Kampfmittelräumung in NRWGenauer Überblick über Blindgänger im Boden fehlt

Lesezeit 3 Minuten
Bei einer Bombenentschärfung wurden eine 1,8 Tonnen schwere Luftmine und eine 250 Kilogramm schwere amerikanische Fliegerbombe unschädlich gemacht.

Bei einer Bombenentschärfung wurden eine 1,8 Tonnen schwere Luftmine und eine 250 Kilogramm schwere amerikanische Fliegerbombe unschädlich gemacht.

Nordrhein-Westfalen – Ruhe bewahren und das bei einem Bombenfund - für den Kampfmittelräumungsdienst in Nordrhein-Westfalen ist das selbstverständlich. Kein schneller Griff zur Ausrüstung und auch kein Spurt zum Einsatzwagen. „Bei einem Kampfmittelfund kommt es nicht auf die Minute an“, berichtet der Dezernent für Kampfmittelbeseitigung bei der Bezirksregierung Düsseldorf, Rolf Vogelbacher.

Ausrücken müssen die Fachleute des Kampfmittelräumdienstes mehrmals täglich - auch fast 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Denn niemand kann sagen, wie viele Blindgänger noch im Boden liegen. Es gibt nur grobe Schätzungen. Ungefähr 1,3 Millionen Tonnen Sprengstoff wurden im Zweiten Weltkrieg auf Deutschland abgeworfen. Etwa die Hälfte davon sei auf das Gebiet des heutigen NRW gefallen , berichtet das Düsseldorfer Innenministerium. Fünf bis 15 Prozent der Bomben seien nicht explodiert.

Und auch die Zahl der bisher unschädlich gemachten Blindgänger ist nicht bekannt. „Was im Krieg und in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Krieg geräumt wurde, ist nicht hinreichend dokumentiert“, sagt Vogelbacher. An die 1000 Bomben werden in NRW pro Jahr entschärft. Hinzu kommen Granaten und sonstige Sprengsätze in weit höherer Zahl.

Ja nach Fundort des Blindgängers sind umfangreiche Evakuierungsmaßnahmen vor der Entschärfung notwendig. Häufig reicht es, wenige Häuser zu räumen, mal sind aber auch ganze Stadtteile während der Entschärfung menschenleer. In Dortmund gab es 2013 nach dem Fund einer britischen Luftmine die größte Evakuierung der Nachkriegsgeschichte. Rund 20 000 Menschen mussten sich in Sicherheit bringen.

In vielen Großstädten an Rhein und Ruhr gehören Bombenfunde zum Alltagsgeschäft. „Wir haben seit Jahren 20 bis 30 größere Kampfmittelfunde pro Jahr im Bereich der Stadt Köln“, berichtet Heribert Büth, Leiter des Ordnungs- und Verkehrsdienstes der Stadt. In den Ruhrgebietstädten sieht es nicht viel anders aus. Die dortige Rüstungsindustrie war ein Haupt-Angriffsziel der alliierten Bomberstaffeln.

In der Regel gehen die Einsätze der Bombenentschärfer problemlos über die Bühne. Tödliche Zwischenfälle gab es in NRW aber auch. Im Januar 2014 kam bei einer Explosion einer britischen Luftmine in Euskirchen ein Baggerfahrer ums Leben. Die Bombe lag unter einer Schicht Bauschutt, die in einem Recylingbetrieb aufgearbeitet werden sollte. 13 Menschen wurden bei der Explosion verletzt. In einem Munitionszerlegungsbetrieb starb 2008 ein Kampfmittelräumer, als eine Granate beim Zersägen detonierte.

Die Arbeit der Bombenexperten, für die es die offizielle Berufsbezeichnung „Kampfmittelräumer„ gar nicht gibt, wird mit den Jahren immer schwieriger. „Die Gefahr bei vielen Kampfmitteln nimmt mit der Zeit zu, weil sie 70 Jahre oder länger unbekannten Umwelteinflüssen ausgesetzt waren“, berichtet Vogelbacher. Die Zünder würden durch das Alter und die damit verbundene Zersetzung immer empfindlicher.

Die Beseitigung der Kriegsfolgen bleibe eine „Mammutaufgabe“, hat NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) betont. Gut 50 Kampfmittelräumer sind in NRW derzeit damit beschäftigt. Für Vogelbacher zu wenige: „Wenn wir diese Aufgabe weiterhin in diesem Umfang und mit dieser Qualität betreiben wollen, kann das dauerhaft mit dem vorhandenen Personal nicht geleistet werden“, sagt er. Denn mit einer Abnahme der Funde in den nächsten Jahren sei nicht zu rechnen - auch fast 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht. (dpa)

KStA abonnieren