Nach dem HochwasserSatzvey – Das geteilte Burgdorf

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Nicht bewohnbar sind wegen des Hochwassers acht Häuser in Satzvey.

Nicht bewohnbar sind wegen des Hochwassers acht Häuser in Satzvey.

Mechernich-Satzvey – Die Straßen sind sauber und die Häuser unbeschädigt. Auch die Schutthaufen, die noch immer das Bild vieler Dörfer im Kreis prägen, gibt es in Satzvey nicht. Wer aus Richtung Firmenich in das Burgdorf kommt, sieht einen vom Hochwasser unberührten Ort. Nur eine gesperrte Ortsdurchfahrt deutet an, dass Satzvey doch nicht so glimpflich davongekommen. Im Unterdorf sieht es nämlich ganz anders aus: Umgestürzte Zäune, vom Wasser zerschmetterte Mauern, ganze Häuser sind unterspült und unbewohnbar. Und auch die Burg Satzvey hat es schwer getroffen.

Noch heute kann Ortsvorsteherin Heike Waßenhoven kaum glauben, was ihrem Ort passiert ist. Von drei Seiten habe sich das Wasser auf den Ort gestürzt, erinnert sie sich. Durch die höher gelegenen Teile des Dorfs rauschte das Wasser nur durch, in den tieferen staute es sich. „Das Oberdorf wusste selbst am Tag danach noch nicht, was unten passiert war.“ Zunächst habe sie viele Schaulustige gesehen, die zwischen den Arbeitern hin- und hergelaufen seien. Fotos gemacht hätten. Der sonst so besonnenen Ortsvorsteherin platzte der Kragen: Sie sollten sich Schaufel und Besen nehmen und mithelfen, habe sie gesagt. „Es mussten erst alle wach werden.“

„Ich wusste nicht: Packe ich in Dreck – oder packe ich in Scheiße.“

In den ersten Stunden habe sie nicht gewusst, wo sie mit den Arbeiten beginnen solle, sagt Waßenhoven. „Ich wusste nicht: Packe ich in Dreck – oder packe ich in Scheiße.“ Hinzu kamen logistische Probleme für die Helfer. Die Veybachbrücke hinter den Bahngleisen war eingestürzt. Wer in der anderen Hälfte des geteilten Dorfes arbeiten wollte, musste über Mechernich oder Euenheim fahren. Die eigentlich nur wenige hundert Meter lange Strecke wurde so bis zu 20 Kilometer lang. Mittlerweile gibt es zwar eine provisorische Fußgängerbrücke. Autos können aber trotzdem noch nicht von einem Dorfteil in den anderen. Das hat auch Folgen für die Einsatzkräfte: Für das nördliche Satzvey ist derzeit die Feuerwehr aus Wachendorf zuständig. Die Satzveyer Löschgruppe würde im Notfall zu lange brauchen.

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Wenn Waßenhoven heute an die Flutnacht denkt, denkt sie auch an das, was sie und die Helfer riskiert haben. Vor drei Wochen erschien es ihr wie selbstverständlich. „Mit Gummibooten haben wir die Leute aus den Fluten gerettet“, sagt sie. Gummiboote, wie sie sonst Kinder in Schwimmbädern benutzen. Waßenhoven war Seelsorgerin, Ersthelferin und Flutretterin zugleich. „Ich bin ständig hin- und hergefahren. Medikamente und Decken habe ich aus meinem Haus geholt und so die Leute versorgt.“ Ihren jüngsten Sohn, der mit der Feuerwehr aus Hamburg nach Satzvey kam, sah sie kaum. „Nur nachts hatten wir kurz Zeit, um uns zu schreiben.“ Gefühlt habe sie nichts mehr. Nur funktioniert.

Funktionieren – das muss auch Patricia Gräfin Beissel. Sie sei erschöpft, sagt sie. Schlaf fehlt der Gräfin seit Wochen. Nachts hole sie das Erlebte ein. Der Kaffee ist mittlerweile Routine – nur wenige Minuten braucht Beissel für eine Tasse. „Wir haben Corona überstanden, wir haben das Feuer überstanden – und das Wasser überstehen wir auch“, sagt Beissel. Tatsächlich ist schon viel auf dem Burggelände passiert: Teile des Parks sind schon wieder aufgebaut, die größten Löcher auf den Wegen hat das Team der Burg mit Schotter und Schutt aufgefüllt. „Wir haben das benutzt, was uns der Bach geschenkt hat.“

Tiere während des Unwetters gerettet

Auch am Tag der Flut war Beissel auf der Burg, stapelte stundenlang Sandsäcke, um das Gebäude zu schützen. Es half nichts: Am Abend musste die Feuerwehr die Burg evakuieren. „Ohne meine Pferde wollte ich aber nicht gehen“, sagt Beissel. Im strömenden Regen habe sie dann mit anderen Reitern die Tiere auf einen Berg in Sicherheit gebracht.

Besser wurde es für die Gräfin in der Nacht aber nicht mehr. Zu fünft seien sie auf einem Traktor in den Wassermassen steckengeblieben, sagt sie. Ein Laster der Deutschen Post hätte sie in der Dunkelheit fast gerammt. „Ich habe mich so hilflos gefühlt. Wären meine Freunde und Kollegen nicht dabei gewesen, hätte ich mich wahrscheinlich aus Panik in die Fluten gestürzt.“

Der Traktorbesatzung geht es gut. Sie wurden am nächsten Morgen gerettet. Auch die Pferde sind in Sicherheit. Beissel hat sie auf vier Ställe in der Region verteilt. Bald sollen sie aber wieder zurückkehren dürfen – wenn die Ställe trocken und sicher sind. „Ein Teil der Ställe ist noch immer einsturzgefährdet“, erläutert die Gräfin. Die Balken, die mal die Ställe gestützt haben, lagen nach der Flut überall auf dem Gelände verteilt.

Eine Million Euro Schaden an der Burg Satzvey

Den Schaden an der Burg schätzt Patrica Gräfin Beissel auf etwa eine Million Euro. „Es ist aber wirklich schwer zu sagen. Wir warten noch auf die Gutachter.“ Der Boden in den Bankettsälen ist aufgequollen. Jedes Gebäudeteil mit einer Fußbodenheizung muss entkernt werden. Die Senfmühle ist teilweise zerstört. Vom Schnitzelhäuschen – erst vor einem Jahr eröffnet – ist kaum etwas übrig. Nur die Burgbäckerei hat das Hochwasser einigermaßen gut überstanden. Sie dient im Moment Helfern und Angestellten als Zufluchtsort. Hier können sie eine kurze Auszeit nehmen und sich mit Kaffee versorgen. Den größten Schaden aber hat der Veybach im Südwesten der Burg angerichtet. Dort, wo der Turnierplatz für die Ritterspiele war, gähnt nur noch ein Krater. Drei von vier Brücken über den Bach existieren nicht mehr.

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Auch für die Tribüne besteht wenig Hoffnung: Sie wurde unterspült, ihre Stützpfeiler stehen schief. Für Beissel ist das ein schwerer Verlust. Die Tribüne hat sie selbst gebaut. Nur Opfer der Flut will das Team der Burg aber nicht sein. Die Bankettsäle sind zu einem Notlager umfunktioniert worden. Dort gibt es Kleidung und Hygieneartikel für Betroffene. An das Wohl der Tiere hat die Gräfin ebenfalls gedacht. Im Lager steht Futter für Hunde, Katzen und Pferde bereit.

Auch dank der vielen Helfer geht es für Satzvey wieder aufwärts. Nur an Handwerkern und Bautrocknern fehlt es noch. Auf der Burg hingegen gibt es noch einiges zu tun. Das Netzwerk, das sich Beissel durch die Ritterspiele aufgebaut hat, hat aber Hilfe an zwei Wochenenden versprochen. Bis zu 500 Helfer könnten das sein, schätzt Beissel. Und das stimmt sie vorsichtig optimistisch. Mit ein bisschen Glück könnten schon Ende Oktober die ersten Veranstaltungen auf der Burg stattfinden.

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