Die Arbeiten auf dem Mühlenhof bei Weilerswist-Lommersum gehen weiter, doch der Weg bis zum Umzug ist für Klara und Helga Lagier noch weit.
Nach der FlutMutter und Tochter sehnen sich auf dem Mühlenhof nach dem Ende des Provisoriums

Im und am historischen Fachwerkhaus, das unter Denkmalschutz steht und aktuell mit Balken abgestützt ist, sollen im Frühjahr die Arbeiten beginnen.
Copyright: Ulla Jürgensonn
Seit vier Jahren ist der Raum, der einst das Reiterstübchen des Mühlenhofs war, das Zuhause von Klara Lagier. Jedenfalls tagsüber. Nachts zieht die 98-Jährige um in einen Schlafcontainer. Seit der Flutkatastrophe im Juli 2021 leben sie und ihre Tochter Helga in einem Provisorium. Und das wird noch einige Zeit so bleiben. Denn die Arbeiten am Reiterhof schreiten zwar voran, aber der Wiederaufbau dauert lange.
Denn die Lage am Mühlenhof ist durchaus verzwickt. Die Flut hatte zwar die Ställe verschont, aber sowohl das alte Fachwerkhaus als auch den Anbau schwer beschädigt. So schwer, dass das historische Mühlengebäude mit Balken und Stempeln abgestützt werden muss. Deshalb wird der Anbau jetzt als Wohnhaus für Mutter und Tochter hergerichtet.
Durch eine Glastür wird Klara Lagier das Geschehen auf dem Reiterhof sehen
Angelika Kohlgraf, die die Familie bei der Organisation des Wiederaufbaus unterstützt, führt über die Baustelle. Die Außenwände sind abgedichtet, schließlich steht das Haus ja immer noch am Wasser. Innen sind die neuen Trennwände bereits eingezogen, es riecht nach nassem Mörtel. Die Installation für Bad und Küche ist fertig, jetzt soll der Estrich gegossen werden. Die neuen Fenster und die Haustür sind bestellt. Es wird eine zweiflügelige Glastür – damit Klara Lagier das Geschehen auf dem Reiterhof verfolgen kann. Und vor die Tür kommt eine Rampe, die alte Dame ist auf einen Rollator angewiesen.
Alles zum Thema Hochwasser, Überschwemmung und Flut
- „Nicht jeder möchte Erklärungen hören“ Claudia Wieja über ihre Zeit als erste Grüne Bürgermeisterin in Lohmar
- Test mit 80 Sensoren So soll KI in der Eifel beim Hochwasserschutz helfen
- Makaberer Fund Rentner lag wohl 15 Jahre tot in seiner Wohnung
- Flugausfälle und Überschwemmungen Sturmtief wütet auf Mallorca und dem spanischen Festland
- Erneutes Unwetter auf Balearen Flughafen auf Urlaubsinsel Ibiza nach Starkregen überflutet
- Tausende Soldaten im Einsatz Mehr als 40 Tote und viele Vermisste nach Unwetter in Mexiko
- Nach der Flut Aufräumarbeiten in Bedburg sind noch lange nicht abgeschlossen
Vieles ist in den vergangenen Monaten geschafft worden, was nicht auf den ersten Blick zu sehen ist. Der Hof war aufgegraben, damit neue Leitungen verlegt werden konnten. Das Stromkabel, das noch zwischen den Gebäuden in der Luft hängt, ist damit überflüssig geworden. Der Technikraum sei fertig, sagt Angelika Kohlgraf, eine Kleinkläranlage könne demnächst angelegt werden.

Im ehemaligen Reiterstübchen verbringt Klara Lagier die Tage.
Copyright: Ulla Jürgensonn

Der Anbau war völlig entkernt. Mittlerweile sind wieder Wände eingezogen. Angelika Kohlgraf begutachtet den Baufortschritt.
Copyright: Ulla Jürgensonn

Bei der Arbeit mit Kindern und Pferden ist Helga Lagier in ihrem Element.
Copyright: Ulla Jürgensonn
Sie erzählt von der Herausforderung, alle Gewerke für die Sanierung des Wohnhauses unter einen Hut zu bekommen. Doch man habe Unternehmen gefunden, die Hand in Hand arbeiteten und sich abstimmten. „Lösungsorientiert ist und bleibt mein Lieblingswort“, beschreibt Kohlgraf die Herangehensweise.
Zu jammern ist ebenso nicht die Art von Helga Lagier. Auf die Frage, wie es ihr gehe, antwortet die 62-Jährige lapidar: „Eigentlich wie immer. Ich versuche, das Chaos zu bewältigen und dafür zu sorgen, dass alles weiterläuft.“ Damit hätte sie auch ohne das Bauprojekt genug zu tun. 16 Pferde stehen derzeit auf dem Hof, der seit Generationen im Familienbesitz ist. Die müssen versorgt werden, auch der Reitschulbetrieb muss weitergehen. Jetzt in den Ferien tummeln sich fast den ganzen Tag über Kinder auf dem Hof.
Wenn es nötig ist, stehen die Fluthelfer zur Verfügung
So ähnlich hat auch Angelika Kohlgraf damals angefangen. Und sie ist nicht das einzige ehemalige Reitschulkind, das nach der Flut auf den Mühlenhof zurückgekommen ist, um zu helfen. Auch wenn die Zeiten, in denen Helfer aus weitem Umkreis kamen und tagelang vor Ort gezeltet haben, vorbei sind: „Wenn wir einen Aufruf starten, kommen genügend helfende Hände. Die Bereitschaft ist nach wie vor da.“
Wenn alles läuft wie erhofft, werden im Frühjahr wieder Helfer benötigt. Denn dann soll die Sanierung des Fachwerkhauses starten. Das ist im vergangenen Herbst in einer Hau-ruck-Aktion leergeräumt worden. Erst hatte es geheißen, niemand dürfe das Gebäude betreten, dann wollte der Gutachter, dass es geräumt war, als er kam. So schildert es Angelika Kohlgraf. Nachdem nun auch die Schäden dort kartiert sind, geht es nach dem Winter an die Rettung des denkmalgeschützten Hauses. Ideen, wie das zu bewältigen ist, gibt es bereits: Es könnte als Lehrbeispiel für alte Handwerkskünste genutzt werden. In Workshops könnten Interessierte lernen, wie man die Eichengefache wieder mit Lehmputz verfüllt.
Doch erst einmal hat der Anbau, der aus den 1960er-Jahren stammt, Vorrang. Und hier wiederum hat das Vorrang, was unbedingt nötig ist. Das Dach beispielsweise kann warten, auch wenn Helga Lagier sagt: „Es ist ein bisschen bröselig.“ Noch hält es dicht. Es ist kein Luxusquartier, auf das Mutter und Tochter so sehnsüchtig warten. 69 Quadratmeter werden sich die beiden teilen, das ergibt für jeden ein Schlafzimmer, ein Wohn- und Arbeitszimmer, ein barrierefreies Bad und eine kleine Küche. Der wahre Luxus ist für die Lagiers ohnehin ein anderer: nicht mehr zum Schlafen über den Hof gehen zu müssen.
Den Traum, Weihnachten im neuen Zuhause zu feiern, hat Helga Lagier schon fast abgehakt: „Da mache ich mir jetzt keinen Stress mehr.“ Auch wenn alles andere bis dahin tatsächlich fertig sein sollte: Sie und ihre Mutter müssen schließlich noch Möbel kaufen – alles, was sie besaßen, ist im Hochwasser untergegangen.

