück.“ Technische Infrastruktur und das erforderliche Know-how stünden vielen Verfahrensbeteiligten noch nicht zur Verfügung.

Die wirtschaftliche Stagnation führt dazu, dass Unternehmen Personal abbauen müssen. Das führt automatisch zu mehr Verfahren
Reinold Nelles, Rechtsanwalt aus Bad Münstereifel

Der spontane Austausch zwischen Mandant und Rechtsbeistand während der Verhandlung oder die Schaffung einer Atmosphäre, die das Zustandekommen eines Vergleichs fördere, seien per Video nur schwerlich möglich. Diese Funktion könne eine digitale Lösung in Gänze nicht ausgleichen. „Auch ältere und sozial schwächere Mandanten profitieren in besonderer Weise von der wohnortnahen Gerichtstagsstruktur“, führen die Anwälte aus dem Kreis Euskirchen ins Feld.

Anwälte: Viel Fahrerei nach Bonn wäre auch schlecht für die Umwelt

Rund 45 Prozent der 660 jährlichen Verfahren müssten immer noch in Präsenz verhandelt werden, so die Rechtsanwälte. „Pro Kammertermin müssten mindestens vier Personen nach Bonn anreisen“, beschreiben sie die Aussicht für den Wegfall der Gerichtstage. Auch für die Umwelt sei dies die Fahrerei eine Belastung. Zudem erwartet Nelles, dass es künftig mehr statt weniger Verhandlungen geben wird. „Die wirtschaftliche Stagnation führt dazu, dass Unternehmen Personal abbauen müssen. Das führt automatisch zu mehr Verfahren.“

Die Anwälte verschweigen aber auch nicht, dass ein Aus der Gerichtstage auch sie hart treffen würde. In den mindestens zwei Stunden im Auto könnten sie sich nicht um andere Mandate kümmern. „Einerseits verursacht das einen merklichen Umsatzverlust für die betroffenen Anwälte und andererseits führt es zu einer schlechteren Versorgung der Bevölkerung mit fachanwaltlichen Dienstleistungen im Kreis Euskirchen“, mahnen die Anwälte.

Schlechte Erfahrungen mit dem Vorgehen in Rheinland-Pfalz

Die Zahl der Rechtsanwälte im Kreis habe ohnehin schon abgenommen, würden durch die Abschaffung der Gerichtstage die Bedingungen für die Anwälte verschlechtert, werde es immer schwieriger, die ausscheidenden Babyboomer durch junge Juristen zu ersetzen.

Die Anwälte warnen davor, dass die Bürgernähe der Justiz sinken und die Schwelle, sich an die Justiz zu wenden, steigen könnte. Sie hätten die Erfahrung gemacht, so die Anwälte, „dass die Abschaffung von Gerichtstagen in Rheinland-Pfalz keineswegs zu einer Verbesserung der Situation bei den Arbeitsgerichten geführt hat“. Beim Arbeitsgericht Koblenz könne es Wochen dauern, bis das Protokoll der Güteverhandlung an die Beteiligten verschickt werde, während die Verhandlungsdauern beim Arbeitsgericht Bonn überschaubar seien (siehe auch „Kurze Verfahren“).

Derzeit scheint vieles möglich. Nach einem Gespräch im Landesarbeitsgericht in Köln Ende September sind die Anwälte im Kreis Euskirchen verhalten optimistisch. Denkbar scheint auch, so war zu erfahren, dass die Gerichtstage erhalten bleiben – vorerst zumindest.

Nach beispielsweise fünf Jahren könne dann noch mal geprüft werden, ob die digitale Verhandlungsführung so weit fortgeschritten ist, dass man auf die Außentermine verzichten könnte. Aber auch das ist derzeit nur eine Überlegung.


Verfahren am Arbeitsgericht Bonn sind vergleichsweise kurz

Drei Landesarbeitsgerichte gibt es in NRW: Düsseldorf, Köln und Hamm. Zum LAG Köln gehört das Arbeitsgericht Bonn, das wiederum für die Stadt Bonn, die Kommunen Alfter, Bornheim, Meckenheim, Rheinbach, Swisttal und Wachtberg sowie für den Kreis Euskirchen zuständig ist. An den 33 Standorten in NRW sind 707 Bedienstete beschäftigt.

Die Verfahren beim Arbeitsgericht Bonn dauern im Schnitt etwa drei Monate, was im Vergleich zu anderen Gerichten ein guter Wert ist. Die Anwälte führen das auch auf die Gerichtstage in Euskirchen zurück.